15
Im CoCom selbst erfolgte dann im Januar 1988 eine grössere Weichenstellung, welche insb. folgende vier Massnahmen betraf:[15]
1.Kürzung der Güterlisten;
2.Verstärkung der Kontrollen für die verbleibenden strategisch kritischen Güter;
3.Erleichterung des Handels von CoCom-Gütern zwischen den einzelnen Mitgliedern; und
4.Harmonisierung bei gleichzeitiger Verstärkung der gültigen Zollkontrollen und -verfahren in den einzelnen CoCom-Staaten.
16
Die Kürzung der Güterlisten bezog sich in erster Linie auf die Internationale Industrieliste, welche zuletzt die neun folgenden Produktkategorien umfasste:
–Hochleistungsstoffe,
–Werkstoffbearbeitung,
–Elektronik,
–Rechner,
–Telekommunikation und Informationssicherheit,
–Sensoren und Laser,
–Navigation und Avionik,
–Meeres- und Schiffstechnik sowie
–Antriebstechnik.[16]
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Die politischen und marktwirtschaftlichen Reformen in den mittel- und osteuropäischen Staaten und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, insb. aber die Auflösung des Warschauer Paktes, führten zu einer weiteren Lockerung der CoCom-Politik, welche sich einerseits in der Kürzung der CoCom-Listen niederschlug, andererseits aber auch in einer Vereinfachung der Bewilligungsverfahren.[17]
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Im November 1992 tagte erstmals ein auf Initiative der USA geschaffenes CoCom-Cooperations-Forum (CCF). Sein Ziel war es, neue Wege der Zusammenarbeit mit den Regierungen in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion, welche zu effektiven Reformen Hand boten, zu erarbeiten. Anlässlich eines gemeinsamen Treffens stellten die Mitgliedstaaten des CoCom den bisher von den Exportkontrollen betroffenen Staaten einen schrittweisen Abbau und schliesslich die Aufhebung der Kontrollen in Aussicht. Bedingung dafür war, dass sie den zivilen Endverbrauch der vom CoCom kontrollierten Waren und Technologien garantierten und darüber hinaus selbst wirksame Exportkontrollen einführten. Die diesbzgl. Vorschläge der von den Exportkontrollen betroffenen Staaten lösten grundsätzlich positive Reaktionen aus. Das CoCom wurde schliesslich am 31. März 1994 aufgelöst, noch bevor alle davon betroffenen Staaten selbst über wirksame Exportkontrollen verfügten.[18]
19
Aus neutralitätspolitischen Gründen konnte sich die Schweiz dem CoCom nie anschliessen. Im Hotz-Linder-Agreement von 1951[19] erklärte sie sich jedoch gegenüber den USA bereit, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass ihr Territorium nicht als Drehscheibe für eine Umgehung der CoCom-Kontrollen benutzt werde. Der Bundesrat argumentierte damals, dass ein Ausnutzen der Kontrollmassnahmen die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralitätspolitik, wonach die Schweiz sich grundsätzlich nicht an Embargomassnahmen einzelner Staatengruppen beteilige, beeinträchtigt hätte. Das erklärte Ziel der Schweiz war es, ihrer Industrie den undiskriminierten Zugang zu modernster Technologie in den CoCom-Staaten und insb. in den USA zu sichern, da der Zugang zu diesen Gütern für den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit der betroffenen schweizerischen Wirtschaftszweige von grösster Bedeutung war.[20]
20
Zum Erreichen dieser Ziele wurden 1951 folgende autonome Überwachungsmassnahmen getroffen:
1.Die Einfuhr bestimmter Waren wurde der amtlichen Überwachung unterstellt, und die Wiederausfuhr solcher Waren nur mit dem Einverständnis des Lieferlandes gestattet. Damit diese Massnahme durchgesetzt werden konnte, wurden sog. Einfuhrzertifikate ausgestellt. In diesen wurde gegenüber dem Lieferland amtlich garantiert, dass die Waren in die Schweiz eingeführt und ohne Einverständnis des Lieferlandes nicht wieder exportiert würden.[21]
2.Sodann wurden Vorkehrungen getroffen, die verhindern sollten, dass handelsbeschränkende Massnahmen des einen Mächteblockes gegenüber dem anderen durch Lieferungen von Gütern schweizerischen Ursprungs unterlaufen wurden. Um dies zu erreichen, wurde die schweizerische Industrie veranlasst, sich bei der Ausfuhr von kontrollierten Waren eine gewisse Selbstbeschränkung aufzuerlegen.[22]
3.1986 wurde das Überwachungssystem um ein beschränktes Durchfuhrverbot für Listenwaren ergänzt. Dieses kontrollierte die unrechtmässige Umleitung von Transitsendungen über die Schweiz, ohne jedoch die Durchfuhrmöglichkeiten unangemessen zu erschweren.[23]
4.1991 wurde die Möglichkeit geschaffen, die Wiederausfuhr ausländischer CoCom-Güter unabhängig vom Vorliegen eines Einfuhrzertifikates zu verweigern.[24]
21
Diese Massnahmen gewährleisteten den weitgehend undiskriminierten Zugang der schweizerischen Industrie zu hochsensiblen Gütern. Im Jahre 1991 wurde die Schweiz (zusammen mit Irland, Österreich und Finnland) von den USA in die Liste der Länder aufgenommen, die neben den CoCom-Staaten 90 Prozent der auf der CoCom-lndustrieliste befindlichen Güter unter einer sog. Generallizenz beziehen konnten. Das Erfordernis einer individuellen Ausfuhrlizenz und die Einreichung eines Einfuhrzertifikates waren damit obsolet geworden.[25]
22
Für die geschichtliche Betrachtung der Exportkontrollregelungen sind insb. die Umstände des CoCom-Endes von grosser Bedeutung. Das CoCom wurde wie bereits erwähnt auf gemeinsamen Beschluss seiner Mitglieder per 31. März 1994 aufgelöst, da es mit der Beendigung des Ost-West-Konflikts, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Sowjetunion, keine Aufgabe mehr hatte. Jedoch sahen die Mitglieder des CoCom bereits damals neue Probleme, u.a. in der Verfügbarkeit von Dual-Use Gütern, und beschlossen bei der Auflösung des CoCom, eine Nachfolgeorganisation zu gründen. Diese trug in der Vorbereitungsphase den Namen «New Forum» und sollte zur Vermeidung des Exports von konventionellen Rüstungsgütern und Waren oder Technologien in politisch unzuverlässige Entwicklungsländer und Schwellenländer wie Nordkorea, Irak oder Libyen dienen.[26] Das «New Forum» führte schliesslich als Nachfolgeorganisation des CoCom zur Vereinbarung von Wassenaar.[27]
23
Die Umstände der Auflösung des CoCom sowie die Ende der Achtziger- resp. Anfang der Neunzigerjahre in Kraft getretenen Exportkontrollmechanismen (worauf sogleich zurückgekommen wird) zeigen deutlich auf, dass die Ost-West-Kontrollen durch Nord-Süd-Kontrollen ersetzt wurden[28], welche auch heute noch einen zentralen Inhalt der Exportkontrollen darstellen.
24
Bei den in den CoCom-Listen aufgeführten Gütern, welche im Übrigen in fast allen Mitgliedstaaten in nationale Kontrolllisten umgesetzt wurden, handelte es sich weitgehend um verhältnismässig klar definierte Erzeugnisse, so etwa bestimmte Chemikalien oder ihre Vorprodukte sowie Spaltmaterial oder Ausrüstung für dessen Erzeugung. Der Anteil von Dual-Use Produkten war zwar bereits damals beträchtlich, allerdings handelte es sich um strategische Dual-Use Güter, also solche, welche mehr oder weniger unmittelbar sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden konnten.[29] Die Erkenntnis, dass v.a. die Zahl der Länder der Dritten Welt zunahm, die technisch in der Lage waren, sich ihre Massenvernichtungswaffen und die dazu erforderlichen Trägersysteme (Raketen) bereits aus Komponenten herzustellen, hat nicht nur den Kontrollbedarf für strategische Dual-Use Waren verschärft. Diese Erkenntnis hat auch dazu geführt, bereits einfache Erzeugnisse bei der Ausfuhr in bestimmte Länder zu überwachen, wenn sie für den Einsatz in proliferationsverdächtigen Projekten geeignet sind. Letztlich führte dies zum folgenden Paradigmenwechsel in der Exportkontrolle von Dual-Use Gütern: Basierte die Exportkontrolle in der Vergangenheit vorwiegend auf produktbezogenen Kontrollen , so wird sie heute auch um verwendungsbezogene Kriterien ergänzt.[30], [31]
25
Der Zeitpunkt der Entstehung der Exportkontrolle für Dual-Use Güter nach heutigem Verständnis wird unterschiedlich definiert. Gemäss der Botschaft zum GKG waren es die Ereignisse im Persischen Golf im Jahre 1990 (die Besetzung Kuwaits durch den Irak unter Saddam Hussein), welche den Bundesrat veranlassten, am 12. Februar 1992 die ABC-Verordnung zu erlassen.[32] Diese Verordnung galt allerdings nur als Provisorium bis zum Inkrafttreten des GKG vom 13. Dezember 1996, welches am 1. Oktober 1997 in Kraft trat. Für Deutschland darf der 1. April 1992 als Stichtag angegeben werden, da an diesem Tag das BAFA als zentrale Genehmigungsbehörde gegründet wurde.[33] Auslöser war u.a., dass der Irak mit Hilfe von westlichen Zulieferern in Samarra eine Giftgasfabrik errichtet hatte, was 1984 aufgedeckt wurde. Der berühmte Tropfen jedoch, der das Fass schliesslich zum Überlaufen brachte und in Deutschland zur heutigen Form der Exportkontrolle führte, war der Fall Rabta. Zu Beginn des Jahres 1989 erschien in verschiedenen Medien die Meldung, deutsche Unternehmen hätten die damalige libysche Regierung von Muammar Gaddafi beim Bau einer Chemiewaffenfabrik in der etwa 85 km südlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Stadt Ain er Rabta unterstützt. Die New York Times bezeichnete die Anlage am 2. Januar 1989 gar als «Auschwitz-in-the-sand».[34] Obwohl offensichtlich polemisch[35] und mit dem Ziel, Deutschland mit seiner Vergangenheit aus der NS-Zeit zu diffamieren und moralisch unter Druck zu setzen, zeigte diese Massnahme Wirkung, denn die Regierung der BRD geriet unter starken internationalen Druck, ihre Exportkontrolle neu zu regeln.[36] Die Gründung des BAFA wird deshalb selbst von seinem ehemaligen Direktor, WOLFGANG DANNER, als Befreiungsschlag der Deutschen Bundesregierung bezeichnet.[37]
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