§ 4 Haftungsrechtliche Vorüberlegungen
Als Basis für die sich in den folgenden Kapiteln anschließende materiellrechtliche Untersuchung rechtlicher Verantwortlichkeit soll zunächst einmal eine rein abstrakte Betrachtung der grundlegenden haftungsrechtlichen Strukturen des Straßenverkehrsrechts unter Berücksichtigung des Herstellers als zusätzliche Haftungspartei dienen. Diese Strukturen betreffen zum einen das (Außen-)Verhältnis von Schädiger(n) und Geschädigtem, ebenso aber auch das (Innen-)Verhältnis mehrerer in Betracht kommender verantwortlicher natürlicher oder juristischer Personen. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen und seiner Zweckbestimmung ist es Aufgabe des zivilrechtlichen Haftungsrechts, innerhalb dieser Beziehungen einen gerechten Schadensausgleich zu finden.130 Gemeint ist damit einerseits die Kompensation des Schadens im Außenverhältnis zum Primärgeschädigten, andererseits die Verteilung von Haftungsrisiken unter den Schädigern im Innenverhältnis.131
130Larenz/Canaris, Schuldrecht BT Band II/2, § 75 I S. 354; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 9; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 43; Wagner, in: MüKo BGB, vor § 823 BGB Rn. 43. 131Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 9; Jansen, Die Struktur des Haftungsrechts, S. 43.
A. Fahrer- und Herstellerhaftung als Regressinstrument
Im Außenverhältnis stehen dem Geschädigten grundsätzlich alle Parteien des dreigliedrigen Haftungsgefüges, bestehend aus Halter, Fahrer und Hersteller, gleichermaßen für eine Inanspruchnahme zur Verfügung.132 Sofern die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, haften die drei Parteien dem Geschädigten gegenüber als Gesamtschuldner, §§ 840 I, 421 BGB.133 In der Praxis hat dieser Umstand indes wenig Bedeutung, weil sich der Geschädigte berechtigterweise zuallererst an den Halter als denjenigen Haftungsgegner mit der niedrigsten Haftungsschwelle wenden wird.134 Der Halter kann dann wiederum im Innenverhältnis zu Fahrer und Hersteller des Unfallfahrzeugs Regressansprüche geltend machen. Die Frage nach der derzeitigen Fahrer- und Herstellerhaftung als einer der wesentlichen Aspekte dieser Arbeit berührt folglich weniger die Interessenlage des Geschädigten als das Interesse des Halters an einem gerechten Schadensausgleich. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Verständlichkeit halber hier dennoch das – rein rechtlich ja bestehende – Außenverhältnis von Geschädigtem zu Fahrer und Hersteller untersucht wird. Dabei muss dann nur im Hinterkopf behalten werden, dass etwaige Haftungsbeschränkungen auf das Innenverhältnis „durchschlagen“ und in der Praxis regelmäßig erst hier ihre Wirkung entfalten.
132Greger, in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, § 36 Rn. 3; Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, StVR, § 18 StVG Rn. 14; Vieweg, in: Staudinger BGB, § 840 BGB Rn. 93. 133Sog. Haftungseinheit, BGH, NJW 2006, 896 (896f.); Wagner, in: MüKo BGB, § 840 BGB Rn. 29; Gehrlein, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, § 426 BGB Rn. 12; der Haftpflichtversicherer bildet gem. § 115 I S. 4 VVG dagegen nur mit dem Versicherungsnehmer eine Haftungseinheit, dazu Heinemeyer, in: MüKo BGB, § 421 BGB Rn. 47. 134Greger, NZV 2018, 1 (4); Pehm, IWRZ 2018, 259 (264).
B. Das Versicherungsprinzip
Die straßenverkehrsrechtliche Haftung ist in Deutschland traditionell an einen mittlerweile extrem ausgeprägten Haftpflichtversicherungsschutz gekoppelt.135 Nach § 1 PflVG ist jeder Halter eines Kfz zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet, die sämtliche durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Personen-, Sach- und Vermögensschäden abdeckt. Das Versicherungsprinzip wird durch automatisierte und autonome Fahrfunktionen nicht durchbrochen, ein „Gebrauch“ liegt mithin auch dann vor, wenn das Fahrzeug systemisch, d.h. nicht menschlich, gesteuert wird.136 Weil der Geschädigte die Versicherung des Halters gem. § 115 I VVG direkt in Anspruch nehmen kann, wird das eben dargestellte dreigliedrige Haftungssystem bei Vorliegen eines Versicherungsfalls um die Partei des Versicherungsträgers ergänzt. Im Innenverhältnis ist der Versicherer gegenüber dem Halter gem. § 116 I S. 1 VVG allein zur Schadenstragung verpflichtet; eine Regressmöglichkeit kann sich aber gleichwohl gegenüber dem Fahrer oder Hersteller aus § 86 I S. 1 VVG i.V.m. §§ 840 I, 426 BGB ergeben. Unter diesem Gesichtspunkt stellen sich die Fahrer- und Herstellerhaftung also eigentlich nicht einmal als Regressinstrument des Halters, sondern lediglich seiner Versicherung dar.137
Genauso wie auf Seiten des Regressgläubigers eine Versicherung auftritt, wird auch auf Seiten des Regressschuldners nicht der Hersteller persönlich, sondern im Regelfall seine Betriebs- oder Produkthaftpflichtversicherung für einen Schaden aufkommen.138 Schlussendlich wären in einem Haftpflichtprozess für fehlerhaft agierende Systeme weder der Halter noch der Hersteller direkt beteiligt. Soll ein Ausgleich zwischen zwei Versicherungsträgern stattfinden, ist es in der Praxis nicht unüblich, dass es überhaupt nicht zu einem Prozess kommt, sondern eine Einigung aufgrund eines sog. „Schadensteilungsabkommens“ erzielt wird.139 Dabei übernimmt die Haftpflichtversicherung einen vertraglich festgelegten, pauschalisierten Prozentsatz der Schadenskosten, der auf statistischen Erfahrungswerten basiert.140 Wesentlicher Vorteil eines solchen Rahmenvertrages ist es, dass die Rechtslage für eine bestimmte Art von Schadensfällen nicht in jedem Einzelfall neu geprüft und langwierig gerichtlich festgestellt werden muss.141 Da das automatisierte Fahren aber noch in den Kinderschuhen steckt und in Deutschland diesbezüglich noch keine gerichtliche Entscheidung, geschweige denn eine gefestigte gerichtliche Praxis zu einer relevanten Rechtsfrage existiert, anhand derer sich die Quoten eines Teilungsabkommens richten könnten, dürfte eine pauschalisierte Schadensabwicklung aktuell noch schwer durchzuführen sein.
Der Haftpflichtversicherungsschutz des Halters endet, sobald kein Versicherungsfall mehr vorliegt. Als Versicherung für Fremdschäden deckt eine Haftpflichtversicherung keine Schäden ab, die beim versicherten Kfz selbst eintreten.142 In einem solchen Fall bleibt dem geschädigten Halter dann nur – vom eventuellen Bestehen einer freiwilligen Kaskoversicherung einmal abgesehen – die direkte Inanspruchnahme des Fahrers oder Herstellers.143
135Dazu ausführlich Barner, Die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter. 136Notthoff, r+s 2019, 496 (498); Singler, NZV 2017, 353 (354); Greger, NZV 2018, 1 (5); vgl. schon für Fahrerassistenzsysteme Walter, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, § 7 StVG Rn. 291; Hammel, Haftung und Versicherung bei Personenkraftwagen mit Fahrerassistenzsystemen, S. 242. 137Greger, NZV 2018, 1 (5); Kreutz, in: Oppermann/Stender-Vorwachs, Autonomes Fahren, 2. Auflage, S. 192. 138Wagner, AcP 2017, 707 (760). 139Wagner, AcP 2017, 707 (761); Grundmann, in: MüKo BGB, § 276 BGB Rn. 148. 140Wandt, Versicherungsrecht, Rn. 1034; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 786. 141Wandt, Versicherungsrecht, Rn. 1034; Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 367. 142Walter, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, § 7 StVG Rn. 291. 143Wagner, AcP 2017, 707 (761).
§ 5 Haftungsrisiken de lege lata für Halter und Fahrer
Beginnen soll die Untersuchung mit der derzeitigen Haftungssituation für Fahrer und Halter, die sich primär aus dem Straßenverkehrsrecht, sekundär aus dem allgemeinen Deliktsrecht ergibt.
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