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In wirtschaftlicher Hinsicht drückt sich die staatliche Souveränität vor allem in der wirtschaftlichen Souveränitätaus. Dieser Grundsatz und weitere Prinzipien wurden in der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staatenvom 12.12.1974 von der UN-Generalversammlung ausformuliert. Die wirtschaftliche Souveränität umfasst das Recht, das nationale Wirtschaftssystem frei zu bestimmen. Das allgemeine Völkerrecht enthält keine Vorgaben darüber, ob eine Wirtschaft markt- oder planwirtschaftlichen Prinzipien folgen soll. Außerdem hat jeder Staat das souveräne Recht zur Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe auf dem eigenen Territorium. Dazu gehört auch das Recht zur Enteignung und Verstaatlichung, das aber durch Entschädigungsverpflichtungen faktisch erheblich eingeschränkt wird.[3]
[1]
Dazu Teil 4 Rn. 722 ff.
[2]
Grundlegend dazu IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy), Urteil vom 3. Februar 2012, ICJ Reports 2012, 99.
[3]
Dazu Teil 3 Rn. 622.
b) Friedliche Streitbeilegung
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Im Völkerrecht gilt der Grundsatz der Streitbeilegung mit friedlichen Mitteln(Art. 2 (3) UN-Charta). Die Mittel der Streitbeilegung können in diplomatische und institutionalisierte Verfahren unterteilt werden. Sie sind beispielhaft in Art. 33 Abs. 1 UN-Charta aufgezählt: Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung und Vergleich zählen zu den diplomatischen Verfahren. Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung und die Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen sind institutionalisierte Verfahren.
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Aus rechtlicher Sicht kommt vor allem den schiedsgerichtlichen und gerichtlichen Entscheidungen eine erhebliche Bedeutung zu. Allerdings besteht auf globaler Ebene keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist zwar das oberste Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und kann jede Art von Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten verbindlich entscheiden. Die Zuständigkeit des IGHist jedoch nur gegeben, wenn die streitbeteiligten Staaten diese anerkannt haben. Im Wesentlichen sind drei Wege der Zuständigkeitsbegründung zu unterscheiden:
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Zunächst kann ein Staat eine einseitige, obligatorische Unterwerfungserklärungnach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut abgeben. Damit erklärt er generell seine Anerkennung der Zuständigkeit des IGH. Allerdings hat nur eine Minderheit der Staaten eine solche Erklärung abgegeben. Zudem werden Unterwerfungserklärungen oft mit Vorbehalten versehen (Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut). Die Zuständigkeit des IGH wird im Übrigen erst dann begründet, wenn beide Streitparteien eine Unterwerfungserklärung abgegeben haben. |
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Häufiger ist, dass sich zwei Staatenfür einen aktuellen Streit ad hoc einigen, dem IGH die Beilegung des Streits zu übertragen oder dass eine Partei Klage beim IGH erhebt und die andere Partei der Zuständigkeit des IGH im Laufe des Verfahrens zustimmt bzw. sich rügelos auf das Verfahren einlässt ( forum prorogatum ), Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut. |
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Die Zuständigkeit des IGH kann sich auch aus einer speziellen Klausel in einem völkerrechtlichen Vertragergeben (kompromissarische Klausel). Oft ist die Zuständigkeit dann auf die Materie des jeweiligen Vertrags beschränkt. Denkbar ist aber auch, dass Staaten alle Streitigkeiten zwischen ihnen generell dem IGH übertragen (so z.B. Art. 1 des Europäischen Übereinkommens zur friedlichen Streitbeilegung von 1957).[1] |
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Im Wirtschaftsvölkerrecht sind die speziellen Streitbeilegungsmechanismender multilateralen und regionalen Wirtschaftsorganisationen (z.B. WTO und NAFTA) von erheblicher praktischer Bedeutung. Diese z.T. gerichtsförmig ausgestalteten Verfahren werden von den beteiligten Staaten rege genutzt und treten an die Stelle der allgemeinen völkerrechtlichen Streitbeilegungsmittel. Insbesondere das Streitbeilegungsverfahren der WTO[2] hat bereits eine beeindruckend hohe Zahl von Streitfällen beigelegt. Anders als die Zuständigkeit des IGH ist die Zuständigkeit des WTO-Streitbeilegungsverfahrens nicht von der Zustimmung der Streitparteien abhängig. Im internationalen Investitionsschutzrecht werden in erster Linie ad hoc Schiedsgerichtegenutzt.[3] Schiedsgerichte werden jeweils für einen speziellen Streitfall gebildet. Die Parteien haben durch die Auswahl der Schiedsrichter und die Begrenzung des Streitgegenstandes hier größere Einflussmöglichkeiten als in einem gerichtlichen Verfahren.
[1]
BGBl. II 1961, S. 82 = Sartorius II, Nr. 112.
[2]
Näher Teil 2 Rn. 239 ff.
[3]
Dazu Teil 3 Rn. 653, 658.
c) Völkerrechtliche Verantwortlichkeit
99
Verletzt ein Staat eine Regel des Völkerrechts, begründet dies seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit. Daraus leiten sich die Verpflichtungen des verletzenden Staats (z.B. zu Wiedergutmachung und Schadensersatz) und die Rechte des verletzten Staats (z.B. zur Forderung von Reparationen oder zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen) ab. Die Grundsätze der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten wurden von der International Law Commission der Vereinten Nationen im Jahr 2001 in sog. Draft Articlesfestgehalten.[1] Die Draft Articles kodifizieren zu einem großen Teil Gewohnheitsrecht, so dass sie ähnlich wie die WVK in der Fallpraxis angewandt werden können.
100
Voraussetzungfür die völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist nach Art. 2 Draft Articles das Vorliegen eines einem Staat zurechenbaren Tuns oder Unterlassens und die daraus resultierende Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung. Rechtsfolgeist nach Art. 30 und 31 Draft Articles die Beendigung der Rechtsverletzung und die Wiedergutmachung der Rechtsverletzung. Wiedergutmachung soll primär durch die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes (restitution) erfolgen (Art. 35 Draft Articles). Wenn dies nicht möglich ist, soll Schadensersatz (compensation) geleistet werden. Ist auch dies nicht möglich, sind andere Formen der Genugtuung (satisfaction), wie z.B. eine förmliche Entschuldigung, denkbar, Art. 36 und 37 Draft Articles. Unabhängig von den Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit besteht in jedem Fall die Pflicht zur Beachtung der verletzten Norm weiter, Art. 29 Draft Articles.
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Leistet ein verantwortlicher Staat keine Wiedergutmachung, ist der verletzte Staat zu Gegenmaßnahmenberechtigt, Art. 49 Draft Articles. Gegenmaßnahmen bestehen regelmäßig in der Aussetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen gegenüber dem verletzenden Staat. Eine Aussetzung des Gewaltverbots, fundamentaler Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und von Normen des zwingenden Völkerrechts ist allerdings nicht gestattet, Art. 50 Draft Articles. Zudem müssen Gegenmaßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, Art. 51 Draft Articles.
102
Im Wirtschaftsvölkerrecht werden diese allgemeinen Prinzipien teilweise von Sonderrechtsordnungenüberlagert. So enthält das Streitschlichtungsübereinkommen der WTO detaillierte Regeln über die Rechtsfolgen einer festgestellten Rechtsverletzung.[2]
[1]
Anlage zur Resolution der Generalversammlung 56/83 (2001) = Sartorius II, Nr. 6.
[2]
Dazu unten Teil 2 Rn. 280 ff.
103
Einige Normen des Völkerrechts bewirken faktisch den Schutz individueller Rechtspositionen, auch wenn sie formal nur Staaten berechtigen. Dazu zählen z.B. die Regeln über konsularischen Schutz im Ausland und zahlreiche wirtschaftsvölkerrechtliche Prinzipien wie der Nichtdiskriminierungsgrundsatz, Marktzugangsrechte oder der Enteignungsschutz. Häufig kann die Verletzung dieser Normen durch einen Staat von den tatsächlich betroffenen Individuen oder Unternehmen nicht selbst geltend gemacht werden, da völkerrechtliche Normen grundsätzlich nur Staaten berechtigen oder verpflichten. Daher können Staaten „im Namen“ ihrer Staatsangehörigen die Rechtsverletzung geltend machen und ggf. Wiedergutmachung verlangen. Diese Art der Geltendmachung von Rechten und Interessen gegenüber einem anderen Staat wird als diplomatischer Schutzbezeichnet.
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