50
Andererseits spricht nach der Rechtsprechung des BAG bei „alsbaldiger Wiedereröffnung“ des Betriebes eine tatsächliche Vermutung gegeneine ernsthafte Stilllegungsabsicht.[79] Ob eine – ggf. nur vorübergehende – Betriebsstillegung oder eine unerhebliche Betriebsunterbrechung vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
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Beispiel:
Nach der Rechtsprechung können etwa Zeiträume von zehn Monaten[80] bzw. neun Monaten[81] je nach Lage des Einzelfalles als erheblich erachtet werden.
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Bei einer von vornherein zeitlich begrenzten Arbeitsaufgabe(z.B. aufgrund von Umbauarbeiten, Saisonbetriebe) liegt ebenfalls keine Betriebsänderung vor.[82] Hierdurch wird die betriebliche Organisation und Produktionsgemeinschaft in ihrem Fortbestand nicht berührt.
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Die Veräußerung des Betriebsallein ist keine Betriebsstillegung, weil die Identität des Betriebes gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet. Führt der Erwerber den Betrieb nicht fort, wozu er auch nicht verpflichtet ist, so liegt erst in diesem Entschluss und nicht schon in der Betriebsveräußerung die Stilllegung. Eine Betriebsstilllegung und ein Betriebsübergang nach § 613a BGB schließen sich gegenseitig aus (vgl. dazu auch Rn. 104).[83]
b) Stilllegung wesentlicher Betriebsteile
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Die Stilllegung oder Einschränkung eines Betriebsteils ist dann eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, wenn ein wesentlicher Betriebsteilbetroffen ist. Unter Betriebsteil ist keine Betriebsabteilung i.S.d. § 4 BetrVG, § 15 Abs. 5 KSchG zu verstehen, so dass kein eigenständiger oder abgeschlossener Bereich betroffen sein muss. Als erforderlich, aber auch ausreichend wird vielmehr eine räumlich oder organisatorisch abgrenzbare Einheit in der Betriebsorganisation angesehen.[84]
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Diese muss für den ganzen Betrieb „ wesentlich“ sein, wobei ebenso wie für den Begriff „erhebliche Teile der Belegschaft“ (s. Rn. 28) auch für den Begriff „wesentlicher Betriebsteil“ grundsätzlich auf die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG abzustellen ist.[85] Ein Betriebsteil ist danach grundsätzlich nur dann ein wesentlicher i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, wenn in ihm auch eine erhebliche Zahl (i.S. v. § 17 Abs. 1 KSchG) der Arbeitnehmer des Betriebes beschäftigt wird.[86] Bei größeren Betrieben wird zudem verlangt, dass in dem betreffenden Betriebsteil mindestens 5 % der Belegschaft beschäftigt sind.[87] Auch hier werden die Zahlenwerte des § 17 KSchG aber als Richtwerte und nicht als absolute Zahlengrenzen verstanden, so dass bei geringfügigen Abweichungen eine Gesamtbetrachtung erforderlich ist, die auch die wirtschaftliche Bedeutung für den Gesamtbetrieb berücksichtigt.[88]
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Ob ein Betriebsteil unabhängig von dem Überschreiten der Schwellenwerte unter Berücksichtigung anderer Umstände, insbesondere seiner Bedeutung für den Gesamtbetrieb in der Gesamtschau als wesentlicher Betriebsteil angesehen werden kann und damit die wirtschaftliche oder sonstige Bedeutung eines Betriebsteils mit in die Prüfung einbezogen werden kann (qualitative Betrachtung), hat das BAG bisher offen gelassen.[89]
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Abgelehnt hat das BAG in den bisher entschiedenen Fällen jedoch die Möglichkeit, einen Betriebsteil ausschließlich auf andere Umstände zu stützen.[90] Danach ist ein Betriebsteil insbesondere nicht allein deswegen ein wesentlicher Betriebsteil, weil in ihm ein notwendiges Vorprodukt gefertigt wird.[91] Unabhängig von seiner Größe ist nach Ansicht des BAG zudem auch die Auflösung einer betriebseigenen Reinigungsabteilung einer Druckerei und die Übertragung der Reinigungsarbeiten auf eine Fremdfirma keine Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteiles, wenn in der Reinigungsabteilung nicht ein erheblicher Teil der Belegschaft beschäftigt wird.[92] Es bleibt jedoch stets zu prüfen, ob nicht eine andere Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 BetrVG vorliegt.
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Abzugrenzen ist die Betriebsstillegung auch zum Fall einer Verlegungdes Betriebs. Bleibt die Belegschaft erhalten, d.h. wird der wesentliche Teil der bisherigen Belegschaft am neuen Standort weiterbeschäftigt, handelt es sich um eine bloße Verlegung.[93] Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn eine nicht unerhebliche räumliche Verlegung des Betriebes vorgenommen, die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich und rechtsbeständig aufgelöst und der Betrieb an dem neuen Ort mit einer im wesentlichen neuen Belegschaft fortgeführt wird, die dort neu eingestellt wird. Dann kann es sich um eine Stilllegung und anschließende Neuerrichtung handeln.[94] Die Abgrenzung ist von Bedeutung für die Beendigung des Betriebsratsamtes und den Kündigungsschutz der Betriebsräte.
c) Einschränkung des Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils
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Eine Einschränkungdes Betriebs liegt vor, wenn der Betriebszweck zwar weiterverfolgt wird, dies jedoch unter einer nicht nur vorübergehenden Herabsetzung der Betriebsleistung geschieht. Nach der Rechtsprechung des BAG kann dies sowohl durch eine Verringerung der sächlichen Betriebsmittel als auch durch eine Einschränkung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und damit der personellen Leistungsfähigkeit des Betriebes bedingt sein.[95] Hierunter kann die Stilllegung von größeren Maschinen oder die Verringerung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer fallen.[96] Eine nur vorübergehende geringere Auslastung der Betriebsanlagen ohne nennenswerte Verminderung des Personals genügt jedoch nicht,[97] ebenso wenig genügt eine betriebstypische Schwankung (Winterpause, Sommerloch).[98]
d) Betriebseinschränkung durch bloßen Personalabbau
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Eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG kann auch in einem bloßen Personalabbauliegen. Dies zeigt die Regelung in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Voraussetzung für die Annahme einer Einschränkung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfasst. Maßgebend sind dafür die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG; in größeren Betrieben mit mehr als 600 Arbeitnehmern müssen allerdings mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein.[99] In Kleinbetriebenmit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen für eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau nach der Rechtsprechung des BAG mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein.[100]
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Damit sind bei der Beantwortung der Frage, ob ein bloßer Personalabbau zugleich eine Betriebseinschränkung darstellt, als Orientierungsgrößen folgende Schwellenwertezu berücksichtigen:
Betriebsgröße |
Umfang des Personalabbaus |
21 bis 59 Arbeitnehmer |
mindestens 6 Arbeitnehmer |
60 bis 499 Arbeitnehmer |
10 % der Belegschaft oder mehr als 25 Arbeitnehmer |
500 bis 599 Arbeitnehmer |
mindestens 30 Arbeitnehmer |
mehr als 600 Arbeitnehmer |
mindestens 5 % er Belegschaft |
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Werden die vorstehenden genannten Zahlengrenzen erreicht, oder nur geringfügig unterschritten,[101] kann auch der bloße Personalabbau als Einschränkung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen einzustufen sein. Die in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten höheren Zahlengrenzen sind für das Vorliegen einer Betriebsänderung nicht relevant. Die Regelung des § 112a BetrVG ist nur maßgeblich für die Frage, ob beim bloßen Personalabbau ein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden kann.[102]
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