Nicht-klassische Massenmedien: erweiterte Hypermedialität
Vor allem im Internet sind neue Angebotsformen entstanden, die man als Massenmedien bezeichnen kann. Das Internet verschafft nicht nur den etablierten Medien von Presse, Radio und Fernsehen neue technische Reichweiten. Es generiert auch so unterschiedlichen Medien wie Suchmaschinennachrichten, Sozialen Medien (wie Twitter), Weblogs, Podcasts und alternativen Nachrichtenportalen (wie WikiNews) eine neue Basis. Nicht jede Form der digitalen Kommunikation lässt sich als „massenmedial“ charakterisieren, vieles ist interpersonal oder gemeinschaftsorientiert (vgl. Kap. 6). Kommunikate allerdings, die öffentlich zugänglich sind und periodisch erscheinen, so dass sie journalistischen Angeboten ähneln, lassen sich als nicht-klassische Massenmedien einstufen.
Inwieweit sich die Produktions- oder Rezeptionsstrukturen sowie die Kommunikationsflüsse der globalen Massenkommunikation durch das Internet verändern, ist nicht einfach zu ermessen. Auch hier gibt es optimistische wie pessimistische Lesarten, die um die Frage ranken, ob das Internet wirklich einen Strukturwandel der globalen Massenkommunikation eingeleitet hat. Ethan Zuckerman hat verdeutlicht, dass auch im Internetzeitalter grenzüberschreitende und vor allem fremdsprachliche Mediennutzung ein Randphänomen geblieben ist. In keiner der mächtigsten zehn Nationen der Welt liegt der durchschnittliche Anteil der Auslandsnutzung von Medien durch die Bevölkerung im Netz höher als 7Prozent, oft sind die Nutzungszahlen kaum noch messbar und in anderen Teilen der Welt sieht es nicht anders aus (Zuckerman 2013, S.52ff., vgl. a. Elvestad 2009, Fenyoe 2010, Finnemann et al. 2012). Ein transnationaler Strukturwandel (der Mediennutzung) ist aus dieser Sicht nicht durch die Digitalisierung begünstigt worden; von einem Wandel zu einem „Weltmediensystem“ ganz zu schweigen. Historisch betrachtet scheinen analoge Medienrevolutionen wie die Einführung des Telegrafen für das globale Nachrichtenwesen viel revolutionärer gewesen zu sein als das Internet.
Hans-Jürgen Bucher hat allerdings darauf hingewiesen, dass gerade in Krisenzeiten eine verstärkte globale Mediennutzung zu beobachten ist (2005). Seit dem Kosovokrieg, den Attentaten des 11. Septembers 2001 und dem Irakkrieg 2003 suchen kritische Segmente des Publikums im Internet nach Informationen in digitalisierten klassischen wie auch in alternativen Massenmedien, die sie in ihren Heimatmedien nicht bekommen. Zwar ist die Qualität dieser erweiterten Hypermedialität umstritten, da die Quellen zum Teil dubios sind (Lewis 2010, S.123). Gerade soziale Bewegungen haben aber Medien gebildet, die nicht nur alternative globale Öffentlichkeiten erzeugen können, sondern auch als „Interlokutoren“ fungieren und Medienagenden grenzüberschreitend verbinden können (Volkmer 2014, S.141ff., vgl. a. Kap. 5). Zugleich sind die zeitlich begrenzten und auf Informationseliten beschränkten Reichweiten dieser Prozesse noch zu geringfügig, um von einem globalen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Bucher 2005, S.214) sprechen zu können.
Fazit: Interdependenzlücken und die Globalisierung der zwei Geschwindigkeiten
Resümierend lässt sich sagen, dass globale Massenmedienkommunikation heute immer noch sehr weitgehend durch nationale Mediensysteme geleistet wird. Der weltweite Flickenteppich aus egozentrierten Mediensystemen ist zwar auf Produktions- und Rezeptionsebene durch transnationale Produktions- und Rezeptionsstrukturen erweitert worden. Diese Komplementarität aber folgt der bestimmenden Regel der Subsidiarität, wonach nationale Systeme nicht nur den größten Teil der Nachrichtenproduktion, sondern auch weite Teile des Unterhaltungswesens beherrschen und durch internationale Produkte allenfalls ergänzen. Transnationale Produkte – CNN, Hollywood – sind zwar große Prestigeprojekte, die dem Medienkonsum eine wichtige globale Komponente hinzufügen, ohne aber die Vorherrschaft lokaler Strukturen zu beseitigen.
Im Bereich von Medienpolitik und -recht setzt der Nationalstaat zudem noch immer entscheidende Rahmenbedingungen, die durch technisch-funktionale globale Regelungen eher ergänzt als ersetzt werden. Medienmärkte sind nur sehr bedingt global interdependent. Anders als die interaktiven Sozialsysteme der Politik, Wirtschaft usw. verbleibt die massenmediale Kulturproduktion in ihrem primären Modus der (Welt-)Beobachtung strukturell hochgradig selbstreferenziell. Von dieser Tendenz ausgenommen sind alternative Informationsflüsse und Öffentlichkeiten, die auf eine Globalisierung der „zwei Geschwindigkeiten“ verweisen. Globale Massenkommunikation ist ein Minderheitenphänomen, wobei Informationseliten sowohl unter Produzenten wie auch Konsumenten systematisch versuchen, nationale Grenzen des Medienraums zu erweitern und eine stabile Weltöffentlichkeit zu erzeugen.
2.2 Kommunikative Systemverbindungen
Gemäß unserem grundlegenden System-Lebenswelt-Netzwerk-Ansatz ist eine rein strukturalistische Betrachtung der globalen Massenkommunikation unzureichend. Mediensysteme kommunizieren über Grenzen hinweg, aber sind ihre Beobachtungsleistungen deswegen auch synchronisiert im Sinne der Schaffung eines gemeinsamen globalen Mediendiskurses und einer transnationalen Weltöffentlichkeit? Oder haben wir es eher mit separaten nationalen Mediendiskursen zu tun, die untereinander unvernetzt bleiben? Unsere Analyse erfolgt in zwei Schritten, wobei zunächst der empirische Forschungsstand zu Inhaltsanalysen der globalen Massenkommunikation aufgearbeitet wird, bevor anschließend eine Bewertung des Ist-Zustandes vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Synchronitätsananforderungen der deliberativen Öffentlichkeitstheorie und der Systemtheorie erfolgt.
Grundlagen: Interdiskursivität, Konvergenz und Domestizierung von Mediendiskursen
Das „Weltbild“ der Medien ist ein Diskurs, der textlinguistisch aus Makro- und Mikropropositionen besteht (van Dijk 1988, Hafez 2002a, Bd.1, S.45ff.). „Themen“ beispielsweise sind Makropropositionen eines Textes, die eng mit der kommunikationswissenschaftlichen Theorie des Agenda Setting verbunden sind, also mit der Frage, worüber Medien (und infolgedessen Rezipienten und Rezipientinnen) nachdenken. Themen umfassen ihrerseits Mikropropositionen wie Frames und Stereotype, also handlungsorientierte Argumentmuster eines Textes wie auch attributive Charakterisierungen (z.B. von Nationen oder sozialen Gruppen) (Entman 1993, Thiele 2015). Während Themen-, Framing- und Stereotypenanalysen auf Basis von Einzeltexten untersucht werden können, umfasst der Diskursbegriff auch Beziehungen zwischen Texten (Intertextualität, Konerding 2005). Der öffentliche Diskurs ist kein interaktives Gespräch im Sinne einer gemeinsamen Sinnproduktion, er bleibt monologisch, verfügt aber insofern über dialogähnliche Eigenschaften, als intertextuelle Bezugnahmen zu anderen Texten erkennbar sind. Intertextuelle Diskurse wiederum besitzen eine Integrationsfunktion und erzeugen durch ihre sprachliche Verständlichkeit Diskursgemeinschaften (Öffentlichkeiten).
Die Frage ist nun, inwieweit die strukturell relativ getrennten nationalen Mediensysteme dieser Welt eine transkulturelle Mittlerfunktion wahrnehmen, indem sie nationale Diskurse miteinander synchronisieren und einen globalen und transkulturellen „Interdiskurs“ schaffen, wobei Eigen- und Fremdverstehen verbunden werden (Hafez 2002a, Bd.1, S.163ff.). Kongruenz und Differenz der lokalen Diskurse müssten dazu in der Auslandsberichterstattung ermittelt und „übersetzt“ werden. Dabei kann es zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, da sich nicht nur die Themenauswahl und die Interpretationen in verschiedenen Diskursgemeinschaften unterscheiden können, sondern auch das Kontextwissen mit der Entfernung zum internationalen Geschehen naturgemäß abnimmt und vom Auslandsjournalisten vermittelt werden muss (Hafez 2002a, Bd.1, S.65f.). Der Prozess wird auch dadurch verkompliziert, dass akustische, visuelle und textuelle Zeichen unterschiedliche Logiken in der globalen Kommunikation haben. Während Musik und Bilder relativ einfach Grenzen überschreiten und scheinbar „selbsterklärend“ sind, müssen Texte übersetzt, aufbereitet und kontextualisiert werden. Aber auch Bilder sind nur auf den ersten Blick nicht erklärungsbedürftig und daher oft hochmanipulativ.
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