Volkmar Braunbehrens - Lorettoberg

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Der Hamburger Modezar Karl Legrand hat seine Firma verkauft und eine der prächtigen Villen am Freiburger Lorettoberg als Ruhesitz erstanden. Doch am Morgen nach der pompösen Einweihung wird er tot im Garten gefunden. Als es kurz darauf ein weiteres Opfer gibt, welches mit derselben Waffe erschossen wurde, übernimmt Kommissar Grabowski die Ermittlungen. Diese führen ihn von Freiburg schließlich bis nach Hamburg, Berlin und Mailand …

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Volkmar Braunbehrens

Lorettoberg

Kriminalroman

Impressum Personen und Handlung sind frei erfunden Ähnlichkeiten mit lebenden - фото 1

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Neuausgabe 2021

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © luciferfotolia / Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4146-2

Erster Teil

Anfang April 2008

I.

Eilig hatte er es nicht, das konnte man sehen. Er bewegte sich mit ruhiger Bestimmtheit, als er zu seinem Auto ging, das vor der von Fußweg und Straße etwas eingerückten Garage stand, einem älteren Mercedes-Modell, das bereits ein History-Nummernschild verdient hätte. Er hatte einen federnden Schritt, nicht sportlich, aber gelenkig und sichtlich ohne die Einschränkungen des Alters, denn er mochte schon um die 70 sein. Die aus der Stirn nach hinten frisierten Haare waren noch immer in kräftigem Schwarz grundiert, aber mit etlichen weißen Strähnen durchmischt. Der gleiche Farbkontrast schimmerte aus einem schmalen Oberlippenbart, der das schon faltige, markant längliche Gesicht mit einem starken Querstrich versah und die große, aber schmale Nase damit etwas entwertete, jedoch den lebhaften kleinen Äuglein, die tief und dunkel in ihren Höhlungen lagen, optisch einen festeren Halt in einer wirkungsvollen Gesichtskomposition gab. Groß gewachsen und sehr dünn, ohne im Mindesten kränklich auszusehen, wirkte er wie ein soignierter Herr, der durch seine ganze Erscheinung Distanz und Respekt ausstrahlte, dabei mit freundlicher Aufmerksamkeit und ohne jede Arroganz.

Seine Kleidung war leger, aber überaus gepflegt. Ein helles, leicht knittriges Leinenjackett mit Hornknöpfen, grünen Paspelierungen und aufgesetzten Taschen, wie man es in teuren Salzburger Geschäften finden konnte, abgeleitet von der alpenländischen Tracht und zugleich modisch so verwandelt, dass es mit bäurischem Stil nichts mehr gemein hatte. Dazu eine dunkelgraue, weich fließende, wohlgebügelte Hose und rötlichbraune, elegante Lederschuhe italienischer Provenienz. Zum blau-weiß gestreiften Hemd ohne Versteifungen an Kragen und Manschetten trug er eine einfarbige grüne Wollkrawatte, deren Knoten etwas zu voluminös geraten war und den überaus dünnen Hals dadurch noch mehr zur Geltung brachte.

Er legte eine kleine Aktentasche auf die Rückbank des Wagens, eigentlich eher eine schon etwas abgewetzte Kollegmappe ohne Griff aus schwarzem Leder, die man im Arm tragen musste und die nur wenige Blätter aufnehmen konnte, außerdem einen hellen Staubmantel, den man an diesem warmen und hellen Tag vermutlich gar nicht brauchte, und zwängte seine hohe Erscheinung mit geübter Geschmeidigkeit auf den Vordersitz. Über dem Armaturenbrett lagen griffbereit ein paar alte Lederhandschuhe, deren Handinnenfläche aus geflochtenem Baumwollfaden gewirkt war. Erst nachdem er sie sorgfältig übergestreift hatte, ließ er den Motor an, warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel und fuhr sehr bedächtig los.

Der Kapellenweg war eine nur von Anwohnern frequentierte schmale Gasse, die sich in scharfen Kurven den Berg hinaufschlängelte. Teilweise war sie von hohen Stützmauern aus Sandsteinquadern gesäumt, die sich öfters zu Garageneinbuchtungen zurückzogen, oder von gemauerten Garteneinfriedungen und kunstvoll geschmiedeten Gittern begleitet. Hohes Buschwerk und Pflanzenzäune verwehrten die Sicht auf die Villen oder ließen nur üppige Dachformen mit verspielten Treppentürmen oder Erkerbewehrungen erkennen. Doch zwischen den Dächern bot der ganze Hang einen berauschenden Blick auf die Stadt, die sich in nordöstlicher Richtung wie in eine Kuhle zwischen die umgebenden Berge nistete. Schon vor über hundert Jahren waren hier Landhäuser und Villen in großzügig bemessenen parkartigen Gärten entstanden. Sonst hatte überall der Bedarf an Bauplätzen zur Verkleinerung der Grundstücke und einer Durchmischung mit modernen Wohnbauten geführt, doch hier oben war alles beim Alten geblieben, eine Art Dornröschenberg aus einer vergangenen Zeit. So waren allzu grobe Eingriffe in diese weiträumige Parklandschaft vermieden worden, obschon andere, ebenso recht ansehnliche Stadtteile mancherlei hässliche Verdichtungen hinnehmen mussten. Hier oben wohnten Leute, die nicht leichtfertig ihre Grundstücke an Bauunternehmer und Investoren verkauften. Sei es, weil sie es nicht nötig hatten und ihren Familienbesitz zusammenhielten, oder aber auch, weil sich immer wieder Käufer fanden, die geradezu horrende Preise für ein schlossähnliches Anwesen – oder was man dafür hielt – und das dazugehörende Gelände mit altem Baumbestand zu zahlen bereit waren, um es zu sanieren und zu pflegen. Mochten früher einmal vor allem Fabrikanten und Geschäftsleute ihren verschwenderischen Lebensabend hier genossen haben, so waren es seit einigen Jahrzehnten vor allem Anwälte und Zahnärzte, die an diesem Ort lebten. Und da zumindest die Zahnärzte, wie man weiß, nicht mehr zu den Bestverdienern gehören, wird bald ein neuer Zweig von Einkommensaufsteigern sich hier niederlassen und weiterhin dafür sorgen, dass alles ungeteilt erhalten bleibt, am besten unter Denkmalschutz, schon aus Gründen steuerlicher Absetzbarkeit.

Wenn er in der Stadt zu tun hatte, ging er fast immer zu Fuß. Er war ein begeisterter Spaziergänger, man konnte es seinem elastischen Schritt ansehen. Die Augen weit umherschweifen lassend, entging ihm nichts an den täglichen Veränderungen und Neuigkeiten. Er kannte alle, die hier wohnten oder vorbeigingen, grüßte jovial, blieb auch zu einem kleinen, freundlichen Wort stehen, wenn es sich so ergab. Er mochte das nicht missen. So holte er den Wagen nur aus der Garage, wenn es eine Besprechung an einem Ort gab, der nicht gut zu erreichen war, außerhalb des öffentlichen Nahverkehrs lag. Fernreisen unternahm er ohnehin nur mit der Bundesbahn.

Die Straße war steil und eng. Er fuhr im Schritttempo, bedächtig und vorsichtig. Die Haarnadelkurve war sehr unübersichtlich und oft genug kam es vor, dass gerade dort ein mit den Örtlichkeiten nicht Vertrauter entgegenkam, viel zu schnell die Kurve nahm und man gezwungen war, heftig zu bremsen. Aber jetzt gegen die Mittagszeit war niemand unterwegs, auch der Weg für die Fußgänger, rechts neben der Straße, war menschenleer. Kein Auto parkte unvorschriftsmäßig. Ein heiterer Spätvormittag in träger Ruhe. Weiter unten, wo es geradeaus ging und nicht mehr ganz so steil war, stand ein schwarzes Auto in einer Garagenbucht, gegenüber ein Magnolienbaum, der seine rostbraunen Spitzen über den Zaun bis auf den Gehweg reckte. Vor zwei Wochen war er über Nacht voll aufgeblüht, abends waren die Knospen noch zu und ließen die weißen Blütenblätter erst erahnen, am nächsten Morgen war alles fleischig aufgeplatzt und mischte in das Weiß ein zartes Altrosé, prächtig aufgeplustert und in verschwenderischer Üppigkeit. Und dann hatte es über Ostern einen neuen Wintereinbruch gegeben und der Schnee hatte sich wie ein Leichentuch über die ganze Region gebreitet. Die frühen Blüten hatten diesen jähen Kälteüberfall nicht ausgehalten und waren innerhalb weniger Stunden abgefallen. Als wüster, schmierig-brauner Moder bedeckten ihre Reste den Boden. Jedes Mal, wenn er seitdem vorbeikam, dachte er an dieses vorzeitige Ende allzu früher Pracht.

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