Er erzählte mir, dass die Texte und Melodien für das Album im Laufe von zwei Jahren, in denen er täglich viele Stunden am Tag meditiert hätte, in kleinen Schwingungen und Bildern gekommen wären. Er schrieb sie einfach auf, wenn sie erschienen, wie ein pflichtbewusster Schreiber. 3:00 Uhr.
Später, erzählte er mir, wäre ihm klar geworden, dass er nicht für ein Mönchsdasein geboren wäre. Er sprach mit seinem Lehrer Kyozan Joshu Sasaki (zu der Zeit schon über 100 Jahre alt) und traf die notwendigen Vorbereitungen, um das Kloster zu verlassen und in sein Haus in Los Angeles zurückzukehren. Nichts als das kleine Notizbuch in der Hand begann er dort, die feinen Impulse, die er in der Meditation empfangen hatte, in das zu verwandeln, was für mich das größte lyrische und musikalische Werk ist, das ich kenne. Er brauchte noch zwei weitere Jahre in dem kleinen Studio an der Rückseite seines Hauses, um diesen Impulsen einen eindeutigen Sound, Rhythmus und Form zu geben. Mit unnachgiebiger Genauigkeit nahm er die Songs immer wieder auf. Backgroundsänger, Technik, Software und Hardware beschaffen und damit umzugehen lernen, einen Vertrag mit Sony abschließen. 6:00 Uhr.
Leonard kennt Depressionen, Selbstzweifel und Verzweiflung und hat sowohl vor als auch nach dem Album mehr als genug davon erlebt, genauso wie auf der anderen Seite süße Hingabe, Vertrauen und Demut. Alle seine Alben sind von diesen Gefühlen durchdrungen.
I make my plans
Like I always do
But when I look back
I was there for you.
I walk the streets
Like I used to do
And I freeze with fear
But I’m there for you.
Die Geschichte hat ein entzückendes Ende. Nachdem wir unser nachmittägliches Gespräch beendet hatten (einer der wichtigsten Tage meines Lebens), zeigte er mir sein kleines Apartment. Es dauerte nicht lange. Er öffnete die Tür seines Büros, wo eine Plastikarbeitsplatte mit zusammenklappbaren Beinen stand, auf der sich Pappkartons stapelten. „Das ist also das Büro“, sagte ich. „Wo arbeitet Kateri?“
„Kateri …“, sagte Leonard. Wieder ein schelmisches Grinsen. „Ich stell dir Kateri vor.“ Ich dachte an den leicht flirtenden Ton meiner zum Teil nächtlichen Mails an Katari und wurde für einen Moment rot vor Verlegenheit. Leonard führte mich in die Küche. Er öffnete einen Hängeschrank über dem Waschbecken. Im obersten Fach war die Figur einer jungen Indianerin. „Das ist Kateri.“ Ich sah Leonard kurz an und blickte dann auf den Boden. Langsam begriff ich. Ich hatte nachts mit niemand anderem als Leonard selbst geflirtet. Er schmunzelte über mein Unbehagen und erklärte mir dann, dass seine frühere Managerin ihn um sein gesamtes Vermögen betrogen habe, während er im Kloster war, mehr als zwölf Millionen Dollar. Er hätte kein Geld mehr, um eine Assistentin zu bezahlen. Deshalb habe er als Fassade Kateri erfunden und mir in ihrem Namen Mails geschickt.
KAPITEL 5
Stecken bleiben
Seit ich das Modell des Kreislaufs vor mir habe – der Kreislauf sozusagen herübergekommen ist –, kann ich ihn immer mehr bei mir selbst beobachten. Ich merke, dass es sehr selten vorkommt, dass der Kreis ungehindert und reibungslos läuft. Wenn du Kenntnisse über chinesische Medizin hast, weißt du, dass alle Energie in Meridianen fließt. Es kommt fast nie vor, dass ein chinesischer Arzt deinen Puls fühlt und feststellt, dass alle Energie frei in allen Meridianen strömt. Das wäre ein Zustand vollkommener Gesundheit. In der Regel ist es um den Körper so bestellt, dass irgendwo im System entweder eine Art Überfluss oder ein Mangel an Energie herrscht. Ungleichgewicht gehört zur Natur allen Lebens.
So auch beim Brillanz-Kreislauf: Weil ich mir ein Bild davon gemacht habe, verstehe ich, dass ich noch niemanden getroffen habe, der perfekt alle vier Phasen durchläuft, sich frei von einer zur anderen bewegt. Der Unterschied zwischen uns Menschen ist nicht, ob wir blockiert sind oder im Fluss, sondern wo im Kreislauf wir blockiert sind.
Das kann ganz unterschiedlicher Art sein: Die erste Möglichkeit ist, eine Neigung zu einer der Phasen zu haben. Die zweite, die (Be-)Wertung des Gegenteils. Eine dritte, die nächste Phase anzustreben und sich gleichzeitig dagegen zu sträuben. Aus allen drei Möglichkeiten ergibt sich eine vierte, die verbreitete Angewohnheit des „Hin und Her“ (Looping).
Wir wollen jetzt die Arten, Brillanz zu blockieren, näher beleuchten und uns dann ansehen, wie man sie an jedem Punkt im Kreislauf erkennt. Sobald wir voll und ganz verstehen, wie und warum wir im Kreislauf blockiert sind und welchen Preis wir dafür zahlen, haben wir die nötige Einsicht für eine fast unendliche Vielfalt von Übungen und Regeln und sehen, wie sie ins Konzept passen.
Neigung, Vorliebe
Ein Grund, warum man an jeder Stelle des Kreislaufs stecken bleiben kann, ist, dass man dort immer noch tiefer eintauchen könnte. Da ist dieses Gefühl, dass man etwas noch nicht vollkommen erforscht hat. Die Versuchung ist stark, länger an der Stelle zu verweilen, statt im Kreis weiterzugehen.
Um 12:00 Uhr könntest du dich immer noch tiefer entspannen und dich in einen unendlich stillen meditativen Zustand versenken. Es gibt stets unendlich viel mehr Unendlichkeit.
Der kreative Prozess ist um 3:00 Uhr niemals abgeschlossen oder vollständig. Es könnten ständig noch mehr Songs geschrieben, mehr Dinge geschaffen, mehr herausgegeben werden.
Um 6:00 Uhr nimmt die Liste der zu erledigenden Dinge kein Ende. Mehr noch führt die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe häufig dazu, der Liste am Ende drei weitere Dinge hinzuzufügen.
Um 9:00 Uhr sind wir niemals mit der Arbeit an uns selbst fertig. Wir müssen immer noch mehr Dinge loslassen, uns noch mehr vervollkommnen.
In jeder einzelnen Phase des Zyklus gehst du weiter, nicht weil du fertig bist, sondern weil du erkennst, dass ein ausgeglichenes Leben erfordert, in allen Phasen zu leben – sonst bleibst du an irgendeinem Punkt des Kreislaufs auf unbestimmte Zeit stecken und bewegst dich dort in Endlosschleifen.
Urteil, Wertung
Ursache für die zweite Art stecken zu bleiben sind Urteile und Wertungen. Egal, wo im Kreis du dich am meisten festbeißt, der gegenüberliegende Punkt erscheint dir höchst fremd. Du (be-)wertest ihn und urteilst häufig auch über die Menschen, die sich dort befinden.
Streben/Widerstand
Die letzte Art stecken zu bleiben ist eine Mischung aus dem Wunsch, in die nächste Phase überzugehen, und Widerstand dagegen. Eine Haltung von „ich weiß, ich sollte weitergehen …, aber ich bin noch nicht fertig“. Du steckst in einer Phase fest, du strebst die nächste Phase im Kreis an, aber du hast Schwierigkeiten weiterzugehen. Du willst es und sträubst dich gleichzeitig dagegen. Ein Beispiel: Jemand, der bei 6:00 Uhr feststeckt, an seiner „To-do-Liste“ hängt, Dinge abhakt, weiß, dass er ausruhen sollte und es auch will, aber er verschiebt es immer wieder in die Zukunft.
Looping
Das führt zu der verbreiteten Angewohnheit des Looping, des Hin und Her, der Endlosschleife. Das heißt, du beginnst, dich durch den Kreislauf zu bewegen, was natürlich ist, um in Balance zu bleiben, aber du kommst nicht weit. Du kehrst immer wieder um und verfolgst deine Schritte zurück. So durchläufst du dieselbe Phase des Kreislaufs wieder und wieder – Looping ist ein verbreitetes Phänomen.
Das Gute an einem Modell wie dem Brillanz-Kreislauf ist, dass wir auf die Weise unsere Erfahrungen besser verstehen können, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht dogmatisch werden. Im Folgenden werden wir lernen, jede dieser Blockadearten in jeder Phase des Kreislaufs zu erkennen: Neigung, Urteil, Streben/Widerstand und Looping.
Bitte glaube mir nicht blind, sondern überprüfe immer selbst anhand deiner eigenen Erfahrung und frage dich, ob es stimmt. Sobald wir die Natur von Blockaden und Neigungen verstehen, können wir für den ganzen Kreislauf bewusste Übungen finden, um den Weg frei zu machen.
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