Volker Dützer
Die Ungerächten
Roman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Daniel Abt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Tony Hisgett; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lufthansa_Ju_52_3_(7576559812).jpg
ISBN 978-3-8392-6874-2
Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein
(Mahatma Gandhi)
Charaktere in der Reihenfolge ihres Auftritts
Historische Personen sind mit einem * gekennzeichnet.
Hannah Bloch: Halbjüdin
Ruth Obermayer: Hannahs beste Freundin
Scott Young alias Walter Ritter: Lieutenant der US-Army
Rolf Heyrich alias Paul Schneller: SS-Oberscharführer
Pawel Kowna alias Jakob Demsky: ehemaliger KZ-Häftling
Gerhard Theissen: SS-Hauptscharführer
Gustav Bolkow: Kapo im KZ Sachsenhausen
Anton Kaindl*: Lagerkommandant des KZ Sachsenhausen
Milena Kowna: Pawels Schwester
Josef Kowna: Pawels Vater
Hannelore Kowalski: Oberschwester der Zwischenanstalt Herborn
Dr. Werner Heyde* : Obergutachter der Aktion T4
Joschi: Hannahs stummer Beschützer
Claudius Brendel: katholischer Pfarrer
Hartmut Mitschke: Schrotthändler
Fritz Brunner: ehemaliger Leiter des Anstaltswesens Hessen-Nassau und Landesrat
Max Pohl: Kurierflieger
Esther Olszewski: Pawels Geliebte
Ari und Jaron: Esthers Freunde
Harald Lenz: Staatsanwalt
Heinz Borsig: Brunners Adjutant
Georg Quabbe*: Generalstaatsanwalt in Hessen
Walter Schellenberg*: Chef des SD
Bernhard Krüger*: SS-Sturmbannführer
Friedrich Schwend*: SS-Sturmbannführer
Gisela Wollner: Lenz’ Sekretärin
Rudolf Aschenauer*: Strafverteidiger
Gräfin Cornelia von Gessnitz: Gründerin der Stiftung »Heilende Hände«
Rudi Voss (der Köter): Bandenchef
Kalle: Ruths rechte Hand
Robert Hornickel, genannt Bommi: Wirt des Klävbotz
Leni: ehemalige Köchin in Brunnes Haus
Heinrich Richter (Hein das Wiesel): ein alter Feind Hannahs
Walter Menzel: korrupter Angestellter des Passamts
Vincent Kollweit: Domvikar
Major Foley: Scotts Vorgesetzter in Boston
Frederic de Stuyvens: Ruths Liebhaber
Captain Miller: Scotts Vorgesetzter in Frankfurt
Bischof Alois Hudal*: Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom
Pater Ansgar: Prior von St. Markus
Robert Krüger: ehemaliger Gestapo-Kommissar
Johannes Neuhäusler*: Weihbischof von München und Freising
Albrecht Herrmann: Generalvikar des Weihbischofs Neuhäusler
Karl Morgenschweis*: Gefängnispfarrer in Landsberg
Gottfried Mettmann: Händler, Schieber
Captain Lloyd A. Wilson*: Direktor des Kriegsverbrechergefängnisses Landsberg
Lucius D. Clay*: Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone 1947–1949
Emil Mahl*: Krematoriumskapo in Dachau
Ernst Wilhelm Bohle*: Gauleiter
Werner Hess*: evangelischer Pfarrer
Hans Eisele*: KZ-Arzt
Elmar Bär: Rechtsanwalt
Otto Ohlendorf*: Amtschef im Reichssicherheitshauptamt
Anneliese Schudt: Brunners Hausmädchen
Franz Pobitzer*: Franziskanerpater
Jonas Schickl: Bauer, Schleuser
Sepp Höllinger: Wirt
Bruno Rizoli: Pater, Fluchthelfer
Ambros Gruber: Bürgermeister von Graun
Hannah fürchtete die Dunkelheit. Sie sickerte wie schwarze Tinte aus ihren Augenwinkeln und brachte ihre Schwester mit, die Angst. Einen schrecklichen Augenblick lang schwebte Hannah verloren zwischen Traum und Wirklichkeit. Innere und äußere Welt, Vergangenes und Gegenwart vermischten sich und waren bald nicht mehr zu unterscheiden. Weggefährten tauchten auf, die vor vielen Jahren verstorben waren, und gesellten sich wie selbstverständlich zu denen, die lebten.
Die Traumgestalten beunruhigten Hannah nicht. Sie war über neunzig, da war es ganz normal, dass der Verstand ihr ab und zu Streiche spielte und sie am helllichten Tag einnickte. Doch die Todesangst längst vergangener Tage und die schreckliche Ahnung, dass der anbrechende Tag der letzte sein könnte, hatten sie seit sechzig Jahren nicht mehr heimgesucht.
Sie kämpfte sich durch die Begebenheiten eines langen Lebens an die Oberfläche ihres Bewusstseins zurück. Die Geister der Vergangenheit verblassten, die Erinnerungen jedoch, die so unerwartet aufgetaucht waren, wirkten nach. Ihr Herz pochte ängstlich und beruhigte sich nur langsam.
Hannahs Blick irrte umher und richtete sich auf den Fernsehbildschirm. Im klaren Licht der Wirklichkeit erkannte sie, dass der Mann, der mit von Hass verzerrtem Mund die Menge aufpeitschte, nicht Lubeck war. Die Ähnlichkeit allerdings war da und sie hatte die Angst in ihr wachgerufen. Er besaß die gleichen kalten Augen, die harten Lippen und das dunkelblonde, streng gescheitelte Haar.
Die Karikatur, die sie vor fast achtzig Jahren in ihr Schulheft gemalt hatte, kam ihr in den Sinn: ein Ziegenbock mit Klumpfuß und dem Gesicht von Joseph Goebbels – Hitlers Einpeitscher. Mit der unbedachten Kritzelei hatte alles begonnen, ihr junges Leben hatte seine Unschuld verloren.
Der namenlose Schreihals im Fernsehen benutzte beinahe die gleichen Worte wie Goebbels, um die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Sie waren wieder da, die Verführer und Wölfe im Schafspelz. Die braune Hydra war erwacht und streckte ihre geifernden Köpfe aus, um jeden zum Schweigen zu bringen, der sich ihr in den Weg stellte. Hannah hatte Jahre ihres Lebens damit zugebracht, sie zu jagen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Mochten andere den Kampf nun weiterführen. Steinalt, wie sie war, fehlte ihr die Kraft dazu. Fahrig tastete sie nach der Fernbedienung, die leise klappernd zu Boden fiel.
»Warte, Omi Hanni. Ich heb sie auf.«
Judith bückte sich und legte das Gerät mit der spielerischen Geschmeidigkeit der Jugend an seinen Platz zurück. Wie sehr sie Malisha ähnelt, dachte Hannah. Alles wiederholt sich. Das Gute … und das Böse. Das Alte muss sterben, um dem Neuen Platz zu machen. Ihr wurde kalt. Fröstelnd rieb sie sich die Unterarme und zog die Wolldecke höher.
»Alles okay?«, fragte Judith.
Hannah nickte. »Ich war eingeschlafen und hatte einen bösen Traum. Das ist alles.«
Ihre Urenkelin runzelte besorgt die Stirn. »Du bist ganz blass. Man könnte meinen, du hättest ein Gespenst gesehen.«
»Vielleicht habe ich das sogar«, antwortete Hannah.
Judith warf einen Blick auf den Fernseher.
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