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In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern sollte nach Möglichkeit versucht werden, das Strafverfahren mit einer einzigen Vernehmung des Kindes zu einem Abschluss zu bringen. Dies kann dann angezeigt sein, wenn die Straftaten im familiären Umfeld stattgefunden haben, dem kindlichen Opferzeugen deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht und es aufgrund seiner psychischen Situation durch die anstehenden Befragungen und seine Ängste um den Erhalt der Familie in der späteren Hauptverhandlung verwirrt sein, seelischen Schaden nehmen oder seine Aussage verweigern könnte.[51] Wird diese Strategie verfolgt, kommt der Erstaussage noch größere und besondere Bedeutung zu, als dies aus aussagepsychologischer Sicht ohnehin der Fall ist.[52] Bereits zum Zeitpunkt der ersten ausführlichen polizeilichen Vernehmung können dann die späteren Verfahrensbeteiligten unter der Leitung des Ermittlungsrichters die Vernehmung aus einem separaten Raum mittels „Venezianischer Scheiben“ oder eben Videotechnik verfolgen. Da bei Kindern die Gefahr besonders groß ist, dass sie durch Befragungen ihres Umfeldes beeinflusst werden, ist es auch wichtig, die Entstehungsgeschichte der Aussage zu dokumentieren.[53]
Hinweis
Der Zeugenbeistand hat zu prüfen und mit der Mandantschaft zu besprechen, ob eine Videovernehmung des Zeugen im konkreten Fall erstrebenswert ist. Über die gegebenen Möglichkeiten muss umfassend aufgeklärt werden. Gegebenenfalls sind entsprechende Anträge auf Videovernehmung zu stellen und organisatorische Fragen zu klären. Dies umso mehr, als nach wie vor noch nicht überall die erforderliche technische Ausstattung vorzufinden ist. Deswegen sind solche Anträge möglichst frühzeitig zu stellen.
[1]
BGHSt 42, 139.
[2]
M-G/S StPO § 52 Rn. 1.
[3]
OLG Oldenburg NJW 1982, 2615; M-G/S StPO § 53, Rn. 1.
[4]
Beulke Strafprozessrecht Rn. 194.
[5]
Der Anwendungsbereich von § 203 StGB deckt sich allerdings nicht mit dem von § 53 StPO. Das Zeugnisverweigerungsrecht geht weiter als der materielle Strafrechtsschutz, weil es sich auch auf Tatsachen bezieht, die keine „Geheimnisse“ sind. Siehe hierzu M-G/S StPO § 53 Rn. 4; KK-StPO/ Senge § 53 Rn. 3.
[6]
Hammerstein NStZ 1981, 125; vgl. auch BGHSt 10, 8; Rogall NJW 1978, 2535.
[7]
LR-StPO/ Ignor/Bertheau § 55 Rn. 10.
[8]
BGH StV 1994, 324; StV 1987, 328.
[9]
BGH StV 1993, 340; StV 1999, 71 = NJW 1999, 1413; auch BVerfG NJW 1999, 779.
[10]
Beck'sches Formularbuch/ Gillmeister XIII.E, Anm. 5, S. 1104.
[11]
BGH StV 1984, 408; Zur Wiederaufnahme in Strafverfahren ausführlich Marxen/Tiemann PdS 17.
[12]
BGHSt 10, 104 ff.; BGH NStZ 1986, 181; NJW 1998, 1728; Thomas NStZ 1982, 489, 493; Ulsenheimer PdS 7, Rn. 1267; Rückel PdS 9, Rn. 74.
[13]
BGHSt 47, 220, 223.
[14]
Ulsenheimer PdS 7, Rn. 1267.
[15]
BGH Urteil v. 7.5.1987 – 1 BJs 46/86 – 5 I BGs 286/87.
[16]
BGH Beschl. v. 13.11.1998 – StB 12/98.
[17]
BVerfG Beschl. v. 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01.
[18]
BGH StraFo 2002, 322; StV 1987, 328, 329.
[19]
Hammerstein NStZ 1981, 125.
[20]
Beck'sches Formularbuch/ Gillmeister XIII.E, Anm. 5, S. 1104.
[21]
Wessing/Ahlbrecht Der Zeugenbeistand, Rn. 314.
[22]
Wessing/Ahlbrecht Der Zeugenbeistand, Rn. 312.
[23]
M-G/S StPO § 171b GVG Rn. 1.
[24]
Vgl. Rieß/Hilger NStZ 1987, 150.
[25]
Diese nicht gelungene Regelung hat zur Folge, dass die Öffentlichkeit bspw. nach einer langen Hauptverhandlung in einer Mordsache bei den Schlussvorträgen ausgeschlossen werden müsste, weil im Rahmen der Hauptverhandlung auch ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wurde, auf dessen Aussage es letztlich nicht ankommt.
[26]
M-G/S StPO § 171b GVG Rn. 9.
[27]
KK-StPO/ Diemer § 247 Rn. 10.
[28]
Daimagüler Der Verletzte im Strafverfahren, Rn. 166 m.w.N.
[29]
Vgl. ausführl. dazu Teil 1, IV Rn. 18.
[30]
Eingehend hierzu: Rieß NJW 1998, 3240; ders. StraFo 1999, 1; Meurer JuS 1999, 937.
[31]
LG Mainz NJW 1996, 208; Einzelheiten hierzu etwa auch bei Dahs NJW 1996, 178; Zur Entstehungsgeschichte des ZSchG: Schöch in Schutz von Opferzeugen, S. 10; Jansen PdS 29, Rn. 169; Rieß NJW 1998, 3240; Beulke ZStW 2001, S. 709.
[32]
Vgl. Jansen StV 1996, 123 sowie PdS 29, Rn. 169.
[33]
Zur Abwendung von der unmittelbaren Zeugenvernehmung allgemein Grünwald in FS Dünnebier.
[34]
Zu den ausländischen Modellen Weigend Gutachten C zum 62. DJT, S. 55f. m.w.N.
[35]
Vgl. ausführl. dazu Teil 1, XI Rn. 43 ff.
[36]
Allgemein zum Ermittlungsverfahren Buckow ZIS 2012, 551; zur Hauptverhandlung Dahs in FS Paeffgen.
[37]
Vertiefend: Burhoff Ermittlungsverfahren, Rn. 4196.
[38]
Weider/Staechelin StV 1999, 51.
[39]
Schöch Schutz von Opferzeugen, S. 10, 12.
[40]
Vgl. ausführl. dazu Teil 1, VII Rn. 25 ff.
[41]
BT-Drucks. 15/1976 v. 11.11.2003, S. 22.
[42]
Schlothauer StV 1999, 47.
[43]
BT-Drucks. 13/7165 v. 11.3.1997.
[44]
Diemer NJW 1999, 1667, 1669.
[45]
Zur Anordnung einer audiovisuellen Zeugenvernehmung Eisenberg StV 2012, 65; zum Rechtsschutz gegen ihre Ablehnung Hamm StV 2015, 137.
[46]
Vgl. Schlothauer StV 1999, 47, 48; Burhoff Ermittlungsverfahren Rn. 4206.
[47]
Zschockelt/Wegner NStZ 1996, 305.
[48]
Zur psychologischen/psychiatrischen Sicht von Videovernehmungen: Köhnken StV 1995, 376; Pfäfflin StV 1997, 95; von Knoblauch zu Hatzbach ZRP 2000, 276; Jansen PdS 29, Rn. 169.
[49]
Jansen PdS 29, Rn. 169; kritisch auch Kluck Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, S. 15.
[50]
Volbert Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis, S. 149 ff.
[51]
Vgl. den Prozessbericht aus Mainz von Jansen StV 1996, 123, 125.
[52]
Albrecht Kindliche Opferzeugen im Strafverfahren, S. 3, 16.
[53]
Zum Zeugenschutz und dazu, wie bei Videovernehmungen zu verfahren ist, kann im Internet die „Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer) Zeugen im Strafverfahren“, die von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe als Hilfestellung für Behörden und Gerichte erarbeitet wurde, unter www.bmjv.deabgerufen werden; Allgemeines zur Verteidigung mit Videotechnik: Gerst StraFo 2013, 103.
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand› V. Anwaltliche Aufgaben während der Zeugenvernehmung
V. Anwaltliche Aufgaben während der Zeugenvernehmung
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand› V. Anwaltliche Aufgaben während der Zeugenvernehmung› 1. Auftreten des Rechtsanwalts
1. Auftreten des Rechtsanwalts
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Soweit es die räumlichen Verhältnisse des jeweiligen Gerichtssaales zulassen, sollte der Zeugenbeistand möglichst direkt neben seinem Mandanten sitzen. Eine Beratung aus der Ferne ist nicht nur problematisch, sondern auch wenig professionell. So sind die Chancen gering, vom Zuschauerraum aus zugunsten des gerade vernommenen Zeugen einzugreifen und sich als Prozessbeteiligter ernsthaft Geltung zu verschaffen.[1] Die Frage, ob der anwaltliche Zeugenbeistand mit Robe vor Gericht auftritt oder nicht, wird nicht einheitlich beantwortet.[2] Handelt es sich um Zeugenvernehmungen von durchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeit, ist das Anlegen einer Robe häufig nicht erforderlich. In aufwendigen und absehbar kontroversen Zeugenvernehmungen dürfte das Tragen der Robe aber durchaus angezeigt sein, um die prozessuale Stellung nach außen kenntlich zu machen. Die Einstellung der Richter hierzu ist nicht einheitlich, sodass hier nötigenfalls Kompromisse eingegangen werden müssen.[3] Eine gesetzliche Robenpflicht besteht für den Zeugenbeistand jedenfalls nicht.[4] Gleichwohl ist dem Zeugenbeistand mit Blick auf die teils – regional – unterschiedliche Handhabung durch die Gerichte anzuraten, die Robe stets bei sich zu führen.
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