Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand› III. Rechte des anwaltlichen Zeugenbeistands› 4. Anwaltliche Vorbereitung der Zeugenvernehmung
4. Anwaltliche Vorbereitung der Zeugenvernehmung
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Der anwaltliche Zeugenbeistand muss häufig bereits vor der Hauptverhandlung tätig werden, damit eine sachgerechte Betreuung des Zeugen im Vernehmungstermin erfolgen kann. Insofern besteht in der Vorgehensweise kein Unterschied zur klassischen Strafverteidigung. Der Zeugenbeistand hat nach Übernahme des Mandats zunächst die Aufgabe, sich möglichst schnell mit dem Verfahrensgegenstand vertraut zu machen, den Mandanten zu befragen und sodann zu beraten. Dadurch können mögliche Risiken und Umstände, die zu Konflikten mit den anderen Verfahrensbeteiligten führen können, frühzeitig erkannt werden. Häufig ist auch eine weitergehende Informationsbeschaffung erforderlich, die in bestimmten Fällen in der Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger des Angeklagten bestehen kann.
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Im Hinblick auf die notwendige Befragung des Zeugen zur Vorbereitung der Vernehmung ist mitunter von zentraler Bedeutung, dass dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht über den Inhalt des Beratungsgesprächs zustehen muss. Relevant wird dies insbesondere dann, wenn es in der Hauptverhandlung zu einer Auseinandersetzung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten über ein mögliches Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht oder gar den Inhalt der Zeugenaussage kommt. Dem Rechtsanwalt steht jedenfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu. Hingegen müsste der Zeuge aussagen. Ein wirksamer Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Rechtsanwalt wird in der besonderen Mandatssituation des Zeugenbeistandes aber nur dann gewährleistet, wenn der Zeuge über den Inhalt des Beratungsgespräches die Aussage verweigern kann. Die verfassungskonforme Auslegung der Art. 1, 2 GG in Verbindung mit der verfassungsrechtlichen Herleitung der Funktion des Zeugenbeistands sowie der Umstand, dass kein Zeuge gezwungen sein kann, seinen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung auszubreiten, hat die Ablehnung einer erzwingbaren Durchsichtigkeit der Mandatsbeziehung zur Folge.[22] Im Ergebnis erscheint dies auch deshalb unproblematisch, weil eine Verkürzung der Sachaufklärungsmöglichkeit gegenüber dem Fall der Vernehmung eines Zeugen ohne Beistand nicht erfolgt. Es wird lediglich der durch die Inanspruchnahme eines Anwalts zusätzlich entstehende Sachverhalt der Offenbarungspflicht entzogen.[23]
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Prinzipiell ist der Rechtsanwalt nicht gehindert, mehrere Zeugen zu vertreten.[24] Eine Doppelvertretung scheidet jedoch aus, wenn die gesteigerte Gefahr von Interessengegensätzen besteht. Aus § 45 Nr. 2 BRAO, § 356 StGB i.V.m. § 3 Abs. 1 BerufsO ergibt sich, dass ein Rechtsanwalt als Zeugenbeistand nicht für Mandanten mit widerstreitenden Interessen tätig werden darf, selbst wenn die Mandanten mit der Doppelvertretung einverstanden sind. Ein Interessengegensatz kommt beispielsweise in Betracht, wenn einer der Zeugen daneben auch noch Nebenkläger oder Adhäsionskläger ist. Grundsätzlich wird der Rechtsanwalt in demselben Verfahren nicht zugleich als Verteidiger und als Zeugenbeistand auftreten können.[25] Eine Zurückweisung des anwaltlichen Zeugenbeistands durch die vernehmende Stelle ist mangels gesetzlicher Grundlage allerdings nicht möglich.[26]
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Bereits im Vorfeld des Vernehmungstermins sollte der Rechtsanwalt abklären, welche Rechte dem Zeugen zustehen und ob diese zur Wahrung seiner Interessen in Anspruch genommen werden können.
[1]
BVerfGE 38, 105, 116.
[2]
BVerfGE 38, 105 ff.
[3]
Allgemein Klengel/Müller NJW 2011, 23.
[4]
BVerfGE 38, 105, 116; M-G/S StPO Vor § 48 Rn. 11.
[5]
AG Neuss StraFo 1999, 139.
[6]
Allgemein Stoffers NJW 2013, 1495.
[7]
BGHSt 55, 257.
[8]
Daimagüler Der Verletzte im Strafverfahren, Rn. 133.
[9]
SK-StPO/ Rogall § 68b Rn. 16.
[10]
Daimagüler Der Verletzte im Strafverfahren, Rn. 134 m.w.N.
[11]
M-G/S StPO § 68b Rn. 5; Burhoff Ermittlungsverfahren, Rn. 4425.
[12]
Vgl. Beck'sches Formularbuch /Gillmeister XIII.E.2, Anm. 10, S. 1111.
[13]
BGH NStZ 1989, 484; M-G/S § 68b Rn. 4 m.w.N.
[14]
LR-StPO/ Ignor/Bertheau Nachtr. § 68b Rn. 21 ff.
[15]
Eingehend Stange/Rillinger StraFo 2002, 224.
[16]
BGH NStZ-RR 2010. 257; OLG Hamburg NJW 2002, 1590, OLG Düsseldorf NJW 2002, 2806; M-G/S StPO § 68b Rn. 11; Burhoff Ermittlungsverfahren, Rn. 4424 m.w.N.
[17]
BVerfGE 38, 105, 116; M-G/S StPO § 68b Rn. 4 u. 5; Thomas NStZ 1982, 489, 495.
[18]
Vgl. Burhoff Ermittlungsverfahren, Rn. 4424.
[19]
Hammerstein NStZ 1981, 125, 127.
[20]
KK-StPO/ Senge § 68b Rn. 8; König in FS Rieß, S. 243, 253; Stange/Rillinger StraFo 2002, 224; a.A. OLG Hamburg StV 2002, 297.
[21]
Vgl. Beck'sches Formularbuch/ Gillmeister XIII.E, Anm 3, S. 1102.
[22]
Thomas NStZ 1982, 489, 493 spricht von einem insoweit bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht.
[23]
OLG Düsseldorf StV 1991, 15; M-G/S StPO § 68b Rn. 4.
[24]
AG Neuss StraFo 1999, 139; § 146 StPO gilt nicht, da der Zeugenbeistand nicht Verteidiger ist.
[25]
Dahs Handbuch, Rn. 1161.
[26]
BVerfG NJW 2000, 2660.
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand› IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen
IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand› IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen› 1. Zeugnisverweigerungsrecht
1. Zeugnisverweigerungsrecht
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Eine Vernehmung liegt immer dann vor, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft eine Aussage verlangt[1]. In dieser Situation steht dem Zeugen eventuell ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Dabei ist zwischen den Zeugnisverweigerungsrechten nach den §§ 52 bzw. 53 und 53a StPO zu unterscheiden.
Die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO kommt besonders bei Zeugen in Betracht, die Verletzte einer Straftat im sozialen Nahbereich geworden sind. Dem liegt die gesetzgeberische Rücksichtnahme auf die denkbare Zwangslage des Zeugen zugrunde, der einerseits der Wahrheit verpflichtet ist, andererseits aber befürchten muss, mit seiner Aussage einem Angehörigen möglicherweise zu schaden[2].
Die anwaltliche Beratung des nach § 52 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen richtet sich allein nach dem Interesse des Zeugen. Die Prozessbedeutung der Wahrnehmungen des Zeugen spielt dabei eine wesentliche Rolle, da die Bedeutung der Aussage für den Nachweis der Straftat oftmals maßgeblich sein kann. Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der anwaltlichen Beratung ist regelmäßig der Hinweis, dass der Zeuge, sofern er sich zur Aussage entschließt, vollständig und wahrheitsgemäß aussagen muss.
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Die in §§ 53 und 53a StPO festgelegten Zeugnisverweigerungsrechte haben hingegen einen anderen Charakter als das Zeugnisverweigerungsrecht des Angehörigen nach § 52 StPO. Ihr Zweck besteht darin, das notwendige Vertrauensverhältnis von Angehörigen bestimmter Berufsgruppen – wie etwa Seelsorgern, Ärzten und Rechtsanwälten – und denjenigen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen, zu schützen[3]. Ein strikter Geheimnisschutz ist für die Berufsausübung der im Gesetz abschließend aufgezählten Personengruppen unumgänglich.[4]
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