Der Mandant hat bei der Heimfahrt von einer Gaststätte auf einer einsamen Landstrasse die Gewalt über seinen Pkw verloren, kommt von der Straße ab, gerät auf das Feld neben der Strasse und beschädigt dort einen Weidenzaun. Der Mandant entschließt sich, den Pkw zurückzulassen und zu Fuß weiter zu gehen. Die Polizei leitet ein Strafverfahren ein und übermittelt dem Mandanten als Halter des Pkw eine schriftliche Vorladung als Zeuge. Damit erscheint der Mandant bei seinem Rechtsanwalt und fragt, wie er sich verhalten solle.
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Im Beispiel 1würde eine Selbstanzeige ganz sicher ein Strafverfahren auslösen (vgl. dazu Rn. 18, 19). Da vorliegend nicht sicher war, ob der Pkw nebst Unfall überhaupt beobachtet wurde, hat der Rechtsanwalt seinem Mandanten angeraten, möglichst mit dem Geschädigten eine gütliche Einigung über die Schadenregulierungherbeizuführen. Vorliegend sollte der Mandant nicht in Person nach außen in Erscheinung treten, so dass ein zweiter Rechtsanwalt mit der Schadenregulierung beauftragt wurde. Dieser zweite Rechtsanwalt tritt unter Berufung auf sein Schweigerecht nach außen hin auf und verweist darauf, dass eine Person, die namentlich unbenannt bleiben möchte, ihn mit der Schadenregulierung beauftragt habe. Im Beispiel 1 ergab eine Nachfrage des zweiten Rechtsanwalts bei der Tankstelle, dass dort niemand etwas von der Beschädigung des Pollers bemerkt hatte und, dass der Poller sich nicht auf dem zum Tankstellengelände gehörenden Grundstück befand. Nach einer weiteren Kontaktaufnahme, jetzt mit der für die Straße zuständigen Gemeinde wurde der Schaden von dem Mandanten über den zweiten Rechtsanwalt dort beglichen.
Hinweis
Der/die Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, der/die sich bereits im Strafverfahren zur Verteidigung des beschuldigten Halters bestellt hat, sollte nicht als der Regulierer/in gegenüber dem Geschädigten auftreten, da dann die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft sicher vermutet, dass der Beschuldigte der Auftraggeber ist, und wird diese Tatsache möglicherweise im Strafverfahren als Indiz nachteilig werten.
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Im Beispiel 2war relativ sicher zu vermuten ist, dass der Mandant als Fahrer nicht identifiziert worden ist oder werden kann, so dass der Rechtsanwalt seinem Mandant geraten hat, in Person mit dem Geschädigten als regulierungsbereiter Halter bzw. Eigentümer des Pkw in Kontakt zu tretenund dabei natürlich darauf zu achten, sich bei einem solchen Gespräch gegenüber dem Geschädigten nicht als Fahrer erkennen zu geben und sich damit zu belasten.
Die Fragen des Geschädigten, wer denn gefahren sei, sollte der Mandant nicht beantworten und sollte jeweils darauf verweisen, dass er als Halter und Eigentümer sich „nur“ um die Schadenregulierung kümmern möchte. Bei insistierender Nachfrage, sollte der Mandant darauf verweisen, dass es sich um „ein laufendes Ermittlungsverfahren der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft handele und er deshalb dazu nichts sagen möchte; ihm sei angeraten worden, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen“ (vgl. auch Rn. 25).
Im Beispiel 2war es weiter so, dass der Geschädigte mit der Zahlung eines geringen Betrages zum Ausgleich des Schadens an dem Weidenzaun zufrieden war (vgl. auch Rn. 17).
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Da nur durchsetzbareAnsprüche bei der Berechnung der Schadenhöhe anzusetzen sind, [2] ist die Schadenhöhe zu hinterfragen eine zulässige und sinnvolle Strategie, denn auch Kfz-Haftpflichtversicherungen behalten sich regelmäßig vor die Schadenhöhe zu kürzen. Mögliche Beispiele sind:
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Wiederbeschaffungswert zu hoch |
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Restwert zu niedrig |
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Totalschaden statt Reparatur |
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Bagatellschaden/Smart-Repair |
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Beilackierung/Verbringungskosten |
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Abzug für Vorschäden/Altschäden |
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Keine oder nur geringe Schadenvertiefung |
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Abzug neu für alt |
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Höhe der Stundenverrechnungssätze |
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usw. |
Eine frühzeitige gütliche Einigung über die Schadenregulierung kann auch dazu führen, dass es sich dann nur noch um einen Bagatell-Schaden( Rn. 224 f.) handelt; das Verfahren würde dann zügig mangels Verwirklichung des Tatbestands eingestellt. Über seine Zahlung an den Geschädigten sollte sich der Mandant eine Quittung von diesem unterschreiben lassen, die folgendermaßen aussehen könnte:
Quittung
Der Unterzeichner/die Unterzeichnerin hat heute, am (Datum) ohne Anerkennung einer Rechtspflichtzwecks Regulierung des Schadens vom (Unfalldatum) an dem (Gegenstand: z.B. Pkw, Modell, amtliches Kennzeichen)... Euro … von Herrn/Frau … erhalten. Damit sind sämtlichen Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom … erledigt; weitere Ansprüche werden nicht mehr gestellt.
Ort, Datum, Unterschrift des/der Geschädigten
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Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt sich auch bei höheren Schäden, ggf. mit Zustimmung bzw. zumindest mit Anzeige (vgl. Rn. 34 ff.) gegenüber der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung. Zum einen gelingt es auf diese Weise oft – in zulässiger Weise (vgl. Rn. 19) – den tatsächlich nachgewiesenen Schaden zu reduzieren und damit unter die Grenze zu drücken, ab der die Rechtsprechung nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB zur Zeit von einem „bedeutenden Schaden“ ausgeht und die Fahrerlaubnis entzieht (vgl. hierzu, insbes. zur Höhe des bedeutenden Sachschadens Rn. 429 ff., dort insbes. Rn. 439). Zum anderen wird bei erfolgter Selbstregulierung des fremden Schadens der Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag des/der Mandanten/in nicht belastet, der Schadenfreiheitsrabatt bleibt erhalten und Kfz-haftpflichtversicherungsvertragliche Probleme (Stichwort: Obliegenheitsverletzung) werden vermieden (vgl. Rn. 42). Nach erfolgreicher Beendigung des Strafverfahrens kann man dann immer noch versuchen, die Aufwendungen für die Schadensregulierung von seiner Kfz-Haftpflichtversicherung zurückzufordern. Zum Recht der Selbstregulierung von Kleinstschäden(z.B. bis zu 600,- €) vgl. Hinweis in Rn. 38.
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In seltenen Fällen wird die Verteidigung vom/von der Mandanten/in schon so frühzeitig nach dem Tatgeschehen aufgesucht, dass sofort überlegt werden muss, ob jetzt noch „nachträgliche Feststellungen“im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB (vgl. dazu näher unter Rn. 297 ff.) ermöglicht werden können, etwa in Form einer sog. „Selbstanzeige“ bei der Polizei. Hat der/die Mandant/in beispielsweise mitten in der Nacht bei einem Unfall eine Leitplanke, eine Straßenlaterne oder einige wenige Warnbaken beschädigt, so war er/sie eventuell bereits nach einer kurzen Wartezeit von etwa 20 Minuten schon berechtigt, sich von der Unfallstelle zu entfernen, um die „nachträglichen Feststellungen“ am nächsten Morgen zu ermöglichen, indem er bis 9.00 Uhr (zum Zeitpunkt vgl. näher unter Rn. 313 f.) den Geschädigten oder – wahlweise – die Polizei benachrichtigt.
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Bestehen allerdings Zweifel, ob der/die Mandant/in nicht doch bereits den Tatbestand des § 142 StGB vollendet hat, wird die Verteidigung regelmäßig nicht zu einer „Selbstanzeige“bei der Polizei raten, sondern allenfalls zur vorsichtigen Kontaktaufnahme mit dem Geschädigten im Hinblick auf Maßnahmen der Schadenregulierung. Hierbei darf der/die Mandant/in allerdings nicht versuchen, Geschädigte – die im Strafverfahren als Zeugen zu wahrheitsgemäßer Aussage verpflichtetet sind – dahingehend zu beeinflussen, zu eigenen Gunsten den Schaden wahrheitswidrig etwa in geringerer Höhe anzugeben. Geschädigter, Mandant/in und Verteidigung könnten sich dadurch strafbar machen (Falschaussage bzw. Anstiftung hierzu, Begünstigung und/oder Strafvereitelung, Versicherungsbetrug usw.).
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