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Beispiel für „anwaltliche“ Soforthilfe:
Nachts um 2.00 Uhr läutete bei einem Rechtsanwalt das Telefon. Es meldete sich ein Mandant und erzählte folgendes: „Ich war heute Abend auf der Geburtstagsfeier eines Freundes. Vor etwa einer halben Stunde habe ich auf dem Nachhauseweg an der Autobahnabfahrt eine Warnbake umgefahren. Ich habe eine Zeitlang gewartet und bin dann nach Hause gefahren. Als ich von der Unfallstelle wegfuhr, sah ich im Rückspiegel einen anderen PKW, der an der nächsten roten Ampel hinter mir anhielt. Der Fahrer notierte dort offenbar mein Kennzeichen und bog dann in die Richtung ab, in der auch die nächste Polizeistation liegt. Ich habe mein Auto in die Garage gestellt und in meiner Wohnung die Rollläden heruntergelassen, so dass die Polizei, die vielleicht gleich kommt, nicht sehen kann, dass ich zu Hause bin. Was soll ich nun tun? Soll ich der Polizei aufmachen?“
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„Welchen Rat erteilte der Rechtsanwalt?“:
Da der Unfall sich gegen 1.30 Uhr nachts ereignet hat und der Schaden an der Warnbake nicht besonders hoch zu sein schien, riet der Rechtsanwalt dem Mandanten, wenn möglich sofort ein Fax mit etwa folgendem Inhalt an die zuständige Autobahnmeisterei zu versenden: „Ich, … (Name), … (Anschrift) habe heute Nacht um ca. 1.30 Uhr an der Autobahnabfahrt … mit meinem PKW, amtl. Kennzeichen … Warnbaken umgefahren. Ich werde heute Morgen gegen 9.00 Uhr bei Ihnen vorbeikommen, um den Schaden zu begleichen“. Der Rechtsanwalt riet Herrn Schmitz weiter, am nächsten Morgen die Autobahnmeisterei zwecks Schadenregulierung aufzusuchen. Er informierte ihn ferner darüber, dass er nicht verpflichtet sei, der Polizei seinen Unfall zu öffnen.
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Durch den Rat des Rechtsanwalts war sichergestellt, dass der Mandant, der sich nach Ablauf der Wartefrist von der Unfallstelle entfernt hat, seiner Verpflichtung, die Feststellungen „unverzüglich nachträglich“ zu ermöglichen, durch die Faxmitteilung an den GeschädigtenGenüge getan hat. Der Polizei, die möglicherweise eine Trunkenheitsfahrt des Mandanten vermutete und im Hinblick hierauf tätig werden wollte, brauchte sich dieser nicht zu stellen, da § 142 StGB ausschließlich das zivilrechtliche Beweissicherungsinteresse des Geschädigten schützt, nicht jedoch der Verfolgung anderer Straftaten dienen soll (vgl. dazu näher unter Rn. 247, 263, 313).
3. Entscheidung über das Aussageverhalten des/der Mandanten/in
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Der wichtigste Rat, den die Verteidigung seinem/r Mandanten/in gibt, ist gegenüber den Ermittlungsbehörden zum Tatvorwurf zunächst immer zu schweigen,[3] was auch bedeutet, dass der/die Mandant/in Nichts zur Sache in den Anhörungsbogen der Polizei schreibt, sondern nur die Pflichtangaben zur Person macht. Das Prinzip Nichts zu sagen, ist zum Beginn eines Strafverfahrens immer richtig; denn wer Nichts sagt, sagt zumindest nichts Falsches und die Verteidigung vermeidet mögliche Fehler.
Hinweis
Ob eine Einlassung überhaupt abgegeben werden soll und in welcher Art und in welchem Umfang, kann von der Verteidigung erst dann taktisch sinnvoll entschieden werden, wenn die Ermittlungsakte eingesehen worden ist.
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Der/die Mandant/in, der/die in Verkehrsstrafsachen oftmals erstmalig mit der Strafjustiz zu tun hat und in strafprozessualen Fragestellungen regelmäßig unerfahren und unsicher ist, wird oftmals vorbringen, „es sei doch besser bei der Wahrheit zu bleiben„ oder „man habe doch Nichts zu verbergen“ . Dem ist durch Überzeugungsarbeit aktiv entgegenzutreten. Schweigen ist etwas anderes, als die Tat zu leugnen (vgl. Rn. 25); das Schweigen ist ein Recht und wertungsfrei (vgl. Rn. 26) und taktisch sinnvoll ( Rn. 28). Insoweit betont Burhoff [4] zutreffend: „Ohne Kenntnis der Akten, sprich ohne Akteneinsicht, wird der Verteidiger seinem Mandanten i.d.R. wederraten, sich – schon – zur Sache einzulassen, nochwird er selbst eine Stellungnahmefür den Mandanten abgeben. Tut er das doch, ist das fehlerhaft“. Zur Akteneinsicht vgl. Rn. 75 ff.und zum Recht auf Akteneinsicht vgl. Rn. 86.
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Dem/der Mandanten/in muss deutlich gemacht werden, dass das Berufen auf das Schweigerecht als Beschuldigte/r etwas völlig anderes ist, als die Tat zu bestreiten und, dass aus der Tatsache, dass der/die Beschuldigte zum Tatvorwurf schweigt, niemand bei den Ermittlungsbehörden negative Schlüsse zieht im Sinne „dann hat er/sie etwas zu verbergen“ . Dem/der Mandanten/in ist zwingend zu vermitteln, selbst wenn er/sie schon vor der Beauftragung seines Verteidigers Angaben gemacht haben sollte, dass er/sie sich ab jetzt zumindest vorläufig bis zur Gewährung von Akteneinsicht gegenüber den Ermittlungsbehörden darauf beschränkt zu sagen: „Ich sage zum Tatvorwurf (auf Anraten meines/r Rechtsanwalts/Rechtsanwältin) Nichts“ oder „Ich mache (auf Anraten meines/r Rechtsanwalts/Rechtsanwältin) von meinem Schweigerecht als Beschuldigte/r Gebrauch“ . Eine irgendwie geartete Einlassung im Sinne von: „Ja, ich war der/die Fahrer/in des Pkw“ oder „Ich habe von einem Unfall Nichts bemerkt und im Übrigen sage ich nichts“ , wäre schon eine Einlassung die geeignet ist, zumindest die Fahrereigenschaft des/der Mandanten/in als ermittelt anzusehen. Weiter kann diese auch noch als eine „Teileinlassung“ angesehen werden, aus der später vom Gericht negative Schlüsse gezogen werden könnten, während dies im Hinblick auf das bloße Berufen auf das Schweigerecht als Beschuldigte/r nicht zulässig ist. Auch aus der Tatsache, dass ein/e Beschuldigte/r sich darauf beschränkt, die ihm vorgeworfene Tat zu leugnen, im Übrigen aber schweigt, darf ihm/ihr kein Nachteil entstehen.[5] Zum Bestreiten mit Uneinsichtigkeit vgl. Rn. 443.
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Als Beschuldigte/r zu schweigen ist ein Recht und niemand kann aufgrund der Wahrnehmung eines strafprozessualen Gestaltungsrechts Nachteile erleiden. Der/die Beschuldigte bzw. Angeschuldigtebzw. Angeklagtedarf bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft und vor Gericht sogar die Unwahrheit („bloßes Leugnen“) sagen, ohne dass er dafür überhaupt oder härter bestraft werden kann.[6] Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass dieses Privileg seine Grenze darin habe, wenn durch die Einlassung vorsätzlich wider besseren Wissens i.S.d. § 164 StGB ein Dritter beschuldigt wird. Anders als der/die so privilegierte Mandant/in sind Fahrzeuginsassen, Polizeibeamte[7] und insbesondere der Unfallgegner als „ Zeugen“ zur wahrheitsgemäßen Aussage[8] verpflichtet. Die Verteidigung sollte allerdings – auch aus Standesgründen – nie dem/der Mandanten/in den Rat erteilen, zu lügen.
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Das Berufen auf das Schweigerecht als Beschuldigte/r muss also zunächst als das wichtigste Recht angesehen werden. Allerdings kann u. U. von der örtlich zuständigen Fahrerlaubnis-Behörde nach § 31a StVZO als Sanktion für die Zukunft eine Fahrtenbuchauflage verhängt werden, wenn der objektive Tatbestand erfüllt ist und der/die Halter/in den/die Fahrer/in nicht angibt.[9] Das ist im Sinne einer vernünftigen strategischen Entscheidung jedoch als kleineres Übel hinzunehmen, denn eine wahrheitsgemäße Äußerung des/der Mandanten/in kann sich im Strafverfahren später als belastend, da zu einer Verurteilung führend, erweisen.
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Ob eine Einlassung überhaupt abgegeben werden soll und in welcher Art und in welchem Umfang, wird von der Verteidigung entschieden, wenn die Ermittlungsakte eingesehen wurde. Es kann sein, dass es bei der bisherigen Strategie zu schweigen verbleibt oder der/die Mandant/in soll als Beschuldigte/r eine Einlassung abgeben (vgl. Rn. 79). Mehrere taktische Varianten sind denkbar
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