»Guten Morgen, Frau Schramm!«, dröhnte es durch die Klasse.
Die sehr korpulente Frau stelzte auf hohen Absätzen in den Raum und stellte mit einem wohlwollenden, aber irgendwie strengen Lächeln ihre Tasche auf dem Pult direkt vor Elisabeth ab, welche erstaunt auf ihre Klassenlehrerin hinabblickte. Diese war mit Absätzen gut und gerne anderthalb Köpfe kleiner als sie und maß nur knapp über einen Meter fünfzig. Aber das täuschte über ihre wahre Größe hinweg, denn die Klasse spurte sofort. Mit dieser Frau war sicher nicht gut Kirschen essen, wenn man ihr in die Quere kam, vermutete Elisabeth.
»Guten Morgen, neue Zehn B!«, trällerte es der Klasse in einer tiefen Altstimme entgegen. »Wie ich sehe, haben alle die schulfreie Zeit gut überstanden und auch diejenigen, die hart um die Versetzung in den nächsten Jahrgang kämpfen mussten, haben den Klassenraum ebenfalls wiedergefunden!«
Dabei stach ihr Blick, der nun kaum noch etwas von dem Lächeln zeigte, an allen anderen Schülern vorbei direkt auf die letzte Reihe. Dann wandte sie sich wieder nach vorn.
»Sabrina, meine Liebe, ich sehe, dass dein Kleidungsgeschmack sich nicht gebessert hat, was ich sehr bedauere. Wir haben auch einen Neuzugang aus Hannover, Elisabeth Wollner! Willkommen! Ich sehe, dass du ordentlich Nachholbedarf hast.« Sie warf kurz einen Blick in eine Mappe, die sie mit einer flüssigen Bewegung aus ihrer Tasche gezogen hatte, »Aber ich stelle fest, dass du dich verbessern willst. Dafür hast du dich genau an die richtige Stelle gesetzt. Wenn du fleißig bist, werden wir das schon hinbekommen! Ach, ein Lichtblick in Sport sehe ich. Nun, das ist nicht mein Fach, aber irgendeine Schwäche hat vermutlich jeder. Auf jeden Fall sind wir mit dir wieder zwanzig Schüler, nachdem Peter Jannes uns leider verlassen hat.« Zur Klasse gewandt ergänzte sie noch: »Dieses Jahr haben wir auch einen neuen Lehrer an der Schule. Ihr werdet ihn in Geschichte und Sport haben. Herr Burglos ist viel herumgereist und wird sicherlich mit einer ganzen Reihe von interessanten Begebenheiten den Unterricht auflockern können.« Es klang, als wäre das etwas Schlechtes. Frau Schramms Abneigung gegen den neuen Lehrer triefte förmlich aus ihren Sätzen.
»Ihr sollt euch wegen der AGs bis zur sechsten Stunde vor dem Sekretariat in die Listen eintragen. Jeder muss mindestens zwei AGs wählen. Nun denn, lasst uns anfangen! Der neue Stundenplan ...« Sie öffnete die Tafel und alle setzten sich hastig, um ihn abzuschreiben.
Elisabeth merkte schnell, dass die Klasse Frau Schramm nur ein Theater braver Schüler vorspielte. Unter den Bankreihen wurden Zettel getauscht und hinter ihrem Rücken wilde Grimassen geschnitten. Sabrina und Theobald machten eifrig im Englischunterricht mit und Elisabeth erkannte, dass es durchaus ein Vorteil war, wenn die Klasse einem nicht direkt ins Gesicht schauen konnte. Beeinflusst von beiden meldete sie sich auch einmal mit und kam prompt dran. Als ihre Antwort Frau Schramm zufrieden stellte, knuffte ihr Sabrina aufmunternd in die Seite. So schlecht fing es doch gar nicht an.
In der Pause nach der zweiten Stunde strömten die Schüler in die Aula. Am Schwarzen Brett vor dem Sekretariat hingen die AG-Listen aus. Viele hatten sich schon eingetragen.
»Du sollst doch abnehmen, hat deine Mama gesagt«, fing Elisabeth an, als sie eine Liste sah, in der erst wenige Einträge standen und über welcher der Titel Fit in allen Belangen prangte.
»Ja schon«, sagte Sabrina, »aber ich will weiter die Astronomie belegen bei Grobber. Da lernt man viel über Sterne.«
»Gut, dann trag mich auch da mit ein, aber es sieht schon voll aus.«
Sabrina zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und trug sich und Elisabeth in die Liste für Astronomie mit ein, obwohl die Plätze bereits voll waren.
Das blanke Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht, als Elisabeth dies auch für die Sport AG tat.
»He, was soll das denn? Ich habe uns doch gerade in Astronomie eingetragen«, meuterte Sabrina.
Elisabeth grinste. »Ja schon, aber wir müssen immer zwei Kurse angeben, oder? Und in diesem Kurs sind erst sechs andere Leute drin. Ich wette, der wird es. Du willst doch fit werden, oder?«
Nun sah Sabrina auch hin. »Bist du völlig übergeschnappt? Da stehen unsere drei Schuldeppen auch drin. Ich mach doch keinen Kurs mit denen.«
»Komm schon«, animierte Elisabeth sie. »Du hilfst mir, schlau zu werden, und ich helfe dir, fit zu werden.«
Bevor Sabrina, die inzwischen sauer wurde, sich an Elisabeth vorbeidrängeln konnte, um ihren Namen durchzustreichen, schob sich jemand anderes vor und trug sich ebenfalls ein.
»Theo? Du auch?«
Der Apothekersohn drehte sich zu ihnen um. »Wenn ihr euch traut, dann ich auch. Was sagt ihr, wollen wir endlich unseren Ruf als Streber ablegen?«
Sabrina blickte Theobald mit derart verdattertem Gesicht an, dass Elisabeth losprusten musste. »Ich glaube, das liegt an mir«, stieß sie dann hervor. »Kaum da und schon bringe ich alles durcheinander. Aber wenn ihr beiden auch mitmacht, dann werden wir es denen schon zeigen.«
Die Schule gefiel Elisabeth immer besser. Seit Beginn des Schuljahres hatte ihre Mutter sie endlich in Ruhe gelassen. Während sie die ersten Dehnübungen machte, die anderen in Grüppchen zusammenstanden und schwatzten, betrat Manfred Burglos die Sporthalle. Etwa einen Meter achtzig groß, sonnengebräunt und durchtrainiert wie ein Zehnkämpfer. Den Mienen ihrer Mitschülerinnen sah Elisabeth überdeutlich an, dass dieser Lehrer zum Schwarm aller Mädchen werden würde. Burglos lächelte strahlend in die Runde und Annabell aus der zweiten Reihe machte Anstalten, in Ohnmacht zu fallen. Der Sportlehrer zog das Tor zum Geräteraum auf und warf die Medizinbälle heraus.
»Werfen und Fangen! Teilt euch in Zweier- und Dreierteams auf!«, rief er in die Runde und klatschte auffordernd in die Hände.
Besonders die Mädchen kamen seiner Forderung erstaunlich fix und mit Feuereifer nach, was Elisabeth ebenso amüsiert bemerkte wie Sabrina und Theobald. Während Burglos durch die Halle ging, um hier und da Anweisungen zu geben, beobachtete Elisabeth, wie Annabell dem Sportlehrer auf den Hintern schaute. Als deren Freundin Beate ihr den Ball zuwarf, bekam Annabell ihn prompt an den Kopf und ging zu Boden.
»Ist die jetzt echt weggetreten oder wartet sie auf eine Mund-zu-Mund-Beatmung durch Burglos?«, ätzte Sabrina. Theobald und Elisabeth brachen in prustendes Gelächter aus, während Manfred Burglos Annabell auf die Beine half und sie zur Erholung nach draußen schickte. Für die anderen ging es weiter.
Sabrina, die mit Elisabeth übte, konnte schlecht werfen, war aber richtig gut im Fangen, doch sie schnaufte wie eine Dampflok und schwitzte nach kurzer Zeit überall. Elisabeth nicht. Sie tänzelte während des Werfens und Fangens immer hin und her und fing jeden Ball mit Leichtigkeit. Plötzlich klopfte ihr Manfred Burglos anerkennend auf die Schulter.
»Du bist die Neue aus Hannover? Elisabeth, richtig?«
Prompt ließ sie den Ball, den sie gerade gefangen hatte, fallen. Sie lächelte verlegen und nickte. Mehr brachte sie nicht hervor. Manfred Burglos stand direkt neben ihr, während sein muskulöser Körper sich gut unter dem knapp sitzenden Muskelshirt abzeichnete. Ihr wurde heiß. Betreten hob sie den Ball wieder auf.
»Du hast eine exzellente Beinarbeit. Spielst du Basketball oder Handball?«
»Nein, ich laufe eigentlich nur«, konnte sie schließlich antworten.
»Dann bist du ein Naturtalent. Du hast immer volle Kontrolle über deinen Schwerpunkt und extrem gute Reflexe. Ich habe gesehen, dass du in meiner AG bist. Deine Partnerin ist wohl Sabrina, die Schlauste, wenn man den anderen Lehrern glauben darf. Ich finde es toll, dass du mit ihr trainierst. Deine Freundin, hmmm? Ich freue mich schon auf den Kurs mit euch.« Dann setzte er hinzu: »Übrigens wenn du läufst ... wir wollen dieses Jahr mit dem Kurs am Harzlauf teilnehmen. Ich zähle auf dich!« Damit wandte er sich ab und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die anderen.
Читать дальше