1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Im Grunde werden der Staat bzw. die Inhaber der Regierungsgewalt zu den maßgeblichen Auslegern von Religion und Frömmigkeit, sodass auch umgekehrt gilt, dass sich die rechte Frömmigkeit in der Liebe zum Staat bzw. Vaterland zeigt. Und selbst dann, wenn sich die Inhaber der Regierungsgewalt als gottlos erweisen, hat niemand das Recht, gegen sie das göttliche Recht in Schutz zu nehmen. Spinoza kann pointiert sagen:
Sicherlich ist die Liebe zum Vaterland die höchste Frömmigkeit, die man zeigen kann. Denn fällt die Regierung weg, so kann nichts Gutes mehr bestehen, alles kommt in Gefahr, und bloß die Wut und die Gottlosigkeit herrschen zum größten Schrecken aller. Daraus folgt, daß jedes fromme Werk am Nächsten sogleich gottlos wird, wenn dem ganzen Staat daraus ein Schaden erwächst, und daß umgekehrt eine gottlose Tat gegen den Nächsten als frommes Werk anzusehen ist, wenn sie um die Erhaltung des Staates willen geschieht. So ist es z. B. eine fromme Tat, wenn ich dem, der mit mir streitet und mir den Rock nehmen will, auch noch den Mantel gebe. Sobald man sich aber sagen muß, daß diese Handlungsweise verderblich ist für die Erhaltung des Staates, so ist es im Gegenteil eine fromme Tat, jenen vor Gericht zu ziehen, selbst wenn er ein Todesurteil zu gewärtigen hätte. (289f.)
Hier wird man mich nun vielleicht fragen: wer wird denn, wenn die Inhaber der Regierungsgewalt gottlos sein wollen, von Rechts wegen die Frömmigkeit in Schutz nehmen? Sind diese auch dann als die Ausleger der Frömmigkeit anzusehen? ... Soviel ist sicher: wenn die Inhaber der Regierungsgewalt tun wollen, was ihnen beliebt, so ist es einerlei, ob sie das Recht in geistlichen Angelegenheiten haben oder nicht: alles, Weltliches wie Geistliches, wird ins Verderben stürzen; aber noch weit schneller wird das geschehen, wenn Privatleute in aufrührerischer|33◄ ►34| Weise das göttliche Recht beschützen wollen.... Ob wir nun die Wahrheit der Sache selbst oder die Sicherheit des Staates oder ob wir das Gedeihen der Frömmigkeit ins Auge fassen, jedenfalls müssen wir festhalten, daß auch das göttliche Recht oder das Recht in geistlichen Dingen von dem Beschluß der höchsten Gewalten ohne Einschränkung abhängig sein muß und daß nur diese seine Ausleger und Beschützer sind. Daraus ergibt sich, daß nur diejenigen Diener des göttlichen Wortes sind, die das Volk vermöge der Autorität der höchsten Gewalten die Frömmigkeit lehren, wie sie nach deren Entscheide dem öffentlichen Wohle angemessen ist. (294f.)
W. Bartuschat, Baruch de Spinoza, München 2006
W. Röd, Benedictus de Spinoza. Eine Einführung, Stuttgart 2002
4. John Locke
Der englische Philosoph John Locke (1632 – 1704) gilt sowohl als Begründer des Empirismus als auch der modernen liberalen Staatsauffassung unter der Maxime der Volkssouveränität.
Neben dem von Hobbes (→ § 2,2) und Spinoza (→ § 2,3) in den Vordergrund gestellten Motiv des Friedens und der Sicherheit hebt Locke nun auch mit entschlossener Emphase das Motiv der Freiheit hervor, deren Schutz der Regierung Grenzen auferlegt und die Forderung einer Gewaltenteilung aufscheinen lässt (voll ausgebildet erst bei Montesquieu). Zwar kann der Staat ausdrücklich nicht die Oberherrschaft über die Religion beanspruchen, aber zugleich sind die zu tolerierenden Religionsgemeinschaften zu Loyalität und sittlichem Wohlverhalten dem Gemeinwesen gegenüber angehalten. Zwei Aspekte gilt es besonders hervorzuheben: a) die staatsphilosophisch begründete Toleranzforderung und b) den besonderen Zugang zum Gottesglauben und somit zur Religion.
a) Locke fordert, dass eine Gesellschaft so verfasst sein müsse, dass sie in Frieden und Sicherheit zusammenleben kann. Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung der Toleranz, ohne die es keinen haltbaren Frieden geben kann, verbunden mit einer konsequenten Trennung von Kirche und Staat.
Es ist nicht die Verschiedenheit der Meinungen (die nicht vermieden werden kann), sondern die Verweigerung der Toleranz (die hätte gewährt werden können) für die, die verschiedener Meinung sind, die alle die Tumulte und Kriege erzeugt hat, die es in der christlichen Welt wegen der Religion gegeben hat. Die Häupter und Leiter der Kirche, von Habsucht und unersättlichem Verlangen zu herrschen getrieben, haben die oft von maßlosen Ehrgeiz besessene Obrigkeit und das auf seinen Aberglauben jederzeit eitle Volk gegen die, die anders denken als sie, entflammt und aufgeregt, indem sie in ihrem Widerspruch mit den Gesetzen des Evangeliums und den Vorschriften predigen, daß Schismatiker und Häretiker um ihren Besitz gebracht und vernichtet werden müßten. Und so haben sie zwei Dinge, die an sich höchst verschieden sind, vermischt und verwirrt: die Kirche und das Gemeinwesen. 43
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Es ist eine gesellschaftliche und somit staatliche Aufgabe, die bürgerlichen Interessen zu schützen, worunter Locke versteht: „Leben, Freiheit, Gesundheit, Schmerzlosigkeit des Körpers und den Besitz äußerer Dinge wie Geld, Ländereien, Häuser, Einrichtungsgegenstände und dergleichen.“(13) Das Gewaltmonopol des Staates dient dem Schutz der bürgerlichen Rechte. Dabei fällt die Religion in die Freiheit des Bürgers, wobei sie sich selbst auch von jedem Zwang freizuhalten und auf die öffentliche Verehrung Gottes und den Erwerb des ewigen Lebens zu konzentrieren hat (vgl. 25 f.). In spekulativen Meinungen – so nennt Locke die Glaubensartikel – darf es weder von Seiten des Staates noch vonseiten der Religionsgemeinschaften irgendeinen Zwang geben, weil sie nicht in das Gebiet der menschlichen Macht fallen. Die Toleranz hat allein da ihre Grenze, wo die Existenz Gottes geleugnet wird, weil damit jede Verbindlichkeit infrage gestellt werde, durch welche die menschliche Gesellschaft zusammengehalten werde.
Von den Religionsartikeln sind einige praktisch, einige spekulativ. Obwohl nun beide in der Erkenntnis der Wahrheit bestehen, so beziehen sich doch diese bloß auf den Verstand, jene beeinflussen den Willen und das Verhalten. Daher können spekulative Meinungen und sogenannte Glaubensartikel, an die bloßer Glaube gefordert ist, keiner Kirche durch das Gesetz des Landes auferlegt werden. Denn es ist absurd, daß Dinge durch Gesetze eingeschärft werden sollten, die zu Stande zu bringen nicht in menschlicher Macht liegt. Zu glauben, daß dies oder das wahr ist, hängt nicht von unserem Willen ab... .
Ferner darf die Obrigkeit nicht das Predigen oder Bekennen von spekulativen Meinungen in einer Kirche verbieten, weil diese keinerlei Beziehungen auf die bürgerlichen Rechte der Untertanen haben. Wenn ein römischer Katholik glaubt, daß das, was ein andrer Brot nennt, wirklich der Leib Christi ist, so tut er dadurch seinem Nächsten kein Unrecht. Wenn ein Jude nicht glaubt, daß das Neue Testament Gottes Wort ist, so ändert er dadurch nichts an den bürgerlichen Rechten der Menschen. Wenn ein Heide beide Testamente bezweifelt, so darf er deswegen nicht als ein gefährlicher Bürger bestraft werden. Die Macht der Obrigkeit und die Besitztümer des Volkes können gleich sicher sein, ob nun einer diese Dinge glaubt oder nicht. Ich gestehe bereitwillig, daß diese Meinungen falsch und absurd sind. Aber es ist nicht die Aufgabe der Gesetze, für die Wahrheit von Meinungen, sondern für das Wohl und die Sicherheit des Gemeinwesens und der Güter und der Person jedes einzelnen Sorge zu tragen. So gehört es sich. (79f.)
Letztlich sind diejenigen ganz und gar nicht zu dulden, die die Existenz Gottes leugnen. Versprechen, Verträge und Eide, die das Band der menschlichen Gesellschaft sind, können keine Geltung für einen Atheisten haben. Gott auch nur in Gedanken wegnehmen, heißt alles dieses auflösen. Auch abgesehen davon können die, die durch ihren Atheismus alle Religion untergraben und zerstören, sich nicht auf eine Religion berufen, auf die hin sie das Vorrecht der Toleranz fordern könnten. Was andere praktische Meinungen, auch wenn sie nicht gänzlich von allem Irrtum frei sind, angeht, so kann es keinen Grund geben, sie nicht zu dulden, wenn sie nicht dahin zielen, eine Herrschaft über andere oder bürgerliche Straflosigkeit für die Kirche, in der sie gelehrt werden, einzuführen. (95)
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