[6]Vom lateinischen inficere, aus facere für »machen« und in für »in, hinein«.
[7]Pneumonie, die Lungenentzündung. Vom griechischen pneũma für »Wind, Atem, Luft«.
Antibiotische Mittel: Ein Missverständnis
Die Suche nach bakterientötenden Mitteln
Nachdem Bakterien zu Krankheits»erregern« von Infektionskrankheiten erklärt worden waren, die nicht nur Wundheilungsstörungen verursachten, wie man bereits länger glaubte, sondern auch Erkrankungen innerer Organe, suchte man nach Wegen, um sie im Körper zu beseitigen. 1877 hatte man die bakterientötende Wirkung von UV-Strahlen und 1892 die von elektrischem Licht entdeckt. Man unternahm mit Körperteilen Versuche zur Bakterienvernichtung durch Röntgenstrahlen und Uran, mit Radium und spezifischen Wellenspektren, mit α- und γ-radioaktiven Strahlen, mit Kurzwellen, Hochfrequenzströmen und mit elektrischem Gleichstrom. 31Sie alle scheiterten daran, dass der Mensch dabei zu große Schäden litt, bis die Bakterien wie gewünscht beseitigt waren.
Gleichzeitig suchte man nach bakterientötenden chemischen Stoffen. Der Erste, der ein chemisches Mittel gegen körperinnere Lebewesen entwickelte, war der Pathologe Albert Adamkiewicz (1850–1921). Er ging davon aus, dass Krebs von einem Parasiten namens Coccidium sarcolytus hervorgerufen werde, und entwickelte dagegen im Jahr 1890 aus Leichengift das »Cankroin«. 32Sein Werk wurde allerdings kaum gewürdigt.
In einem Arzneimittelbuch von 1916 33werden noch vier Wege aufgezählt, Infektionskrankheiten zu behandeln: die vorsorgliche »Abhaltung der Organismen vom Körper«, die »Zustandsverbesserung der befallenen Organe«, eine »Bindung der produzierten Toxine« oder eine »unmittelbare Wirkung auf die Mikroben«. Vier Wege also, Heilung zu bewirken. Im Text behandelt wird jedoch nur der letzte. Dafür unterschied man »Antiseptika«, die bakterielles Leben hemmen, von den »Desinficientia«, die Bakterien töten. Zur Entfernung der »Fäulniserreger« aus dem Darm werden kräftige Abführmittel empfohlen. 34Die anderen drei Heilungsansätze werden nirgends weiter ausgeführt. Damit beschränkte sich die Arzneimittellehre auf die Beseitigung der Bakterien.
Die große Schwierigkeit dabei bereitete die generelle Wirkung der dazu eingesetzten Desinfektionsmittel, die nicht bloß die Einzeller, sondern zugleich auch Körperzellen schädigten. Man überlegte sogar, verschiedene Antiseptika gemischt anzuwenden, die alle zusammenauf Bakterien wirken, aber dabei verschiedene Körperorgane je nur ein bisschen schädigen. Darauf, eine Mischung verschiedener Einzeller als Heilmittel einzusetzen (siehe Seite 242ff.), wäre man im damaligen Denken im Traum nicht gekommen.
Stattdessen entstanden künstliche Stoffe. Paul Ehrlich (1854–1915) änderte im Jahr 1910 das altbekannte Arsen chemisch ab zum Arsphenamin, das den Wunsch nach Abtöten von Einzellern unter Erhalt von Körperzellen erfüllte. Es war gegen die Treponema pallidum wirksam, eine Spirochäte [1], die 1905 als Verursacher der Syphilis identifiziert wurde. Weil es durch eine chemische Strukturänderung einer natürlichen Substanz entstand, nannte man es ein »Chemotherapeutikum«. Mit diesem Mittel, dem »Salvarsan«, verdiente die herstellende Firma, die Farbwerke Höchst, im ersten Geschäftsjahr knapp drei Millionen Mark. 35Der Kampf gegen die Bakterien hatte die Farben- und chemische Industrie damit erstmals im großen Stile zum Partner der Medizin gemacht. Schon damals rief dies heftige Kritik bei den Zeitgenossen hervor. Es war eine Weichenstellung in der Medizin. Allein für die Entwicklung des Streptomycins, das 1947 auf den Markt kam, hatte die chemische Industrie Amerikas den beteiligten Forschungsstellen zuvor eine Million Dollar zur Verfügung gestellt. 36
Der Erfolg dieser chemischen Therapie schien die Richtigkeit des eingeschlagenen Wegs zu bestätigen. Die »innere Desinfektion« bei bakteriellen Krankheiten erschien als die zukunftsweisende Medizin, folglich die Entwicklung chemisch-synthetischer Mittel dazu der geeignete Weg – bis heute. Diesem folgend, wurde im Jahr 1932 von Gerhard Domagk (1895–1964), einem medizinischen Forscher bei der I. G. Farbenindustrie in Wuppertal, die bakterienhemmende Wirkung der Sulfonamide entdeckt. [2]Dies galt als die lang ersehnte erste medizinische »Chemotherapie der bakteriellen Infektionen«. 37
Der heute übliche Begriff »Antibiotikum« wurde erst ab 1942 benutzt und meinte damals »antimikrobiell wirkende Substanzen von Mikroorganismen«. 38Er entstand aus dem Missverständnis, Mikroben würden sich untereinander genauso verhalten wie die Menschen sich ihnen gegenüber, nämlich einander bekämpfen. Heute wissen wir, dass diese Substanzen Botenstoffe zur Kommunikation sind und Einzellern wie Mehrzellern ein gesundes Miteinander ermöglichen (siehe Seite 63ff.). Es war eine tragische Fehlbezeichnung. Damals unterschied man damit die natürlichen von den chemischen bakterientötenden Mitteln.
Heute wird die Bezeichnung »Antibiotikum« generalisiert für bakterienhemmende und -tötende Mittel natürlichen, halbsynthetischen oder chemischen Ursprungs verwendet. »Antibiose« meint die medikamentöse Therapie mit diesen Mitteln. Neuerdings wird vorgeschlagen, von »Antiinfektiva« zu sprechen. Wörtlich übersetzt heißt dies »gegen das Hineinmachen«. So ein Begriffswechsel ist jedoch kein Fortschritt, weil sowohl die Idee, gegen Bakterien zu behandeln als auch die, gegen eine Infektion, dem Irrtum unterliegt, Bakterien würden von draußen den Körper bedrohen und müssten beseitigt werden. Wie wir noch sehen werden, hilft erst ein anderes Verständnis von Gesundheit und Krankheit, die passenden Begriffe für wahre Wege in Bezug auf Bakterien und Heilung zu finden. Der Begriff »Chemotherapie« wird heutzutage für chemische Medikamente in der Krebsbehandlung verwendet.
Die Entwicklung des Penicillins
Dass der Londoner Bakteriologe Alexander Fleming (1881–1955) der »Entdecker des Penicillins« sei, wie landläufig behauptet wird, ist eines der Märchen, mit denen in der Bakteriologie zahlreiche angebliche »Helden« hervorgebracht wurden. Ein anderes rankt sich um »Streptomycin«, das erste bei Tuberkulose wirksame Antibiotikum. Es wurde durch Albert Schatz entdeckt, nicht durch Selman Waksman, der dafür 1952 den Nobelpreis erhielt 39. Zum einen waren Schimmelpilze, aus denen man Penicillin zunächst zog, seit alters ein bewährtes Heilmittel (siehe Seite 177). Man hatte auch bereits lange beobachtet, wie arabische Stallknechte Pferdesättel in dunklen, feuchten Räumen lagerten, um das Leder zum Schimmeln zu bringen, weil dies die Wundheilung förderte, wenn die Beine der Reiter aufgescheuert waren.
Zum anderen war der »Antagonismus« [3]zwischen Schimmelpilz und Mikrobe längst wissenschaftlich bekannt und wurde bereits in den Lehrbüchern erwähnt. 40Er war bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Thema zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen gewesen, und man wusste, dass auf einer Kulturplatte nach Pinselpilzen, wie Penicillium damals hieß, keine Bakterien mehr wachsen. 41In England, Deutschland, Italien, Russland sowie den USA hatten Ärzte mit den hemmenden Wirkungen verschiedener Schimmelpilzkulturen der Gattung Penicillium auf Bakterien experimentiert.
Der angehende französische Arzt Ernest Duchesne (1874–1912) schrieb schließlich im Jahr 1897 seine Doktorarbeit über die Wechselwirkungen bei Mikroben. In gemeinsamer Kultur mit Penicillium glaucum blieben je nach Nährstoffmilieu mal die Bakterien, mal die Pinselpilze am Leben. Spritzte er Penicillium jedoch im Tierversuch gleichzeitig mit »giftigen Kulturen pathogener Mikroben« wie Bacillus typhosus oder Bacterium coli in Meerschweinchen, wurde ihre gefährliche »Wirkung in so bemerkenswertem Maß verringert«, dass er vorschlug, diese Ergebnisse wegen ihres Nutzens für Hygiene und Therapie noch einmal zu wiederholen und zu kontrollieren. 42Dazu kam es jedoch nicht. Er starb mit 38 Jahren. Die Forschung interessierte sich derweil mehr für Impfungen mit Serumbestandteilen oder Bakterien in die Haut, um zu heilen (siehe Seite 185ff.).
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