1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 In den Bildungserlassen der rund 230 Berufe der beruflichen Grundbildung ist der Leitgedanke der Handlungskompetenzorientierung inzwischen fest verankert. Allerdings zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass die konsequente Umsetzung eines handlungskompetenzorientierten Unterrichts mit Herausforderungen verbunden ist. Lehrpersonen übernehmen eine andere Rolle: weg von der reinen Wissensvermittlung, hin zur Begleitung in selbstorganisierten Lernprozessen mit Aufgaben, die sich auf reale Anforderungen im Arbeits- und Lebensalltag fokussieren. Ein solcher Unterricht erfordert nicht nur andere Kompetenzen, sondern auch andere didaktische Methoden, die oft mehr Zeit in Anspruch nehmen – und dies bei vollen Lehrplänen mit umfangreichen Stoffanforderungen. Hinzu kommt, dass auch Lernkontrollen und Qualifikationsverfahren im beruflichen wie allgemeinbildenden Unterricht handlungskompetenzorientiert gestaltet werden sollen. Eine von der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) in Auftrag gegebene Standortbestimmung macht mit Blick auf eine optimale und kohärente Umsetzung der Handlungskompetenzorientierung Schlüsselfaktoren auf allen Ebenen aus: eine konsequente Ausrichtung bei Berufsrevisionen, Good-Practice-Empfehlungen der Berufsfachschulkonferenzen, eine Verankerung der Handlungskompetenzorientierung in der jeweiligen Schulkultur, die adäquate Weiterbildung und Gewährleistung der Praxisnähe der Lehrpersonen sowie die Entwicklung geeigneter Lehrmittel (Schuler & Wettstein, 2020, S. 21 ff.).
Chancen: Mitsprache, Lernortkooperation, digitales Lehren und Lernen, Ausbildungsmodelle
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen: Worin bestehen nun die Chancen für die Berufsfachschulen der Zukunft? Wie kann es ihnen gelingen, ihre Position als zentraler Lernort im System der Berufsbildung noch zu stärken? Und welche Rahmenbedingungen werden auf Bundesebene[ 6] geschaffen, um die Berufsfachschulen adäquat in die Entwicklungsprozesse einzubinden?
1. Mehr Mitsprache auf nationaler Ebene und eigene Gestaltungsspielräume
Die bestehenden Gremien TR BS und Kommissionen B&Q für den Einbezug ihrer jeweiligen Expertise und Erfahrungswerte auf fachlich-operativer Ebene haben sich bewährt. Darüber hinaus hat das Nationale Spitzentreffen der Berufsbildung als höchstes verbundpartnerschaftliches Organ am 9. November 2020 auf Vorschlag des SBFI eine Optimierung der Governance beschlossen. Neu eingesetzt wird einerseits die tripartite Berufsbildungskonferenz (TBBK) als Gremium auf strategischer Ebene, das mit der verbundpartnerschaftlichen Vorbereitung des Spitzentreffens[ 7] betraut ist. Andererseits soll der Kontakt zur operativen Ebene intensiviert und verstärkt bottom-up bei den Akteuren der Berufsbildung Handlungsbedarf eruiert werden. Dazu werden neue Dialogforen geschaffen, unter anderem das Forum «Aus- und Weiterbildungsanbieter». Vertreterinnen und Vertreter der Berufsfachschulen erhalten dadurch Gelegenheit, direkt mit der strategischen Ebene (TBBK) in Kontakt zu treten, sich über aktuelle Themen und Aktivitäten auszutauschen, Stellung zu relevanten Geschäften zu nehmen und eigene Anliegen zu platzieren.
Abgesehen von diesem Einbezug in nationale Gremien können die einzelnen Berufsfachschulen in verschiedentlicher Hinsicht den ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraum (vermehrt) nutzen, um sich gezielt zu positionieren. Dabei sehe ich vor allem drei wesentliche Rollen der Berufsfachschulen, und zwar als:
– aktive Hüter und Gestalter der Lernortkooperation,
– Kompetenzzentren des digitalen Lehrens und Lernens und
– Impulsgeber für neue, innovative Ausbildungsmodelle.
2. Aktive Hüter und Gestalter der Lernortkooperation
Mit der Handlungskompetenzorientierung als übergeordnetem Leitprinzip wird die Kooperation zwischen den Lernorten zum Kernstück der beruflichen Grundbildung. Sie unterscheidet die duale Berufsbildung von anderen Bildungsangeboten, trägt zur Erreichung der Ausbildungsziele und damit zur Qualität der Berufsbildung bei und ist entwicklungsoffen für anstehende Veränderungen. In den Bildungsplänen ist klar festgehalten, dass die Vermittlung der erforderlichen Handlungskompetenzen eine gemeinsame Aufgabe von Schule, Betrieb und überbetrieblichen Kursen ist. Um dies zu gewährleisten, werden für jeden Lernort spezifische, untereinander abgestimmte Leistungsziele abgeleitet. Die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung der Lernortkooperation wird hingegen offengelassen. Das gilt ebenfalls für die Frage, wer in der Zusammenarbeit den Lead übernimmt, wobei das BBG (Art. 21 Abs. 6) darauf hinweist, dass die Berufsfachschule Koordinationsaufgaben im Hinblick auf diese Zusammenarbeit übernehmen «kann». Angesichts der Tatsache, dass sie im Dreiergespann der Lernorte die einzige vollamtliche Partnerin ist, erscheint sie prädestiniert dafür, dies auch aktiv zu tun.
Dieter Euler, emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik, Bildungsmanagement und Hochschulentwicklung an der Universität St. Gallen, sagte in einem Vortrag einst: «Berufliche Grundbildung funktioniert zwar auch ohne intensive Lernortkooperation. Aber Lernortkooperation ist ein Konzept, das die berufliche Grundbildung weiterbringen kann. Wer in der pädagogischen Champions League mitspielen will, sollte sie besser nutzen» (Euler, 2016). Als Faktoren, die eine Kooperation erschweren oder gar verhindern, nannte er die psychologische Distanz zwischen den Berufsbildungsverantwortlichen der jeweiligen Lernorte, die Einbusse von Autonomie angesichts nötiger Kompromisse, aber auch den kurzfristigen zeitlichen Aufwand, der sich erst mittelfristig auszahle.
Die (rechtlichen) Grundlagen für Lernortkooperationen sind geschaffen. Nun braucht es eine verstärkte Überzeugung, dass eine gelebte Zusammenarbeit für alle Involvierten einen Mehrwert bringt. Gerade mit Blick auf Lernende mit Schwierigkeiten oder Defiziten macht eine Kooperation besonders Sinn. Aber auch angesichts der Komplexität, die technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringen, ist es letztlich unabdingbar, die an den Lernorten vorhandene unterschiedliche Expertise zu verknüpfen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Digitale Tools können die Zusammenarbeit erleichtern, womit wir beim dritten Handlungsfeld wären, das den Berufsfachschulen Positionierungschancen bringt.
3. Kompetenzzentren des digitalen Lehrens und Lernens
Klar ist, dass es bei der Diskussion um den verstärkten Einsatz digitaler Technologien nicht allein um Ausstattungsfragen geht. Vielmehr ist ein Kulturwandel nötig, der neben der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen insbesondere eine Strategie erfordert, wie technologiegestütztes Lehren und Lernen gelingen kann. Denkanstösse dazu liefert ein vom Bund initiierter Bericht; beispielhaft seien hier einige Möglichkeiten genannt (Seufert, 2018, S. 32–46):
– Smart Classrooms und Kreativräume
Smart Classrooms verbinden das traditionelle Klassenzimmer mit technologischen Lernumgebungen. Genutzt werden zum Beispiel interaktive Whiteboards, digitale Wände oder sogar Roboter als Unterrichtsassistenz. Zukunftslabore[ 8] oder Makerspaces[ 9] schaffen Räume, in denen kreative Prozesse und neue Ideen entstehen. Lernen wird als entdeckendes, selbstgesteuertes Forschen und Ausprobieren verstanden.
– Flexible Bildungsformate
Blended Learning beispielsweise kombiniert Präsenzunterricht und E-Learning und setzt dabei auf verschiedene Lehr- und Lernmodalitäten beziehungsweise -medien. Flipped classroom bezeichnet eine Methodik, in der die Lernenden Inhalte zunächst selbst oder in Gruppen erarbeiten und anschliessend Feedback dazu erhalten.[ 10] Adaptive Lernsysteme stellen individuelle Inhalte und Übungen zur Verfügung, um gezielt Wissenslücken zu schliessen[ 11] oder die Ausschöpfung zusätzlicher Potentiale zu ermöglichen.
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