1. Vollstreckung zugunsten der Bundesverwaltung
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Zur Bundesverwaltung gehören zunächst die Bundesbehörden, welche die bundeseigene Verwaltung nach Art. 87, 87b, 87d, 87e, 87f Abs 2 S 2, 89, 90 GG ausüben. Sodann gehören die bundesunmittelbaren juristischen Personendes öffentlichen Rechts dazu. Das sind die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Hier gilt das Gleiche wie bei der Verwaltungszustellung ( VwZG § 1 Rn. 2, 3).
Das Verwaltungszwangsverfahren gehört zum allgemeinen Verwaltungsrecht und nicht zum „gerichtlichen“ Verfahren. Deshalb hat der Bund gemäß Art. 30, 70, 72, 74 Abs. 1 Nr. 1, 83, 84 GG, von besonderen Fällen abgesehen, keine Gesetzgebungskompetenz für die Länder (Näheres: Einleitung Rn. 2).
Beispiele für Sonderregelungen des Bundes:
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Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: § 6. |
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Aufenthaltsgesetz: § 68 Abs. 2 S. 2. |
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Anlegerentschädigungsgesetz: § 8 Abs. 10 S 1, § 16 Abs. 1. |
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Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz: § 17. |
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Flurbereinigungsgesetz: § 136 Abs. 1. |
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Lastenausgleichsgesetz: § 350b mit Abweichung in Abs. 5. |
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Sozialgerichtsgesetz: § 200. |
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Sozialgesetzbuch X: § 66 Abs. 1, Abs. 2 (vgl. Rn. 20). |
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Versicherungsaufsichtsgesetz: § Abs. 226 Abs. 8 S. 1, § 231 Abs. 1. |
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Verwaltungsgerichtsordnung: § 169 Abs. 1. |
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Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: § 168 Abs. 3 S. 2, § 169 Abs. 3. S 4. |
Eine besondere Berechtigung des Bundes zu Sonderregelungen ergibt sich aus Art. 84 Abs. 1 S. 5 GG; dort heißt es: „In Ausnahmefällen kann der Bund wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln.“ Beispiele: Einleitung Rn. 2.
2. Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Geldforderungen
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Die öffentlich-rechtlichen Geldforderungen sind in Absatz 1 nicht einzeln aufgezählt. Das Gesetz enthält für die Zulässigkeit des Verwaltungszwangsverfahrens lediglich eine allgemeine Klausel. Es entspricht damit der Regelung des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO über die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges.
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Rechtsgrundlageeiner öffentlich-rechtlichen Geldforderung muss ein Gesetzsein (vgl. App/Wettlaufer / Klomfaß , Kapitel 15 Rn 5). Hiervon folgt, dass analog § 233 S. 1 AO Zinsen auf die Grundforderung nur geschuldet werden, wenn sie gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben sind (vgl. BVerwG U 3.11.1988 – 5 C 38/84, juris Rn. 8 = NVwZ 1989, 870 (870 f.)). Eine Zinsforderung kann auch auf EG-Recht beruhen ( BVerwG U 16.12.2010 – 3 C 7/10, juris Rn 13 f. = NVwZ-RR 2011, 275 (276)).
Solche Vorschriften über Zinsen gibt es für die Kosten der Ersatzvornahme in den Vollstreckungsgesetzen der Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen ( § 19 Rn. 55). Nach Bundesrecht sind Zinsen zum Beispiel in § 14 MOG vorgeschrieben.
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Wichtig ist die Zinsregelung des § 49a VwVfG :Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden oder infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung unwirksam geworden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Der zu erstattende Betrag ist zu verzinsen (vgl. BVerwG U 10.12.2003 – 3 C 22/02, juris Rn. 42 = NVwZ-RR 2004, 413 (416)). Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen verlangt werden. Diese Zinsen sind öffentlich-rechtliche Geldschulden, die gemäß § 1 Abs. 1nach den Bestimmungen des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes im Verwaltungswege vollstreckt werden. Die Vorschrift des § 49a VwVfG entspricht dem aufgehobenen § 44a der Bundeshaushaltsordnung. Gleiche Regelungen sind in allen Haushaltsordnungen der Bundesländer enthalten (vgl. OVG Weimar U 18.2.1999 – 2 KO 61/96, juris Rn. 41 ff. = NVwZ-RR 1999, 435 (436)).
Ein Anspruch auf Zinsennach § 49a Abs. 4 VwVfG wegen Verzögerung der Leistung entsteht zu dem Zeitpunkt, in welchem die Leistung nicht alsbald nach Auszahlung bestimmungsgemäß verwendet worden ist. Der Anspruch wird mit dem gemäß § 49a Abs. 1 VwVfG bekanntgegebenen Leistungsbescheid oder mit dem im Leistungsbescheid bestimmten Zeitpunkt fällig ( BVerwG U 27.4.2005 – 8 C 5/04, juris Rn. 15 ff. = NVwZ 2005, 964 (965)).
Für die Verjährung des Zinsanspruchsgelten die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ( OVG Greifswald U 9.2.2005 – 2 L 66/03, juris Rn. 21 = NordÖR 2005, 161). Gemäß § 195 BGB beträgt die (hier regelmäßige) Verjährungsfrist drei Jahre. Aber nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Frist erst mit dem Schluss des Jahres, in dem
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der Anspruch entstanden ist und |
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der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. |
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Um eine Verjährung zu vermeiden, ist bei dem Widerruf auf die Jahresfrist des § 49 Abs. 3 S. 2, § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfGzu achten. Äußerst wichtig für die Praxis ist die Berechnung der Jahresfrist. Hier gilt die höchstrichterliche Rechtsprechung: Die Frist beginnt, wenn der Behörde die für ihre Entscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind ( BVerwG B 19.12.1984 – Gr. Sen. 1, 2/84, juris Rn. 17 ff. = NJW 1985, 819 (820 f.); BVerwG U 24.1.2001 – 8 C 8/00, juris Rn. 10 ff.; = NJW 2001, 1440 (1440 f.)). Das trifft auch auf die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X zu ( BSG U 25.10.1995 – 5/4 RA 66/94, juris Rn. 15 = NVwZ 1996, 1248; BVerwG U 19.12.1995 – 5 C 10/94, juris Rn. 11 = NVwZ 1996, 1217 (1217)).
Hat ein Widerspruchsverfahren oder Verwaltungsgerichtsprozess stattgefunden, so beginnt die Jahresfrist erst nach der Unanfechtbarkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zu laufen ( BVerwG U 28.6.2012 – 2 C 13/11, juris Rn. 30).
Ferner ist bei der Erklärung des Widerrufs zu beachten:
Sollte es um die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes gehen, der von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde, gilt Folgendes ( BVerwG U 20.12.1999 – 7 C 42/98, juris Rn. 12 ff. = NJW 2000, 1512 (1513)): Die Zuständigkeit richtet sich nach dem jeweils anzuwendenden Fachrecht. Fehlen derartige Regelungen, ist nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen die Behörde zuständig, die zum Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes sachlich zuständig wäre.
Der Widerrufsbescheid muss eine klare Aussage über den zahlenmäßigen Umfang der Höhe nach enthalten. Denn eine Zuwendungsbewilligung kann nicht nur dem Grunde nach widerrufen werden. Einen derartigen allgemeinen Widerruf kennt § 49 VwVfG nicht ( BVerwG U 15.6.2000 – 5 C 20/99, juris Rn. 8 = NVwZ 2001, 556 (556 f.)). Sollte das dennoch fehlerhaft geschehen, tritt nach Ablauf der Jahresfrist für den Widerruf Verjährung ein.
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Sowohl der Widerruf als auch der schriftliche Erstattungsbescheid sind Verwaltungsakte (§ 49a Abs. 1 VwVfG). Zweckmäßig und vollstreckungswirksam ist es, beide Verwaltungsakte in einem Bescheid zu verbinden und gleichzeitig die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO anzuordnen. Das gilt auch für die Rücknahme. Denn die sofortige Vollziehung des Erstattungsbescheides ist nur dann rechtmäßig, wenn auch der Widerruf sofort vollziehbar ist (vgl. zur Rücknahme VGH München B 15.5.1985 – 12 CS. 84 A. 2718, juris = NVwZ 1985, 663; Linhart, Bescheid, S. 18).
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