Das erste Spiel, das wie Fußball aussah, ist noch einen Tick älter: Es heißt NASL Soccer und lief ab 1979 auf der Konsole Intellivision von Mattel. Im Unterschied zu Championship Soccer ließ sich NASL Soccer aber nur gegen menschliche Gegner spielen, einen Computergegner bot es nicht. Freude gab es so nur mit Freunden.
Klar ist: In den 80er und 90er Jahren wurde unter dem Druck technischer Einschränkungen nach der Formel für Fußballsimulationen gesucht. Einige Grundprinzipien heutiger Spiele schienen aber schon durch: dass virtuelle Partien keinesfalls 90 Minuten dauern oder dass den Torwart in der Regel der Computer steuert.
»Man war nicht verwöhnt«, erinnert sich Heinrich Lenhardt an die Frühzeit des Genres. »Es gab wahnsinnig viel Schrott.« Lenhardt ist einer der erfahrensten deutschen Spielejournalisten. Er testet seit 1984 beruflich Games und kam so mit nahezu allen wichtigen Fußballspielen in Berührung – teils auch mehrfach mit denselben. Viele Firmen hätten zum Beispiel versucht, mit Neuauflagen älterer oder ausländischer Spiele unter anderen Namen Geld zu machen, sagt Lenhardt. Auf jede angenehme Überraschung sei ein Dutzend Enttäuschungen gekommen.
Wie dilettantisch manche Firmen vorgingen, bewies 1985 Glen Hoddle Soccer : Die Entwickler hatten beim Vornamen ihres eingekauften englischen Superstars ein zweites »n« vergessen – auf der Packung und im Spiel.
International Soccer (1983)
Für Heinrich Lenhardt ist International Soccer von 1983 das erste Spiel, das sich wie Fußball anfühlte – obwohl in dem C64-Titel von Andrew Spencer nur Sieben gegen Sieben gespielt wurde, ohne Fouls oder Elfmeter. Auch darüber, dass wie in fast jeder frühen Fußballsimulation die Abseitsregel fehlte oder dass der Ball am Fuß der Spieler klebte, habe man hinwegsehen können, sagt Lenhardt. Digital kannte man es damals noch nicht anders.
Sensible Soccer versus Kick Off
Ändern sollte sich das ab Ende der 80er Jahre, als Großbritannien gleich mehrere Fußballspiele hervorbrachte, die als Genre-Meilensteine gelten – und die dank ihrer Draufsicht-Optik sogar besser gealtert sind als viele später erschienene 3D-Games. Hinter zwei der Hits steckte das Studio Sensible Software, mitbegründet von Jon Hare.
Zunächst entwickelte sein Studio Microprose Soccer , das 1988 für den C64 erschien und viele neuartige Funktionen bot, darunter »Bananenschüsse« mit beeinflussbarer Flugbahn, Wiederholungen und Wettereffekte. 1992 legten Hare und sein Team für den Amiga Sensible Soccer nach, aus dem eine ganze Reihe hervorging. »Das erste Sensible Soccer war das einzige meiner Spiele, bei dem ich schon nach zwei, drei Monaten Entwicklung wusste, dass es ein Hit wird«, sagt uns Jon Hare: »So gut spielte es sich.«
Sensible Soccer (1992)
Ihren Höhepunkt erreichte die Serie mit dem 94er-Teil Sensible World of Soccer , der 2007 auf einer Liste der zehn einflussreichsten Games überhaupt landete. Sensible Soccer war zu diesem Zeitpunkt fast schon vergessen – abgesehen von Events für Hardcore-Fans wie einer bis heute jährlich ausgetragenen WM. »Fürchterlich« für Sensible Soccer sei letztlich der Schritt in die dritte Dimension gewesen, sagt Hare: »Wir wollten kein 3D, aber die Branche ließ uns keine Wahl. Wir mussten mitziehen.«
Das Gefühl, vom Genre-Olymp ins Nichts zu fallen, kennt Dino Dini. Der Brite ist der Macher von Kick Off , einer Serie, die 1989 auf dem Atari ST startete und vielen zumindest bis Sensible Soccer als Spiel Nummer eins galt – sofern man sich mit der exotischen Steuerung anfreunden konnte. Ein Vortrag, den Dini 2013 in Köln hielt, lässt erahnen, wie es ihm ging, als seine Spiele von Sensible Soccer und später FIFA übertrumpft wurden: »1992 war ich auf dem Gipfel der Welt«, sagte Dini und gestand, dass er es bereue, aus seiner Position nicht genug gemacht zu haben. »Ich bin damals aus dem Nichts, ohne Marketing, mit einem Publisher, der unbekannt war, an die Spitze der Charts geschossen.« Quasi im Alleingang hatte Dini sich über viele Länder hinweg eine Fangemeinde aufgebaut – und sie wieder verloren, als es viele Fans zu den neuen Spielen der Konkurrenz zog.
An Fußballgames habe er danach höchstens noch PES gespielt, erzählte Dini. FIFA mache ihm keinen Spaß, auch weil eines seiner Games am selben Tag wie FIFA erschienen sei: »Das war so ziemlich das Ende.«
2016 brachte Dino Dini noch eine Kick Off -Neuauflage namens Kick Off Revival auf den Markt, sie wurde von den Kritikern verrissen. »Das schlechteste Fußballspiel aller Zeiten«, titelte das Magazin Vice .
1993, Vice war da noch nicht gegründet, erschien das erste Spiel der FIFA -Serie für das Sega Mega Drive: In vier Wochen verkaufte es sich mehr als eine halbe Million Mal. Und das sollte erst der Anfang sein, denn bald war es auch auf anderen Plattformen wie dem PC, dem SNES und dem Amiga verfügbar. In Tests erhielt FIFA International Soccer fast durch die Bank Top-Wertungen. Das Spiel legte mit seiner Iso-Perspektive den Grundstein für eine Reihe, die Dutzende Fortsetzungen und Ableger hervorbringen und anders als Kick Off oder Sensible Soccer auf Dauer den Markt dominieren sollte.
FIFA International Soccer (1993)
Heinrich Lenhardt sagt uns, FIFA sei mit reichlich Marketing gestartet, aber auch »sehr enthusiastisch« aufgenommen worden. Schon am Erstling habe sich die größte Stärke von EAs Fußballspielen erkennen lassen: die Präsentation. »Die Perspektive und diese Close-ups bei Standardsituationen, das war damals sehr bemerkenswert.« In seinem Test der PC-Version für die PC Player schrieb Lenhardt 1994 von der »bislang ansehnlichsten, vielseitigsten und vor allem spannendsten PC-Fußballsimulation«.
Hinter der schicken Fassade des ersten FIFA steckte viel Qual. Vor allem Game Designer Jan Tian investierte in EAs Vancouver-Außenstelle, wo sich bis heute der Großteil der FIFA -Produktion abspielt, mehr Zeit in die Entwicklung, als ihm guttat. »Ich habe Tag für Tag an dem Spiel gearbeitet, habe meinen Sohn drei Monate lang kaum gesehen. Ich ging aus dem Haus, wenn er noch schlief, und kam zurück, wenn er schon wieder im Bett war«, erzählt er uns. Tian sagt, er sei ein Workaholic: Bis heute falle es ihm schwer, sich Auszeiten von der Arbeit zu nehmen. Bei FIFA sei es besonders schlimm gewesen, er spricht von der »anstrengendsten Spieleproduktion«, an der er je beteiligt war. Mehrfach habe er Panikattacken erlitten und ins Krankenhaus gemusst. Manchmal habe er sonntags um Mitternacht eine Idee gehabt und sei gleich zur Arbeit gefahren, denn er hatte keinen Rechner zu Hause: »Ich musste die Idee testen, sonst konnte ich nicht schlafen.«
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