Carlo Petrini
Gespräche mit Papst Franziskus über Ökologie, Migration und soziale Gerechtigkeit
Aus dem Italienischen von Franziska Kristen
Questo libro è stato tradotto grazie a un contributo per la traduzione assegnato dal Ministero degli Affari Esteri italiano.
Die Publikation der Übersetzung erfolgt mit der freundlichen Unterstützung des italienischen Außenministeriums.
Der Verlag bedankt sich dafür.
Der Rotpunktverlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021 bis 2024 unterstützt.
Die Originalausgabe ist 2020 unter dem Titel Terrafutura. Dialoghi con Papa Francesco sullécologia integrale bei Giunti in Florenz und Mailand erschienen.
© 2020 Giunti Editore S.p.A., Florenz, Mailand
www.giunti.it
© 2020 Slow Food Editore S.r.l., Bra
www.slowfoodeditore.it
Für die Papsttexte in den Dialogen und im zweiten Teil
© 2020 Libreria Editrice Vaticana
© 2021 Rotpunktverlag, Zürich (für die deutschsprachige Ausgabe)
www.rotpunktverlag.ch
Übersetzung des Vorworts, der Dialoge und der Texte von Carlo Petrini im zweiten Teil von Franziska Kristen, Übersetzung der Papsttexte im zweiten Teil vom Vatikan, abrufbar unter: www.vatican.va/content/francesco/de.html
Umschlagbild: Servizio Fotografico, Vatican Media
Lektorat: Jürg Fischer
eISBN 978-3-85869-933-6
1. Auflage 2021
Vorwort
Dialoge für die Erde
Domenico Pompili
Erster Teil
Drei Dialoge
Einleitung
Carlo Petrini
Dialog vom 30. Mai 2018
Dialog vom 2. Juli 2019
Dialog vom 9. Juli 2020
Zweiter Teil
Fünf Themen
Biodiversität
Carlo Petrini
Querida Amazonia
Papst Franziskus
Ökonomie
Carlo Petrini
Evangelii gaudium
Papst Franziskus
Schreiben an die Volksbewegungen
Papst Franziskus
Migration
Carlo Petrini
Es geht nicht nur um Migranten
Papst Franziskus
Bildung
Carlo Petrini
Begegnung mit Studenten und Universitätsdozenten
Papst Franziskus
Botschaft zum Start des Bildungspakts
Papst Franziskus
Gemeinschaft
Carlo Petrini
(Re)Thinking Europe
Papst Franziskus
Botschaft an das Forum der Laudato-si’-Gemeinschaften
Papst Franziskus
Dank
Biografien
Vorwort
Dialoge für die Erde
Domenico Pompili
Die ökologische Krise der Erde ist letztlich eine Krise der technisch-naturwissenschaftlichen Zivilisation, und sie bildet den Hauptanklagepunkt gegen einen der Mythen unserer Zeit: den Fortschritt. In der Krise steckt insbesondere jenes demagogische Modell, das nicht nur zu einer Verschärfung des Gefälles zwischen Nord und Süd, sondern, weitaus radikaler, zu einer Entwertung menschlichen Lebens geführt hat. Die Umweltproblematik wird somit zur »Chiffre« der Misere der Menschheit.
Das erklärt den Stellenwert der Gedanken von Papst Franziskus, wenn er der Frage nachgeht, »was unserem Haus widerfährt« 1. Seine Analyse setzt bei den tieferen anthropologischen und ethischen Ursachen an, die dieser Misere zugrunde liegen. Auf diese Weise versucht er, die kulturellen Grundschemata zu beleuchten, auf denen unser heutiger Wachstumsprozess, mit all seinen offenkundigen Widersprüchen, basiert. Dabei zeigt sich, dass der Grund für die Perversion gewisser wirksamer Mechanismen in einer rein ökonomischen und ökonomistischen Konzeption von Fortschritt zu suchen ist, der – ebenso weltfremd wie verantwortungslos – als ein geradliniger, gleichsam automatischer und per se aufklärerischer Prozess betrachtet wird. Das trifft nicht zu. Und die aktuelle Pandemie liefert uns dafür einmal mehr den Beweis.
Es handelt sich um eine ethische Krise, aber bei genauerer Betrachtung ist diese Krise auch spiritueller Natur, weil eben das infrage gestellt wird, worauf die Menschen der westlichen Welt vertraut haben. Die lebenswichtige Beziehung, die sich zwischen einer menschlichen Gesellschaft und ihrer natürlichen Umwelt herausbildet, ist in der Tat nicht einfach das Ergebnis irgendwelcher Techniken, sondern entspricht einem wechselseitigen Prozess, der letzten Endes davon abhängt, für welche Werte sich der Mensch entscheidet. Technologie an sich ist nichts anderes als angewandte Naturwissenschaft, denn jegliche naturwissenschaftliche Errungenschaft wird früher oder später technisch genutzt, um der Natur möglichst viele Güter und Ressourcen zu entziehen. Daher stammt die – von Jürgen Habermas 1formulierte – Überzeugung, dass sich hinter Technologien und Naturwissenschaften stets spezielle menschliche Interessen verbergen und diese niemals losgelöst von bestimmten Werten zu sehen sind. Diese Interessen werden auf der Basis der in einer Gesellschaft geltenden Grundwerte und Grundüberzeugungen, also ausgehend von einer vorherrschenden kulturellen Prägung reguliert. Daraus folgt, dass die ökologische Krise nicht allein als technisches Faktum gedeutet werden darf, sondern auf eine tiefer greifende Krise verweist. Denn das Pendant zu den sterbenden Bäumen »um uns herum« sind die psychischen und spirituellen Neurosen »in unserem Inneren«, und die Gewässerverschmutzung geht mit einer nihilistischen Haltung gegenüber dem Leben einher.
Was sind die Wurzeln des irrsinnigen Wettlaufs um einen derart entmenschlichenden Fortschritt? Alle Errungenschaften der Wissenschaften und der Technik werden sofort in den Dienst politischer Machterweiterung und Machtkonsolidierung gestellt. So gelangt man zu einem ausschließlich quantitativen Verständnis von Wachstum, ohne der Beschränktheit der Ressourcen Rechnung zu tragen und unter Missachtung jener Qualitäten, die sich aus dem eigentlichen Ziel – einer wahrhaft menschlichen Entwicklung – ergeben. Ganz anders steht es um die Kultur anderer, vielleicht gar archaischerer Lebenswelten, in denen das Leitelement nicht einfach Wachstum, sondern Gleichgewicht ist und sich das Verhältnis Mensch-Natur völlig anders darstellt. Es sind die abendländischen Gesellschaften, in denen eine Dichotomie zwischen Kultur und Natur, zwischen Bewusstsein und Lebensraum geschaffen wird. Diese Dichotomie führt zu einer gänzlich instrumentellen Sicht auf die Natur, die als externes Objekt betrachtet wird, über das der Mensch seine uneingeschränkte Herrschaft ausüben kann, statt sie als Lebensraum und Ökosystem, innerhalb dessen sich das menschliche Leben vollzieht, und somit als eine konstitutive Dimension des eigenen Seins und Werdens zu betrachten.
Wie ist man in diese Situation geraten? Im Gegensatz zu der landläufigen Überzeugung, dass die jüdisch-christliche Religion die Grundlagen für eine Unterwerfung der Natur durch den Menschen geschaffen habe, 1bringt der soziale Gedanke der Kirche ein Faktum zutage: Es ist das mangelnde Bibelverständnis, das den Schaden angerichtet hat, und insbesondere die Zensur rings um den Begriff der Schöpfung. Darüber hinaus gibt es auch einen historischen Gegenbeweis: Die göttliche Ermahnung »Seid fruchtbar und mehret euch« ist mindestens dreitausend Jahre alt, während die europäische Expansionskultur, die mit der Entdeckung Amerikas begann, gerade einmal vor fünfhundert Jahre entstanden ist.
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