Dass die professionellen Bedenkenträger und eifernden Verfechter der political correctness bis heute nicht müde geworden sind, zumindest den warnenden Zeigefinger zu erheben, sofern sie der Band nicht die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien an den Hals wünschen, ist nicht überraschend. Dagegen schon, dass der Komponist Torsten Rasch im Auftrag der Dresdner Sinfoniker unter dem Titel Mein Herz brennt einen sinfonischen Liederzyklus nach Rammstein-Songs schrieb, der ihm 2004 den Klassik Echo und wohlwollende bis begeisterte Besprechungen im Feuilleton einbrachte. Überraschend ebenso die Tatsache, dass 2014 das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin mit HardBeat aus Rammstein-Songs einen Ballettabend in der Choreographie von Sergej Gordienko veranstaltete.
Und so bleibt die Band bis heute mit ihren bildgewaltigen Exzessen, den skandalträchtigen Tabubrüchen und den alle Grenzen niederreißenden Provokationen eine Herausforderung für jeden, der sich mit ihr auseinandersetzt. Wer Rammstein einmal live erlebt hat, wird sich der Faszination ihrer professionell mit Songs, Licht und Pyrotechnik in Szene gesetzten Überwältigungsästhetik kaum entziehen können. Die Inszenierung ist total, massiv, durchgeplant, nichts bleibt dem Zufall überlassen: keine Gastmusiker, knappe Verbeugungen am Ende, keine Zugaben.
Als Besucher ihrer Shows fragt man sich freilich schon, was diese Musik und die düstere Melancholie der Songtexte mit einem eigentlich macht. Die Antwort ist eher erschreckend, zieht Rammsteins Klangdiktatur doch wohl jeden, der sich ihr aussetzt, widerstandslos in sich hinein. Aber vielleicht ist es genau das, was in Zeiten wie diesen Not tut – dass wir gelegentlich über uns selbst erschrecken.
Die Bilder waren furchtbar, die am 28. August 1988 von der US Airbase in Ramstein (mit einem »m«!) bei Kaiserslautern über die Fernsehschirme flimmerten. Bei der Kollision von drei Militärflugzeugen der italienischen Kunstflugstaffel Frecce Tricolori während einer Flugschau raste eine der Unglücksmaschinen, nachdem sie eine andere Maschine berührt hatte, mit einem riesigen Feuerball in die Zuschauermenge und riss 70 Menschen in den Tod. Über tausend wurden teils schwer verletzt. Was die sechs Musiker, die sich Anfang 1994 zu einer Band zusammenfanden, bewogen haben mag, sich zunächst »Rammstein Flugschau« zu nennen, woraus dann »Rammstein« wurde; und ob die falsche Schreibweise des Ortes mit Bezug auf ihre Musik beabsichtigt war, bei der ja die Assoziation mit einer Dampframme so weit hergeholt nicht ist, muss offenbleiben. Die Version, die die Band mit dem für sie typischen Understatement erzählt, hat Rhythmus-Gitarrist Paul Landers zu Protokoll gegeben:
Bei einer unserer Fahrten mit Feeling B hatten Schneider, Flake und ich schon den neuen Bandnamen. Wir hatten den an die Wand von unserem LO [ostdeutscher Lkw-Typ der VEB Robur-Werke Zittau] geschrieben: Rammstein Flugschau. Doof, wie wir waren, schrieben wir Rammstein gleich mit zwei M, weil wir nicht wussten, dass der Ort Ramstein nur ein M hat. Wir haben uns erstmal aus Quatsch so genannt, aber der Name blieb kleben wie ein Spitzname, den man nicht gut findet. Wir schafften es nicht mehr, den loszuwerden. Rammstein wollten wir eigentlich nicht heißen, das war uns zu festgelegt.
Der gleichnamige Song, der in den ersten Jahren ihre Live-Shows eröffnete und das Desaster in eindringlichen Worten noch einmal heraufbeschwört, ist der einzige, dessen Text sie alle gemeinsam verfasst haben. Nach Auskunft von Schlagzeuger Christoph Schneider saßen sie an einem Tisch in der Dorfkneipe des Ortes in der Uckermark, in dem Till Lindemann damals lebte, und jeder hat beigetragen, was ihm gerade einfiel. Ansonsten liefert Sänger Till Lindemann die Texte für die mehr oder weniger fertige Musik, die die Gitarristen, der Keyboarder und der Schlagzeuger zusammenbauen, bevor der Text darüber gelegt wird. Seine »Uraufführung« erlebte »Rammstein« am 1. Juni 1994 im Gasthaus »Zum Reußischen Hof« in Görkwitz, nahe der thüringischen Stadt Schleiz. Der Song sollte zur Hymne ihrer Fans avancieren und hat seither noch bei fast keinem Auftritt gefehlt.
Die frivole Lust an der Provokation, die keine Grenze zu kennen scheint, ist der Band von ihrer ersten Stunde an eingeschrieben. Der Song ist eine brutale Mischung aus der nackten Darstellung der Grausamkeiten des Ramstein-Desasters und einem enthemmten Voyeurismus. Doch wie so oft wird die Fiktion längst von der Wirklichkeit übertroffen, wenn bei schweren Unfällen auf deutschen Autobahnen die Gaffer ohne Rücksicht auf die Rettungskräfte darum wetteifern, die krassesten Bilder auf ihre Smartphones zu bekommen.
Die Musiker von Rammstein standen damals vor der Alternative, als ehemalige Ostpunker im medialen Rauschen des Westens unterzugehen oder aber einen Weg zu finden, auf sich aufmerksam zu machen. Sie entschieden sich für eine besonders böse Form der Provokation, die die moralische Selbstgefälligkeit des Westens, die sich nach der Wende über die Landsleute im Osten Deutschlands bis zur Unerträglichkeit ergoss, an ihrer empfindlichsten Stelle traf, indem sie nämlich deren ganz Unterstes nach oben kehrten. Und was in dem Abgrund, der sich da auftat, zum Vorschein kam – Verrohung, Brutalität, Gewalt, Horror, Pädophilie, Sodomie, Inzest –, sollte für mehr als nur ein Album reichen.
Dieser Zusammenhang ging damals durchaus auch dem einen oder anderen der Kommentatoren auf.
»Jetzt habt Ihr es! Erst habt Ihr den Osten geknechtet und geschändet, fiese Investoren und Import-Export-Leute rübergeschickt, der Treuhand die Lizenz zur Abwicklung erteilt. Doch unter dem platt gemachten Land rumorten die Untoten in ihren Gräbern. Nun sind sie da, kalkweiß, hohlwangig, mit stechendem Blick und holen sich Eure Kinder!«
Thomas Mießgang in der ZEIT
Der Spiegel sah in der Band noch 2009 die Rache des Ostens am Westen. Die Bedenkenlosigkeit, mit der die Band das Desaster von Ramstein zu ihrem Aushängeschild machte, passte durchaus in eine Gesellschaft, die im Osten damals gerade unter Beweis stellte, dass ihr eigentlich nichts heilig ist. Und so kam es dann ja auch. Die Band fand ungeachtet aller Tabubrüche und der grotesken Übersteigerung von Horror und Gewalt frenetischen Beifall. Die pflichtgemäße Entrüstung im Feuilleton erwies sich als verkaufsfördernde Maßnahme, vermutlich für beide Seiten. Das Album Herzeleid , als dessen elfter und letzter Song »Rammstein« 1995 erschien, stieg sofort auf Platz 99 in die deutschen Album-Charts ein. Ein Novum für ein Erstlingswerk.
Was Rammstein aber tatsächlich beinahe aus dem Stand heraus in aller Munde brachte, waren ihre spektakulären Bühnenshows, die der in Thüringen geborene und ebenfalls in der DDR aufgewachsene Lichtdesigner Gert Hof bis zu seinem Tod 2012 für sie inszenierte. Ihr Debütkonzert absolvierten sie noch vor einem Dutzend Besucher in einem Leipziger Klub, stocksteif und wie unbeteiligt auf der Bühne stehend, was freilich auch nicht ganz wirkungslos war. Als die Band Ende 1996 mit dem Album Herzeleid auf Tournee ging, war der pyrotechnische Aufwand schon bemerkenswert.
1998 bei der bis dahin größten Show der Band in der Berliner Wuhlheide blieb selbst hartgesottenen Heavy Metal-Fans der Atem weg angesichts des Spektakels, das da vor ihren Augen abrollte. Im Zentrum des aus Gestänge und Gittern aufgebauten, an Fritz Langs futuristischer Grusel-Film-Vision Metropolis erinnernden Bühnenbildes drehte sich langsam ein riesiger Propeller, der die gebündelten Lichtstrahlen zerhackte, die hinter ihm angebrachte Scheinwerfer in die in Neonblau getauchte Bühne abstrahlten. Die Inszenierung des Songs beginnt mit dem aus dem Off erklingenden Intro, der Nachahmung des fluppenden Wummerns eines Helikopters, während sich die Band auf der Bühne in Stellung bringt. Mit den in voller Lautstärke einsetzenden Gitarrenriffs, getrieben von einem unerbittlich hämmernden Schlagzeug, steigt roter Rauch auf – und aus dem Bühnenboden erhebt sich der lichterloh in Flammen stehende Sänger Till Lindemann, die Arme ausgebreitet wie Jesus am Kreuz. Mit den Worten » Rammstein / Ein Mensch brennt / Rammstein / Fleischgeruch in der Luft / Rammstein / Ein Kind stirbt / Rammstein / Die Sonne scheint « wird das Desaster von Ramstein in dunklem, unheilvollem Sprechgesang heraufbeschworen. Lindemann war dabei durch einen mit Metallplatten und einer mehrere Zentimeter dicken Isolierschicht versehenen Asbestmantel geschützt, die Flammen von Bärlappsporen genährt. Bärlapp, auch als Wolfsfuß oder Drudenfuß bekannt, bildet Sporen mit einem hochentzündlichen ätherischen Öl, das einen niedrigeren Flammpunkt als herkömmliche Brennstoffe besitzt und sich deshalb für Feuereffekte auf Bühnen bestens eignet. Der Stoff wird aus China importiert, wobei Rammstein auf ihren Tourneen gut Dreiviertel der Jahresproduktion der chinesischen Produzenten für das flammende Inferno ihrer Shows verbrauchen.
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