„Einen Salat oder Frybread. Es gibt Büffel. Mike Stonefeather hat einen spendiert“, antwortete er und nahm sich noch einen Kaffee. „Einen ganzen Büffel?“, fragte sie erstaunt. „Hast du nicht gesagt, dass Büffelfleisch so teuer ist?“
„Er züchtet Büffel, außerdem ist das hier so üblich, wenn man heiratet, Vater geworden ist oder ein gutes Jahr hatte. Wir schenken allen anderen etwas, um damit unsere Dankbarkeit zu zeigen und etwas zurückzugeben. Wir nennen das Wóotuh‘an, Give away“, erklärte Josh.
Sie lächelte. „Das ist ein schöner Brauch. Ist er denn Vater geworden?“
Josh schlürfte seinen Kaffee und nickte mit einem verzückten Lächeln. „Mike hat endlich seine langersehnte Tochter bekommen. Tashina. Eine süße kleine Maus. Sie wickelt ihren Vater jetzt schon um den Finger“, schwärmte er.
Sannah hatte noch nie erlebt, dass ein Mann derart hingerissen von einem Neugeborenen sprach, erst recht nicht, wenn es nicht sein eigenes war. Mittlerweile hatte sie ihr vorschnelles Urteil über ihn revidiert. Er war weder ein Eisberg noch ein Griesgram, ganz im Gegenteil. Sie lächelte ihn versonnen an, irgendein Knoten war gestern geplatzt, sie waren sich nicht mehr so fremd.
Josh stand auf. „Ich sollte mich endlich mal anziehen, die Pferde müssen raus“, schalt er sich selbst.
„Keine Panik“, beruhigte ihn Sannah. „Die sind schon draußen.“ Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Womit habe ich den verdient?“, fragte sie lächelnd.
„Für deine Hilfe“, meinte er. „Ich halte das nicht für selbstverständlich. Außerdem hast du mir vorhin einen meiner besten Kunden gerettet. Er kommt morgen, um eins meiner Pferde zu kaufen, und bringt ein weiteres zur Ausbildung. Bis dahin habe ich noch einen Haufen Arbeit zu erledigen.“
Der Vormittag verging schnell mit den üblichen Arbeiten. Josh war schweigsamer als sonst und grübelte immer noch vor sich hin, während er die Pferde, die für den Verkauf bestimmt waren wusch und Mähne und Schweif gründlich bürstete.
Sannah half ihm dabei; sie ahnte nicht, was ihn beschäftigte, aber sie respektierte, dass er nicht reden wollte. Er würde schon von allein damit anfangen, wenn er so weit war, und so arbeiteten sie schweigend Seite an Seite. Ab und an warf er ihr einen neugierigen Blick zu. Er schätzte ihr Feingefühl und ihre Zurückhaltung.
Es war ein heißer Tag, die Temperaturen waren schlagartig in die Höhe geschnellt und die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. In ihren schwarzen Jeans wurde es fast unerträglich heiß, und Sannah beneidete Josh um den Job, die Pferde zu waschen. Sie ließ die Bürste sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Josh hatte von vornherein auf ein T-Shirt verzichtet und war beim Waschen nicht darauf bedacht gewesen, trocken zu bleiben. Sie ging zu ihm und bat um den Schlauch.
„Dir ist doch nicht etwa warm?“, fragte er grinsend.
Noch bevor sie ihm antworten konnte, drückte er den Schlauch mit dem Daumen zusammen und hielt ihn über ihren Kopf. Ein Schwall kalten Wassers ergoss sich über sie. Sannah kreischte und versuchte, Josh den Schlauch abzunehmen. Doch er hielt ihn einfach hoch, und sie reichte nicht heran. Sie hätte ebenso gut versuchen können, eine Burgmauer zu stürmen. Er schlang den anderen Arm um ihre Taille und hinderte sie an der Flucht, während er unablässig Wasser über sie laufen ließ. Josh lachte über ihre kraftlosen Versuche, sich aus seiner Umklammerung zu winden, und drückte sie nur noch fester an sich. Das Wasser spritzte in alle Richtungen. Mit ihren Händen stemmte Sannah sich gegen seine Brust und prustete vor Lachen. Sie hatte längst begriffen, dass sie gegen ihn keine Chance hatte. Sie balgten weiter unbeschwert wie Kinder, bis sie keuchend um Gnade flehte.
„Was bekomme ich dafür?“, fragte er herausfordernd und ließ den Schlauch sinken, ohne jedoch seine Umarmung zu lockern. In seinen schwarzen Augen konnte Sannah lesen, woran er jetzt dachte. Das Raubtier war erwacht, und er konnte es nur mit Mühe im Zaum halten.
„Ich backe dir einen Kuchen“, versuchte sie die Situation zu entschärfen.
Sein Griff verstärkte sich nur. „So billig kommst du mir nicht davon“, sagte er lachend, doch es war ihm ernst.
Sie sah ihn nur an, zog ihn zu sich herunter und gab ihm einen unschuldigen Kuss auf den Mund.
„Darf ich mir jetzt was Trockenes anziehen, oder muss ich diesmal nass zum Einkaufen?“, fragte sie ihn lächelnd, noch ehe er wieder ganz zur Besinnung gekommen war.
Sein Arm glitt von ihrer Taille, und er ließ sie gehen. Das Grübeln hatte ein Ende. Josh war gerade klargeworden, was er wollte.
Sannah lief patschnass zum Haus und zog auf der Veranda ihre nassen Sachen aus, während Limbisia, ihr limbisches System, schon mal shoppen ging. Damenunterwäsche und Dessous, erstes Obergeschoss, links hinterm Grabbeltisch. In besagter Unterwäsche lief sie die Treppe hoch in ihr Zimmer und trocknete sich ab. Sie versuchte vergeblich, sich etwas zu beruhigen. Er hatte es wieder herausgefordert, aber sie war diejenige, die zu weit gegangen war. Ein Kuss auf die Wange hätte auch gereicht, stattdessen hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können. Sie zweifelte daran, das sie jemals würde widerstehen können, sollte er es wieder versuchen, und das würde er, dessen war sie sich sicher. Ihr Herz klopfte bis zum Hals.
Sannah schlüpfte in eine Shorts und ein Top. Es war noch nicht ganz Mittag und würde sicher noch heißer werden. Vom Fenster aus konnte sie sehen, wie Josh das letzte Pferd zurück auf die kleine Weide brachte und den Schlauch zusammenrollte. Ihr limbisches System verfiel in einen wahren Kaufrausch und wühlte sich durch halterlose Seidenstrümpfe und Push-up-BHs.
„Selber schuld!“, hallte es per Lautsprecherdurchsage durch das Kaufhaus im Oberstübchen. Limbisia zuckte nur kurz zusammen und widmete sich dann enthusiastisch den Tangas.
Einige Augenblicke später hörte Sannah, wie Josh die Treppe heraufkam. Sie wartete einen Moment, schnappte sich die Flipflops und verließ ihr Zimmer. Seine Zimmertür war geschlossen. Sie ging in die Küche, gönnte sich eine kalte Cola und hielt sich das Glas an die Schläfe. Josh kam ebenfalls in trockenen Klamotten die Treppe runter. Sannah hielt die Flipflops hoch. „Sind die okay für den Supermarkt, oder gibt es da auch Schlangen?“, fragte sie ohne darüber nachzudenken, um ja kein peinliches Schweigen entstehen zu lassen.
„Da gibt es auch Schlangen“, meinte er trocken. „Die längsten vor der Kasse.“ Er grinste schief. „Was hast du gegen deine Stiefel?“ „Es ist so heiß, und die Stiefel sind nass“, quengelte sie. „Außerdem sehen Shorts und Stiefel zusammen bescheuert aus“, fügte sie noch hinzu.
Josh schwieg.
„Was soll‘s, ich bin ja nicht auf einem Model Contest“, meinte sie kleinlaut, als er nichts erwiderte.
Sein Blick wanderte genüsslich über die Shorts und ihre langen Beine. „Da passt du auch nicht hin“, bemerkte er knapp und tippte sacht mit seinem Finger an ihre Stirn. „Zu viel Hirn“, stellte er fest.
„Danke für die Blumen“, erwiderte sie und war erleichtert darüber, dass er den Kuss nicht erwähnte.
Kurze Zeit später rumpelten sie wieder über die Zufahrt in Richtung Supermarkt. Sannah wackelte in ihren Flipflops zufrieden mit den Zehen. Josh wirkte entspannter als noch am Vormittag, allerdings schien er jetzt über etwas anderes nachzudenken. Er schwieg während der ganzen Fahrt. Sannah kaute auf ihrer Unterlippe. ‚Das hätte nicht passieren dürfen‘, dachte sie, während sie aus dem Fenster starrte und die Landschaft an sich vorbeiziehen ließ. Sein Schweigen sprach Bände, und diesmal war ihr ziemlich klar, was ihn beschäftigte. Die Straße zum Ort Pine Ridge führte an Wounded Knee vorbei. Auf einer Anhöhe lag der Friedhof mit den Opfern des Massakers vom 29. Dezember 1890. An diesem Tag nahm der Freiheitskampf der Sioux ein tragisches Ende, von dem sie sich bis heute nicht erholt hatten. Rund dreihundert wehrlose Männer, Frauen und Kinder wurden hier vom 7. Kavallerieregiment der US-Armee niedergemetzelt. Sannah erinnerte sich noch gut an das Foto des getöteten Häuptlings Spotted Elk, von den Soldaten abfällig Big Foot genannt. Es war das erste Foto eines Toten, das sie als Kind im Geschichtsunterricht zu Gesicht bekommen hatte. Sie fand es damals schon entwürdigend. Heute sah sie darin mehr eine stumme Anklage, stellvertretend für alle Gräueltaten die an den Ureinwohnern verübt worden waren.
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