Josef Scherz:
Der Herzenfresser
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© 2017 edition a, Wien
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Cover: JaeHee Lee
Gestaltung: Lucas Reisigl
ISBN 978-3-90320-008-1
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
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Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war eine bewegte Zeit. Ganz Europa war im Umbruch: Die katholische Kirche verlor zunehmend ihre Macht, die Lutherischen marschierten unaufhaltsam vorwärts, das Gedankengut der Aufklärung verbreitete sich und die Industrialisierung begann.
Im österreichischen Kaiserreich regierte Maria Theresia und nachfolgend ihr Sohn Joseph II, der als ›Reformkaiser‹ in die Geschichte einging. Er drängte den Einfluss der katholischen Kirche zurück, entzog dem Adel Privilegien und baute das staatliche Bildungssystem aus. Während die Reformen in den Städten bald wirkten, ging es auf dem Land nur mühsam voran. Hier bestimmten noch immer Glaube, Aberglaube und der unheilige Verbund von Geistlichkeit und Adel das Leben und die Schicksale der Menschen.
Dieser Roman führt in diese Zeit, mitten auf dem Land, und basiert auf einem der grausamsten Fälle der europäischen Rechtsgeschichte. Einige Personen haben tatsächlich gelebt, andere sind frei erfunden.
(Anno 1753) Es war stockdunkel. Auf Zehenspitzen schlich Pfarrer Johannes vorsichtig durch den Flur seines Pfarrhauses. Er achtete auf seine Schritte. Schon ein leises Knarren des Dielenbodens konnte ihn verraten. Dann hielt er inne, atmete kurz durch, um gleich darauf seine Ohren zu spitzen. Lange vernahm er keinen Laut, doch auf einmal ein Rascheln. Und nun sah er auch den zuckenden Lichtschein einer Kerze, die durch den Türspalt der kleinen Kammer am Ende des Flurs schimmerte. Er näherte sich lautlos und spähte in die Kammer.
So ist das also.
Ein stattlicher Mann und eine junge Frau küssten sich innig und ließen sich dabei sanft aufs Bett niedergleiten. Der Mann begann, die Frau auszuziehen und liebkoste sie dabei zärtlich überall, wo er sie entblößte.
Dieses unschuldige Ding mit diesem Hurenbock!
Das Herz des heimlichen Beobachters pochte heftig, und er atmete schneller. Ob er es wollte oder nicht, was er sah, erregte ihn. In höchstem Maß. Er war ja auch nur ein Mann, selbst wenn er Gott diente. Verwirrt griff er nach dem Kruzifix an seiner Brust und küsste es – immer wieder.
Vergib mir, oh Herr!
Doch Pfarrer Johannes war unfähig, sich dem Anblick der Liebenden zu entziehen. Zärtlich streichelte der Mann nun die vollen Brüste seiner Gefährtin, fing an, daran zu saugen und schien nicht genug zu bekommen. Gleichzeitig streichelte er sie zwischen den Schenkeln und versuchte sie zu öffnen. Sie wehrte sich nur matt, was den Liebhaber ermutigte. Nun führte er ihre rechte Hand an sein erregtes Glied. Sie stöhnten beide auf, und er schob sich über sie. Ihr entfuhr ein kehliger Laut.
Dem Pfarrer stand der Mund offen, Speichel rann aus den Mundwinkeln. Er fuhr mit der Rechten unter seine Kutte und verschaffte sich Erleichterung. Dabei flehte er lautlos: Bitte, bitte vergib mir, oh Herr!
Als es vorbei war, schlich er hinaus in den Hof und richtete seinen Blick in den sternenklaren Himmel dieser lauen Sommernacht. Der Duft von Veilchen aus dem Garten stieg in seine Nase, und fröhlicher Lärm hallte zu der kleinen Anhöhe hinauf, auf der das Pfarrhaus stand. Es war der Tag des alljährlichen Dorffestes von Turnau, einem gottvergessenen kleinen Ort in den steirischen Bergen.
†††
Pfarrer Johannes hatte sich wieder unter die Feiernden im Dorf gemischt. Mitten im Gedränge packte ihn jemand von hinten am Arm und riss ihn herum. Noch ganz benommen, fühlte er sich wie ertappt.
»Endlich treffe ich Sie, Hochwürden«, sagte Gutsverwalter Hubertus Lafer, »der Herr Graf und ich wollten um diese Zeit längst wieder auf dem Rückweg nach Kindberg sein. Wissen Sie, wo er steckt?«
Pfarrer Johannes tat überrascht.
»Keine Ahnung. Er wird sich schon irgendwo hier finden.«
»Eben nicht. Ich habe ihn schon überall gesucht. Seine Frau Agnes wartet zu Hause, sie ist hochschwanger, sie bekommt bald ihr viertes Kind.«
Pfarrer Johannes schaute sich suchend um: »Wissen Sie was, wir beide trinken noch etwas zusammen, und inzwischen wird er schon wieder auftauchen.«
Lafer entspannte sich nicht: »Ihr Wort in Gottes Ohr! Aber Sie kennen die Gräfin nicht. Eine schwierige Person. Sie wird die Schuld bei mir suchen.«
Der Pfarrer hob beschwichtigend die Hand und schob Lafer in eine übervolle, verrauchte Wirtsstube. Am Schanktisch bestellte er zwei Schnäpse, die prompt serviert wurden, und erhob sein Glas. Kaum spürte er das wohlige Brennen in der Kehle, lallte ihm ein Kerl aus der Menge zu: »Grüß Gott, die Herren! Wohl bekomm’s!«
Pfarrer Johannes zuckte zusammen und zog Lafer zu sich heran.
»Ich glaube, wir sollten besser wieder gehen.«
Doch es war zu spät.
Der Kerl hatte sich schon zu ihnen durchgedrängt und streckte Lafer die Hand entgegen. »Gestatten, Bräuer mein Name, Andreas Bräuer. Ich versuche mich hier neuerdings als Dorflehrer.«
»Angenehm«, entgegnete Lafer, schlug ein, stellte sich vor und fügte hinzu: »Die Schulpflicht für alle hat Sie wohl zu uns geführt. Wozu diese verrückte Idee unserer Kaiserin gut sein soll, weiß wohl nur sie selbst.«
Bräuer ignorierte die spitze Bemerkung, grinste nur säuerlich und schaute um sich: »Und wo ist unser hochehrwürdiger Graf? Schließlich ist er ja der Ehrengast auf dem Fest.«
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte Lafer.
Pfarrer Johannes mischte sich nun ein: »Es war der Wunsch des Herrn Grafen, sich unter die Leute zu begeben.«
Bräuer runzelte die Stirn: »Aha, ganz allein?«
»Ja, ja, ganz allein«, antwortete Pfarrer Johannes.
Bräuer tat, als müsse er angestrengt überlegen, schnippte dann mit den Fingern: »Da fällt es mir justament wieder ein! Ich hab ihn gesehen. Da war er aber nicht ganz allein.«
»Wie, nicht ganz allein?«
Lafer war der süffisante Unterton nicht entgangen.
»Ach was«, sagte Pfarrer Johannes betont gelassen, »er war sicher nur in Begleitung von Maria, meiner neuen Magd am Pfarrhof … und … und hat sich von ihr ein wenig herumführen lassen. So, und nun wird Herr Bräuer wohl ohne uns auskommen müssen.«
Darauf zog er Lafer mit sich nach draußen.
»Was ist mit diesem Bräuer?«, fragte Lafer.
»Ach nichts weiter, nur ein unangenehmer Kerl«, antwortete Pfarrer Johannes und hätte sich dabei fast verschluckt.
†††
»Wir sollten uns wieder auf dem Fest sehen lassen, bevor es auffällt«, sagte Maximilian Graf zu Mürze zu seiner Bettgefährtin und schaute ihr liebevoll in die Augen. Dann erhob er sich und schlüpfte in seine schwarze Reithose.
»Dort sind um diese Zeit doch alle längst betrunken, und niemand kümmert sich darum«, entgegnete Maria, die aufgestanden war und nach seiner Hand griff. »Wie soll es mit uns weitergehn?«
Er entzog sich, knöpfte eilig sein weißes Hemd zu und fuhr in seine Stiefel. »Darüber muss ich nachdenken!«
»Nachdenken?«, fragte sie und bekam feuchte Augen.
Er wandte sich ihr zu, strich ihr über die Wangen und die langen blonden Haare. »Du weißt doch, ich habe Frau und Kinder.«
Nun rollten dicke Tränen über ihr Gesicht. Dieser Anblick war unerträglich für ihn. Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an seine Brust: »Beruhige dich doch. Ich verspreche dir, dass ich in Ruhe nachdenken werde, nach dem Fest. So, und jetzt zieh dich an und versprich mir, dass das hier unser kleines Geheimnis bleibt. Niemand darf davon erfahren.«
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