1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Die Stärke der amerikanischen Institutionen und der Rechtstaatlichkeit erklären, warum die ganze Welt dem amerikanischen Dollar vertraut. Auf diesem Glauben an den US-Dollar beruht sein Status als primäre globale Leitwährung. Auf diese Weise kommt Amerika in den Genuss des „exorbitanten Privilegs“, zum Finanzieren seiner Haushaltsdefizite und Leistungsbilanzdefizite einfach Geld drucken zu können. In den vergangenen Jahren hat Amerika darüber hinaus den Dollar als mächtige Waffe dafür eingesetzt, andere Länder zu sanktionieren oder unter Druck zu setzen. China verfügt über keine derartige Waffe.
Unsere Wirtschaft war früher nur ein Zehntel so groß wie die amerikanische. Inzwischen sind es über 60 Prozent. 17Unser Land betriebt mehr Handel mit dem Rest der Welt als Amerika. Wir haben einen Anteil von 10,22 Prozent an den globalen Gesamtimporten und 12,77 Prozent an den globalen Gesamtexporten, während der Anteil der USA an den globalen Importen 13,37 Prozent und an den globalen Exporten 8,72 Prozent beträgt. 18,19Betrachtet man hingegen die globalen Handelstransaktionen, entfallen noch immer 41,27 Prozent aller Transaktionen auf den Dollar, während der Renminbi (RMB) 0,98 Prozent ausmacht. 20
Warum ist das so? Weil Länder und wohlhabende Personen an den Dollar glauben. Der Renminbi kann den Dollar bei globalen finanziellen Transaktionen nicht ablösen, denn dazu müssten wir den Renminbi zu einer frei konvertierbaren Währung machen. Dieser Schritt ist auf absehbare Zeit für unsere Volkswirtschaft nicht zu realisieren, insofern wird der Dollar noch auf viele Jahrzehnte hinaus die wichtigste globale Währung darstellen.
Amerikas vierter großer strategischer Vorteil besteht darin, dass das Land über die besten Universitäten der Welt verfügt. In der langen Geschichte der Menschheit waren die erfolgreichsten Gesellschaften stets jene, die unterschiedliche Gedankenschulen gefördert haben.
In Chinas kreativster Periode entstanden viele Gedankenschulen gleichzeitig – Konfuzianismus, Taoismus, Legalismus. Heute ist Amerika weltweit führend, wenn es darum geht, unterschiedliche Ansichten zu fördern. Amerikas Universitäten haben die stärksten intellektuellen Ökosysteme der Welt erschaffen. Diese Kultur, althergebrachtes Wissen infrage zu stellen und zu kritisieren, fördert wiederum Kreativität und Innovation. Auf einem Gebiet nach dem anderen bringt Amerika aus diesem Grund mehr Nobelpreisträger hervor als jedes andere Land. In den 1980er-Jahren gab es eine Phase, da schien es, als ob Japan wirtschaftlich an Amerika vorbeiziehen könnte. Doch selbst auf dem Höhepunkt seiner Erfolge brachte Japan vergleichsweise wenige Nobelpreisträger hervor. An amerikanischen Universitäten lehren Hunderte Wissenschaftler, die mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.
Diese großartigen Universitäten erfüllen eine weitere wichtige Aufgabe für Amerika. Sie sind der Kanal, über den die klügsten Köpfe der Welt angelockt werden, nach Amerika zu kommen, um dort zu leben und zu arbeiten. Diese großartigen Universitäten, Hochschulen wie Harvard, Yale, Stanford und Columbia, schauen, wenn sie Lehrkräfte einstellen, nicht auf die Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit einer Person. Sie wählen die Besten ihres Fachs aus, egal woher sie kommen. Wenn es darum geht, Talente aus aller Welt anzulocken und zu halten, können im Rest der Welt nur wenige Universitäten mit den amerikanischen Unis mithalten. Das einzige Land, das eines Tages eine größere Bevölkerung als China haben könnte, ist Indien. China wird nicht imstande sein, die besten Talente aus Indien anzulocken. Amerika ist das gelungen und wird es auch weiterhin gelingen. Das wird eines Tages zu einem symbiotischen Verhältnis zwischen Indien und Amerika führen. Amerika und Indien sind die größten Wettbewerber, mit denen sich China in Zukunft wird auseinandersetzen müssen, und diese beiden Länder finden möglicherweise zusammen und kooperieren. Wir müssen jetzt hart daran arbeiten, dass es nicht so weit kommt.
Amerikas fünfter großer strategischer Vorteil erklärt auch den außergewöhnlichen Erfolg seiner Hochschulen: Amerika ist Teil einer großen Zivilisation – der westlichen Zivilisation.
Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte war unsere Zivilisation auf Augenhöhe zu vielen westlichen Zivilisationen. Tatsächlich haben wir mehr Produkte erfunden als sie – das Schießpulver, den Kompass, das Papier, die Druckkunst. 21Dennoch fiel unsere Zivilisation hinter den Westen zurück, während dieser die großartige Renaissance durchlebte, die Aufklärung und schließlich die Industrielle Revolution. All dies mündete nach dem Opiumkrieg von 1840 in das große Jahrhundert der Erniedrigung. Insofern wäre es ein strategischer Fehler, die Stärke und die Vitalität der westlichen Zivilisation zu unterschätzen.
Mitglied der großen westlichen Zivilisation zu sein, bringt für das amerikanische Volk viele Vorteile mit sich. Es verleiht ihm ein genauso großes kulturelles Selbstvertrauen, wie es bei unserem Volk der Fall ist. Amerika ist jedoch nicht das einzige Mitglied dieser Zivilisation.
Die großen Staaten Europas sowie Australien, Kanada und Neuseeland gehören ihr ebenfalls an. Insofern wird Amerika bei einer geopolitischen Auseinandersetzung nicht allein dastehen. Zwischen allen Mitgliedern der westlichen Zivilisation herrscht ein großes gegenseitiges Vertrauen und das gilt im Speziellen für die angelsächsischen Mitglieder der „Five Eyes“-Allianz, einer Kooperation der Geheimdienste von Australien, Kanada, Neuseeland, Vereinigtem Königreich und Vereinigten Staaten. Wenn sich der geopolitische Konkurrenzkampf zwischen unseren Ländern aufheizt, werden sich die anderen Mitglieder des Westens hinter Amerika stellen und ihm helfen, indirekt oder direkt.
Abschließend möchte ich sagen: Während wir unser großes Ringen mit Amerika beginnen, wäre unser größter strategischer Fehler der, die Macht und Stärke des Landes zu unterschätzen. Dieses Land tauchte vor 250 Jahren aus dem Nichts auf. Es ist viel jünger als wir. Doch trotz seiner Jugend (oder vielleicht auch deshalb) besitzt Amerika eine der dynamischsten Gesellschaften, die die Menschheit je gesehen hat. Bereiten wir uns auf den größten geopolitischen Wettstreit aller Zeiten vor. Wollen wir unser historisches Ziel erreichen und bis 2049 unsere nationale Verjüngung abgeschlossen haben, werden wir diesen Wettstreit für uns entscheiden müssen. 22
Dieses Memo mag fiktiv sein, aber ich denke, es gibt exakt wieder, wie die chinesische Elite Amerika sieht. Es herrscht dort echter Respekt für die großen Stärken, über die Amerika verfügt. Selbst Huawei-Gründer Ren Zhengfei hat öffentlich seinen Respekt für Amerika bekundet, obwohl die Amerikaner seine Tochter verhaftet haben und sein Unternehmen in Amerika massiv Prügel einstecken musste. Infolgedessen wird die chinesische Führung gewaltige Anstrengungen unternehmen, einen ausgewachsenen geopolitischen Wettstreit mit Amerika so lang wie möglich hinauszuzögern. Es ist ein Paradoxon des großen geopolitischen Wettstreits, der sich in den kommenden Jahrzehnten zwischen Amerika und China abspielen wird, dass diese Auseinandersetzung genauso unvermeidlich wie vermeidbar ist. Unvermeidlich ist sie, weil viele der politischen Entscheider, die für das taktische Vorgehen verantwortlich sind, von einer Psychologie besessen sind, laut der Wettbewerb zwischen großen Mächten stets ein Nullsummenspiel ist. Das bedeutet: Wenn China seine Marinepräsenz im angrenzenden Südchinesischen Meer verstärkt, wird die US Navy dies als Niederlage ansehen und ihrerseits ihre Präsenz in der Region verstärken. Ich hoffe, hier aufzeigen zu können, dass es keinen grundlegenden Interessenkonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China gibt, wenn es darum geht, die Freiheit der Schifffahrt in den internationalen Gewässern zu gewährleisten. Tatsächlich hat China sogar ein stärkeres Interesse an der Freiheit der Schifffahrt als Amerika.
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