Andreas Hillger - EI_LAND

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Sechs Sonderlinge aus der tiefsten Provinz erobern mit einem Einfall die größten Städte. In seinem neuen Roman entführt Andreas Hillger in ein Absurdistan, das überall liegen kann und uns gerade deshalb nur allzu bekannt vorkommt. Was im längst geschlossenen Dorfgasthaus am Rande des Kohleabgrunds entstand, war anfangs nur eine Schnapsidee. Hier im äußersten Osten stehen die Leben auf der Kippe, deswegen sind die meisten schon gegangen. Da aber verirrt sich ein Fremder in die Dorfkneipe, in der allnächtlich nach Sonnenuntergang die seltsamen Kerle beieinanderhocken: Liebig, der Major und die anderen. Der Fremde hat eine Idee, die alles verändern wird. Die Soleier, die in Berliner Kneipen im sogenannten Hungerturm auf dem Tresen standen, werden als Soul-Eye zum Hype der Hipster. Wie aber erreicht man das mit einem simplen Rezept aus Großmutters Küche? Indem man eine Geschichte zur Legende verklärt und die einfache Zubereitung zum komplizierten Ritual überhöht – multikulturelle und absurd aufwendige Varianten inklusive.
Der Roman spielt einen sagenhaften Erfolgszug durch, lässt Neider, Nachahmer und Nachtgestalten aufmarschieren, setzt seine Männerrunde vom Rande immer neuen Stresstests aus, bis sie in ihrer unverhofften Zukunft auch noch von der eigenen Vergangenheit eingeholt werden. «EI_LAND» ist ein funkensprühender Roman, der mit hintersinnigem Humor vom Fluch des Fortschritts und vom Segen des Stillstands erzählt.

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Andreas Hillger

EI_LAND

Roman

Erste Auflage 2021 Osburg Verlag Hamburg 2021 wwwosburgverlagde Alle Rechte - фото 1

Erste Auflage 2021

© Osburg Verlag Hamburg 2021

www.osburgverlag.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Ulrich Steinmetzger, Halle

Korrektorat: Mandy Kirchner, Weida

Umschlaggestaltung: Judith Hilgenstöhler, Hamburg

Satz: Hans-Jürgen Paasch, Oeste

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-95510-255-5

eISBN 978-3-95510-264-7

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Kapitel XXVIII

Kapitel XXIX

Kapitel XXX

Kapitel XXXI

Kapitel XXXII

Kapitel XXXIII

Kapitel XXXIV

Kapitel XXXV

Kapitel XXXVI

Kapitel XXXVII

Kapitel XXXVIII

Kapitel XXXIX

Kapitel XL

Kapitel XLI

I

»Du bist jetzt da draußen in der bunten Stadt, Kritzelst wirre Träume auf ein leeres Blatt, Faltest sie zusammen und schickst sie zu mir. Ich kann dir nicht folgen. Hier ist mein Revier!« Drei Schwestern, »Hart an der Kante«

Als das Schicksal in unsere gute Stube geweht wurde, hockte ich wie immer in meinem toten Winkel. Schräg links vor mir beugten sich Liebig und der Major am Stammtisch über ihr Schachbrett, in der entgegengelegenen Ecke des Schankraumes zerhackte Herbert mit dem monotonen Klacken seines Zigarettenstopfers die Zeit. Flüchtig streifte mein Blick den hageren Werner, der neben dem Kachelofen fette Lettern und körnige Beweisfotos aus alten Zeitungen schnitt und seine Beute sorgfältig zu kleinen Haufen ordnete, bevor er die untauglichen Überreste zerknüllte und in einem blauen Müllsack versenkte. Hinter dem Tresen polierte Joachim gleichmütig die Biertulpen, auf dem stummen Bildschirm über ihm schnappte eine hübsche Hiobsbotin wie ein Fisch hinter Glas.

Träge waberten Rauchschwaden um den Kronleuchter aus verkeilten Geweihen, der vergilbte Girlanden eines längst verflossenen Karnevals noch immer wie Tentakel zu den holzgetäfelten Wänden ausstreckte. Im Raum stand jenes einvernehmliche Schweigen, das sich nur einstellen will, wenn längst alles von allen gesagt worden ist und jeder sein Quantum Trost in greifbarer Nähe weiß. Einzig Krabat knurrte gelegentlich wohlig im Traum und rollte sich hinter Liebigs Stuhl in eine bessere Lage.

So hätte es bleiben dürfen, ja müssen, wenn nicht plötzlich die Wirklichkeit hereingestolpert wäre. Just in jenem Moment, als Liebig mit seiner schwarzen Dame den weißen Läufer auf halber Diagonale schlagen wollte, flog die Kneipentür auf, und der Wintersturm blies einen Unbekannten herein.

Der Fremde stemmte sich gegen das Gestöber und umklammerte die Klinke, bis er Wind und Flocken ausgesperrt hatte. Dann klopfte er sich die weißen Schulterstücke vom Mantel und schlug die Hacken zusammen, um seine Schuhe vom Schnee zu befreien. »Guten Abend!«

Liebig konnte den plötzlich hellwachen Krabat gerade noch am Halsband packen, Joachim zog den feuchten Putzlappen mit einem Ruck aus dem Glas: »Geschlossene Gesellschaft!« Der Eindringling wischte mit einem Ärmel über die Stirn: »Aber da draußen steht doch …!«

Kopfschüttelnd unterbrach ihn unser Wirt: »Zimmer frei? Schon lange nicht mehr. Und schon gar nicht bei diesem Wetter!« Herbert nickte verhalten, der Major bekräftigte zackig: »Genau!« Werner legte die Schere beiseite, ich drückte meine Kippe aus und lehnte mich zurück. Aller Augen waren auf den Störenfried gerichtet.

»Entschuldigen Sie, aber das ist ein Notfall«, sagte er, während er sich die Handschuhe von den Fingern zupfte und am Schal nestelte. »Ich habe mich verfahren, jetzt steckt mein Wagen in einer Wehe fest. Und Empfang kriegt man in dieser Einöde ja auch nicht. Also könnte ich bitte – Sie haben hier doch sicher Festnetz?«

Joachim blickte kurz in die Runde, dann griff er unter den Tresen. »Na gut. Wenn wir Sie so wieder loswerden.« Der alte Apparat klirrte empört, als er auf die Platte gewuchtet wurde.

»Das ist – oh, vielen Dank!« Irritiert betrachtete der zufällige Gast das Gerät, als handle es sich um einen seltenen archäologischen Fund. Dann zog er eine Karte aus seiner Brieftasche und pickte mit spitzem Finger in das untere Ende der Wählscheibe.

»Sie müssen schon den Hörer abnehmen, sonst wird das nichts.« Der Major grinste Joachim an, als sei ihm ein besonders guter Scherz geglückt.

»Ja, natürlich. Wie dumm von mir …«

Während der Fremde weiter mit dem Telefon kämpfte, das unter seinen ruckartigen Bewegungen auf dem feuchten Tresen immer wieder verrutschte, besah ich ihn mir näher. Der dunkelblaue Mantel war viel zu dünn, um den eiskalten Wind abzuhalten, seine schwarzen Slipper hatten gegen den hohen Schnee wohl wenig ausrichten können – und auch der zur Schlinge gewundene Schal wirkte eher modisch als nützlich. Seine rotgefrorenen Ohren hielten eine runde Hornbrille, deren Gläser in der Wärme beschlagen waren und die er deshalb über die Stirn auf die kurzgeschorenen blonden Haare geschoben hatte. Er war wohl tatsächlich weit vom Wege abgekommen und hatte sein Ziel meilenweit verfehlt. In unserer Gegend und Gemeinschaft würde er jedenfalls ganz sicher keinen Platz finden.

»Wolter! Konrad Wolter!« Die Verbindung stand, und seine Stimme klang plötzlich selbstsicher entschlossen. »Mitgliedsnummer?« Er las Ziffern von einer Scheckkarte ab, dann wartete er kurz. »Ich brauche dringend einen Abschleppwagen. Ich stecke im Schnee, ungefähr einen Kilometer von … Moment!« Herr Wolter legte seine Rechte auf die Sprechmuschel und sah Joachim fragend an. »Wie heißt das hier?«

»Čorny Mlýn«, knurrte der Wirt, »Schwarzmühl. Ist aber schwer zu finden.«

Wolter wiederholte den deutschen Namen, die Antwort vom anderen Ende der Leitung erboste ihn hörbar: »Erst morgen? Alle Fahrzeuge im Einsatz? Wofür zahle ich denn dann? Hier kann ich unmöglich … also schön. Dann aber pünktlich um zehn. Keine Minute später! Ich warte am Wagen. Und die Nacht stelle ich Ihnen in Rechnung.« Er knallte den Hörer auf und wandte sich wieder an Joachim. »Sie haben es ja gehört, heute komme ich hier nicht mehr weg. Könnten Sie wohl eine Ausnahme … Sie müssen mir helfen!«

»Gar nichts muss ich. Hat ihr Auto keine Heizung? Und die Sitze lassen sich doch sicher umklappen?«

Jetzt war es Liebig, der dem Wirt mit heiserem Falsett in die Parade fuhr. »Das kannst du nicht machen! Bei dem Sturm jagt man doch keinen Hund auf die Straße. Nicht wahr, mein Großer?« Beruhigend tätschelte er das drahtige Fell des Riesenschnauzers.

»Willst du mir etwa sagen, was ich unter dem Dach meines Hauses zu tun oder zu lassen habe?« Joachim schnaubte verächtlich und stellte das Telefon wieder an seinen angestammten Ort.

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