83
Zu den wichtigsten Grundsätzen des Völkervertragsrechts gehört die allgemeine Verpflichtung, Verträge einzuhalten und nach Treu und Glauben zu erfüllen („ Pacta sunt servanda“), Art. 26 WVK. Eine Berufung auf innerstaatliches Recht, das der Erfüllung einer Vertragspflicht entgegensteht, zur Rechtfertigung eines Vertragsverstoßes ist nicht zulässig, Art. 27 WVK. Die völkerrechtliche Verpflichtung besteht grundsätzlich unabhängig von der jeweils innerstaatlich geltenden Rechtslage. Verträge, die gegen ius cogens(zwingendes Völkerrecht) verstoßen, sind ipso iure nichtig, Art. 53 Abs. 1 WVK.
[1]
BGBl. 1985 II, S. 926 = Sartorius II Nr. 320.
[2]
Dazu unten Rn. 99 ff.
[3]
Vgl. Geiger, Staatsrecht III: Bezüge des Grundgesetzes zum Völker- und Europarecht, 7. Aufl., 2018, § 24 III und Schweitzer/Dederer, Staatsrecht III, 12. Aufl. 2020, Rn. 336 ff.
b) Völkergewohnheitsrecht
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Trotz der fortschreitenden Kodifizierung des Völkerrechts spielt das Völkergewohnheitsrecht immer noch eine bedeutende Rolle. Völkergewohnheitsrecht umfasst die Summe der Regeln, die in der Staatenpraxistatsächlich und in ständiger Übungangewandt werden ( consuetudo ) und bezüglich derer eine gemeinsame Rechtsüberzeugungder Staaten besteht (opinio iuris), vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut.
Merke:
Völkergewohnheitsrechterfordert eine von einer Rechtsüberzeugunggetragene allgemeine Übung.
85
Der Nachweisvon Völkergewohnheitsrecht kann im Einzelnen schwierig sein. Erforderlich ist, dass eine hinreichend große Zahl von Staaten sich in einer bestimmten Weise verhält und zu erkennen gibt, dass ihr Verhalten auf einer Rechtsüberzeugung beruht. Um Rechtssicherheit herzustellen werden gewohnheitsrechtliche Regeln häufig in völkerrechtlichen Verträgen kodifiziert. Hat sich die Praxis und Rechtsüberzeugung nur in einer bestimmten Region entwickelt, kann regionales Gewohnheitsrechtentstehen.
86
Völkergewohnheitsrecht gilt für alle Staaten, unabhängig davon, ob ihnen eine tatsächliche Praxis nachgewiesen werden kann. Lediglich ein Staat, der ausdrücklich zu erkennen gibt, dass er eine bestimmte Norm nicht für Gewohnheitsrecht hält bzw. dem Entstehen einer solchen Norm widerspricht (sog. persistent objector), ist nicht an das Gewohnheitsrecht gebunden.
c) Sonstige Völkerrechtsquellen
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Nach Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut sind auch die allgemeinen Rechtsgrundsätzeeine Rechtsquelle (der Zusatz „von den Kulturvölkern anerkannt“ ist heute bedeutungslos). Die allgemeinen Rechtsgrundsätze haben lückenfüllende Funktion und werden aus einer Rechtsvergleichung zwischen den wichtigsten Rechtssystemen der Welt gewonnen. Bsp.: Verbot des Rechtsmissbrauchs, Verwirkung eines Rechts, Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung, Grundsatz von Treu und Glauben, estoppel-Prinzip ( venire contra factum proprium ).
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Bei Entscheidungen internationaler Organisationenist zwischen verbindlichen und unverbindlichen Entscheidungen und zwischen internen und externen Rechtswirkungen zu unterscheiden. Grundsätzlich können alle internationalen Organisationen Entscheidungen treffen, die im organisationsinternen Bereich Rechtswirkungentfalten. So kann eine internationale Organisation z.B. entscheiden, ob Beobachter an den Sitzungen ihrer Organe teilnehmen können oder nicht.
89
Entscheidungen mit Rechtswirkung nach außenkönnen internationale Organisationen grundsätzlich nur dann fällen, wenn sie dazu ausdrücklich ermächtigt wurden, wie z.B. der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gem. Art. 25 UN-Charta oder die Organe der Europäischen Union gem. Art. 288 AEUV. Eine solche Befugnis ist allerdings eher selten im Völkerrecht. Typischerweisesind die Resolutionen und Entscheidungen internationaler Organisationen unverbindlich(vgl. z.B. Art. 10, 11 UN-Charta für die Generalversammlung der Vereinten Nationen).
90
Trotz ihrer Unverbindlichkeit sind Entscheidungen internationaler Organisationen praktisch nicht unbedeutend. So können z.B. einstimmig verabschiedete Erklärungen der UN-Generalversammlung oder Abschlusserklärungen von internationalen Konferenzen als Ausdruck eines gemeinsamen und einheitlichen Willens der internationalen Gemeinschaftangesehen werden. Insofern können sie u.U. auch als Ausdruck einer allgemeinen Rechtsüberzeugung für den Nachweis von Völkergewohnheitsrecht verstanden werden oder von Gerichten als Auslegungshilfe von förmlichen Rechtsquellen herangezogen werden. Um diese faktischen Wirkungen von formell unverbindlichen Erklärungen zu beschreiben, wird teilweise der Begriff „ soft law“ verwandt. Damit soll deutlich gemacht werden, dass es sich um Normen handelt, die zwar nicht rechtlich verbindlich sind, denen aber gleichwohl ein hoher moralischer Verbindlichkeitsgrad zukommt. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Erklärung über die völkerrechtlichen Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Generalversammlung vom 24.10.1970 (Friendly Relations Declaration).[1]
91
Ist abzusehen, dass sich eine noch nicht verbindliche Regel zu einer rechtsverbindlichen Regel verfestigt, z.B. bei einem völkerrechtlichen Vertrag, dessen Inkrafttreten noch aussteht, aber absehbar ist, kann auch von Völkerrecht in statu nascendi(Völkerrecht „vor der Geburt“) gesprochen werden. Von einer derartigen Norm kann vor allem die Verpflichtung ausgehen, die Entstehung der Norm nicht zu vereiteln.
[1]
Res. 2625 (XXV) = Sartorius II, Nr. 4.
Teil 1 Grundlagen› II. Völkerrechtliche Grundlagen des Wirtschaftsvölkerrechts› 3. Grundprinzipien des Völkerrechts
3. Grundprinzipien des Völkerrechts
92
Grundlage des gegenwärtigen Völkerrechts ist die souveräne Gleichheitaller Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta). Hieraus ergibt sich zunächst das Recht der Staaten, ihre inneren Angelegenheiten ohne Einmischung von außen zu gestalten und damit der Grundsatz der Nichteinmischungin die inneren Angelegenheiten. Die staatliche Souveränität wird heute jedoch durch international geltende Menschenrechte eingeschränkt. Insbesondere Menschenrechtsverletzungen sind keine innere Angelegenheit der Staaten mehr.
93
Die staatliche Souveränität äußert sich auch in der Territorial- und Personalhoheitder Staaten, d.h. in dem Recht, Sachverhalte auf dem eigenen Territorium bzw. das Verhalten der eigenen Staatsangehörigen zu regeln. Unter bestimmten Umständen dürfen die Staaten auch Hoheitsakte erlassen, die über die Territorial- und Personalhoheit hinausgehen ( extraterritoriale Wirkung). So ist z.B. im internationalen Kartellrecht anerkannt, dass Kartellbehörden wettbewerbswidriges Verhalten ausländischer Unternehmen im Ausland überprüfen dürfen, wenn sich das Verhalten auf den Wettbewerb auf dem inländischen Markt bzw. im Fall der EU auf dem europäischen Binnenmarkt auswirkt.[1]
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Aus der souveränen Gleichheit der Staaten folgt auch der Grundsatz der Staatenimmunität.[2] Dazu zählt das Recht eines Staates, sich nicht der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterordnen zu müssen, d.h. ein Staat kann nicht gegen seinen Willen vor fremden Gerichten verklagt werden oder Vollstreckungsmaßnahmen hinnehmen zu müssen ( par in parem non habet jurisdictionem ). Nach gegenwärtigen Völkergewohnheitsrecht gilt die Immunität im Erkenntnisverfahren jedoch nur für hoheitliche Akte ( acta iure imperii). Handelt der Staat wirtschaftlich ( acta iure gestiones), z.B. bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen, kann er sich nicht auf seine Immunität berufen. Im Vollstreckungsverfahren werden solche Vermögensgegenstände von der Staatenimmunität erfasst, die hoheitlichen Zwecken, insbesondere dem diplomatischen Verkehr und den Außenbeziehungen dienen (wie z.B. Botschaften).
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