1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Das Verständnis, das Schnelle und Wright von der Bedeutung der Erzählung für eine Theologie des Neuen Testaments entwickeln, entlässt ebenfalls nicht aus der Notwendigkeit der theologischen Urteilsbildung. Ein vermeintlich einfaches Nacherzählen bringt erhebliche Defizite mit sich. Das offensichtlichste besteht darin, dass sich die angebotenen Wissensgeschichten der Theologie des Neuen Testaments signifikant unterscheiden. Theologisch bedeutsamer ist allerdings die Einsicht Lyotards, auf den die Theorie der Wissenserzählung zurückgeht, dass Erzählungen nicht nur Form, sondern auch Inhalt sind, genauer gesagt, dass sie auf eine Praxis verweisen und ein Versprechen in sich tragen. Lyotard ist der Ansicht, dass die Wissenserzählung der Moderne zwei verschiedene Versprechen gemacht, aber nicht eingelöst habe: Einerseits versprach Wissen als spekulatives Wissen um seiner selbst willen philosophische Freiheit und Wahrheit, andererseits kündigte es auch an, zu politischer Freiheit im Sinne von Gerechtigkeit zu führen. Nach Lyotard hat die moderne Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft keines dieser Versprechen, Freiheit oder Gerechtigkeit, eingelöst bzw. diese konkurrierten unversöhnlich miteinander. Welches Versprechen formuliert eine Theologie des Neuen Testaments als Wissenserzählung? Freiheit? Wahrheit? Gerechtigkeit? Sie sollte zumindestens eine signifikante Annäherung an alle drei genannten Zusagen erreichen und diese in Beziehung zu den Eigenschaften, mit denen sich der biblische Gott selbst vorstellt, interpretieren (Ex 34,6): „Der Herr ist ein barmherziger und liebevoller Gott, langsam im Zorn, voll Gnade und Treue.“
Die vorliegenden Theologien des Neuen Testaments verfolgen unterschiedliche Konzeptionen, die sich nach den gewählten interpretativen Ansätzen und Deutungskonstanten in drei Gruppen einteilen lassen: a) „theologische“ Theologien orientieren sich an einer als normativ verstandenen systematischen Theologie, b) „untheologische“ Theologien folgen Paradigmen aus der Religionsgeschichte und Religionstheorie, c) „erzählende“ Theologien bilden biblisch-theozentrische (Wright) oder neutestamentlich-christologische (Schnelle) Wissenserzählungen, die als „Meistererzählungen“ orientierende Funktionen für das Selbstverständnis von Theologie und Kirche der Gegenwart beanspruchen.
Gesamtdarstellungen einer Theologie des Neuen Testaments 6
1787:Gabler, Johann Philipp: De iusto discrimine biblicae et dogmaticae regundisque recte utriusque finibus (Von der richtigen Unterscheidung der biblischen und der dogmatischen Theologie und der rechten Bestimmung ihrer beiden Ziele), in: Otto Merk, Biblische Theologie des Neuen Testaments in ihrer Anfangszeit. Ihre methodischen Probleme bei Johann Philipp Gabler und Georg Lorenz Bauer und deren Nachwirkungen, Marburg 1972 (MThSt 9).
1864:Baur, Ferdinand Christian: Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, hg. v. Ferdinand Friedrich Baur, Leipzig 1864.
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2002:Hahn, Ferdinand: Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd., Tübingen 22005.
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2002:Zeller, Dieter: Die Entstehung des Christentums, Konsolidierung in der 2./3. Generation, in: ders. (Hg.): Christentum I. Von den Anfängen bis zur konstantinischen Wende, Stuttgart 2002, 15–222.
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Literatur
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