Gesetzt den Fall, dass die Technik tatsächlich signifikant sicherer ist als der menschliche Fahrer, wäre die zulassungsrechtliche Beschränkung auf autonome Fahrzeuge in (ferner) Zukunft also durchaus ein zulässiges Mittel.
Viele Menschen, viele Staus, wenig Platz: Die Verstopfung der Städte hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. In Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner 692 Fahrzeuge, über 57 Millionen insgesamt.101 Bauliche Maßnahmen wie die Erweiterung von Straßen und Parkflächen sind aus Platzgründen beschränkt und geraten in Konflikt mit Umweltbelangen und dem ebenfalls stetig wachsenden Bedürfnis nach städtischem Wohnraum. Vor allem unsere Großstädte tragen die Last eines Stadt- und Mobilitätskonzeptes, das längst nicht mehr im angemessenen Verhältnis zum Wachstum der Städte steht. Wir brauchen die „Mobilitätseffizienz-Revolution“.102 Weniger Fahrzeuge durch attraktive öffentliche Verkehrsmittel und ein intelligentes Car-Sharing Angebot, lautet hier der erste Ansatz. Gestaltet man etwa das Verkehrsaufkommen nachfrageorientiert, wären die Autos dort, wo sie gebraucht werden. Keine Wartezeiten, kein stundenlanges „Herumstehen“ der Fahrzeuge mehr. Die Autonomisierung des Straßenverkehrs nimmt bei dieser Idee eine Schlüsselrolle ein. „Robo-Taxis“ würden dabei ständig in Bewegung bleiben und wären nicht mehr an eine bestimmte Person oder Personengruppe gebunden, sondern dienten nur dem Zweck einer effektiven, punktgenauen Beförderung.103
Das Bild eines vollautonomen, rein zweckgebundenen Straßenverkehrs mag zwar als praktisch nicht umsetzbar erscheinen, der Grundgedanke lässt sich aber durchaus auf das Mobilitätskonzept von morgen übertragen. Autonome Fahrzeuge kennen die effektivste Route, können so Staus und anderen Verkehrsbehinderungen ausweichen, was zur Reduzierung ebendieser führt. Durch eine vernetzte Infrastruktur kommt es zu weniger Lücken zwischen den Fahrzeugen, wodurch der Straßenverkehr harmonisiert wird und so etwa mehr Fahrzeuge über eine grüne Ampel fahren können.104 Durch die effizientere Nutzung von Verkehrsräumen ist es ebenfalls denkbar, dass autonome Fahrzeuge weitaus weniger Fläche benötigen und so sogar ein Rückbau der Straßenflächen möglich wäre.105
Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt ist der durch den Wegfall der Fahraufgabe entstehende erhebliche Zeitgewinn für den Fahrer, nämlich einerseits die Zeit, die er zur Bewältigung der Fahraufgabe aufwendet, in der er also aktiv Gas gibt, bremst und lenkt, um an sein Ziel zu gelangen. Hinzukommt andererseits diejenige Zeit, in der der Fahrer diesen Aufgaben nicht nachkommt, die er aber trotzdem in seinem Auto verbringen muss, weil er etwa an der Ampel oder im Stau steht. Hierzulande verbringt ein Autofahrer durchschnittlich 36 Stunden pro Jahr im Stau.106 Aber auch die Zeit, die wir nicht im Stau verbringen, wird nicht unbedingt effektiv zur Fortbewegung von A nach B genutzt: 41 Stunden im Jahr sind wir auf der Suche nach einem freien Parkplatz.107 Dementsprechend viel Potential bietet das autonome Fahren auch in Hinblick auf ein effektiveres Zeitmanagement.
Natürlich sind die Möglichkeiten, die gewonnene Zeit anderweitig zu nutzen, limitiert. Trotzdem erscheint der neue Freiraum durchaus attraktiv: So könnte das autonome Fahrzeug als „mobile Office“ oder als Erholungs- und Schlafmöglichkeit dienen. Die neuen Nutzungsmöglichkeiten könnten zudem auch einen positiven Effekt auf die räumliche Stadtentwicklung haben. So wäre es zum Beispiel nicht mehr zwingend erforderlich, in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes zu wohnen, wenn die Fahrtzeit bereits zur Erledigung der Arbeit genutzt werden könnte. Die Folge wäre eine Verbesserung der Wohnraumsituation in den Innenstädten und eine gleichzeitige Aufwertung ländlicher Regionen.108
Durch niedrige Geburtenraten und steigende Lebenserwartungen wird die Anzahl älterer Menschen in den nächsten Jahrzehnten stark anwachsen. Schon bis 2030 soll sich der Anteil der über 65-Jährigen um ein Drittel erhöhen und dann 28 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.109 Viele dieser Menschen sind physisch nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen. Eine schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gerade in den ländlichen Regionen reduziert zusätzlich die Mobilität und die Teilhabe am öffentlichen Leben insgesamt. Ein Großteil unserer Bevölkerung sieht das autonome Fahren als mögliche Lösung dieses Problems an.110 Aber nicht nur ältere Menschen können profitieren. Jegliche Personengruppen, die heute aus physischen oder psychischen Gründen nicht am Straßenverkehr teilnehmen können, werden (wieder) mobil. Zu denken ist hier an Kinder und Jugendliche ebenso wie an Kranke oder Personen mit einer Behinderung.
Die Faktoren der verkehrsbedingten Umwelteinflüsse sind vielfältig. Als primäre Maßnahme gegen die fortschreitende Umweltverschmutzung durch Kraftfahrzeuge gilt in erster Linie der Umstieg auf die Elektromobilität.111 Aber auch ein Elektrofahrzeug fährt nicht völlig klimaneutral, sondern ist nur so grün wie der Strom, der zum Betrieb, zur Produktion und zur Entsorgung des Fahrzeugs benötigt wird.112 Elektromobilität ist deshalb zumindest in absehbarer Zeit nicht gleichbedeutend mit Klimaneutralität; sogar unter der Prämisse, dass wir in Zukunft vollständig auf Verbrennungsmotoren verzichten. Aus diesem Grund können und müssen auch andere Faktoren einen positiven Einfluss auf die Klimabilanz des Straßenverkehrs nehmen. Das automatisierte und insbesondere das autonome Fahren kann daran insofern teilhaben, als sich die Anzahl der auf der Straße befindlichen Fahrzeuge voraussichtlich reduzieren lässt.113 Zusätzlich wird die effiziente Fahrweise den heutigen fahrerbedingten Schwankungen des Kraftstoffverbrauches114 ein Ende bereiten. Auf der anderen Seite jedoch könnten der neue Komfortgewinn und der geringe Zeitverlust durch den Transport dazu führen, dass das Auto – mehr als ohnehin schon – vermehrt auch auf Kurzstrecken zum Einsatz kommt.115 Hinzukommt die Nutzung derjenigen Personen, die heute alters- oder krankheitsbedingt auf ein Fahrzeug verzichten müssen. Im Zuge des demografischen Wandels wird sich dieser Personenkreis in Zukunft weiter vergrößern.
Der Einfluss des autonomen Fahrens ist im Ergebnis folglich schwer zu prognostizieren. Entscheidend wird die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende sein, von der es letztlich abhängt, ob elektrische Fahrzeuge klimaneutral fahren können oder nicht. Werden weiterhin fossile Energien genutzt, so eröffnet sich zwar Energiesparpotential durch die Effizienz der Fahrzeuge und der gesamten Verkehrsinfrastruktur, die neue Bequemlichkeit des Fahrens und der erweiterte Nutzerkreis können die Bilanz aber stark trüben.
II. Risiken
1. Verlust an Fahrfertigkeiten
Der Feierabendverkehr zur Rush-Hour, Stop-and-Go auf der Autobahn, Fahrten bei dichtem Nebel oder Eisesglätte: Schön, wenn wir in Zukunft schwierige und stressige Verkehrssituationen nicht mehr selbst bewältigen müssen. Das kann über Monate oder sogar Jahre einwandfrei funktionieren. Bis wir aber wirklich autonom fahren, kann sie jederzeit kommen, die Aufforderung des Systems zur Übernahme der Steuerung. Und plötzlich werden uns in einer brenzligen Situation Fähigkeiten abverlangt, die wir irgendwo tief unter der großen Vielfalt des Infotainmentsystems vergraben haben. Die Gefahr besteht in dem Verlust der heute für viele selbstverständlichen Kompetenz des sicheren Autofahrens.116 Wenn wir auf der einen Seite von einer Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit sprechen, wenn wir automatisiert oder autonom fahren, so heißt dies auf der anderen Seite auch, dass die Gefährdung des Straßenverkehrs zunehmen kann, wenn wir plötzlich wieder selbst fahren müssen. Den Zusammenhang zwischen automatisierten Systemen und dem Verlernen von essentiellen Fahrfertigkeiten zeigt eine 2018 veröffentlichte OECD-Studie: Danach laufen sogar erfahrene und normalerweise eher defensive Fahrer erhöhte Gefahr, bei einer Übernahmesituation falsch zu reagieren.117 Die Situation weist eine gewisse Vergleichbarkeit zum Autopiloten in Flugzeugen auf.118 Piloten aber trainieren explizit den Gebrauch des Autopiloten und die Übernahmesituation.119 Eine solche Vorgehensweise ließe sich auf das automatisierte Fahren übertragen.120
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