43
Wenn sich die Nutzung sozialer Netzwerke im Rahmen der Ausnahme nach lit. c bewegt, stellt ErwG 18 zugleich klar, dass die Ausnahme sich nicht auf den Diensteanbieter bezieht.[26]
4. Strafrechtliche Tätigkeiten und Schutz der öffentlichen Sicherheit
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Die Ausnahme nach lit. d zugunsten des Tätigwerdens zuständiger Behörden in den Bereichen der Prävention von Straftaten, der Strafverfolgung und -vollstreckung sowie auf dem Gebiet des Schutzes und der Abwehr von Gefahren bezogen auf die öffentliche Sicherheit galt bereits bei der DSRL.
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Die betreffenden Fragen werden in der parallel zur DS-GVO erlassenen RL (EU) 2016/680 geregelt. Durch die Ausnahme nach lit. d werden die Handlungsspielräume der national zuständigen Behörden nicht zuletzt im Datenaustausch zum Zwecke effektiven polizeilichen Handelns erweitert, ohne dass die Rechte der Betroffenen übermäßig eingeschränkt werden sollen. Zugleich wird durch die Beschränkung auf datenschutzrechtliche Mindeststandards auf die Souveränität der Mitgliedstaaten im Bereich der polizeilichen Tätigkeiten mehr Rücksicht genommen.[27] Nutzen die Mitgliedstaaten die in Art. 1 Abs. 3 RL (EU) 2016/680 angelegte Möglichkeit zur Normierung höherer Schutzstandards, führt dies dazu, dass ein Handeln im Rahmen dieser Standards verstärkt an nationalen Grundrechten und durch die nationalen Gerichte, für die Bundesrepublik insbesondere das Bundesverfassungsgericht, überprüft werden kann.[28]
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Die Formulierung „einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit“ beruht auf dem Bestreben der Mitgliedstaaten im Rechtsetzungsverfahren, den gesamten Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in den Anwendungsbereich der RL (EU) 2016/680 fallen zu lassen.[29] Die Verwendung des Begriffs „einschließlich“ im 2. Hs. stellt klar, dass die hier angesprochene Gefahrenabwehr eine solche im Kontext der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten i.S.d. 1. Hs. sein muss.[30] Nur bei diesem engen Verständnis ist zudem sichergestellt, dass die Mitgliedstaaten sich nicht bei jeder beliebigen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Bindung durch die DS-GVO entziehen können. Insbesondere scheidet eine solche Loslösung über lit. d bezüglich eventueller Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie aus, die bei einem weiten Verständnis als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gedeutet werden könnte. Hier kommen den Mitgliedstaaten allenfalls, aber immerhin, die Öffnungsklauseln nach Art. 6 Abs. 1 lit. doder Art. 9 Abs. 2 lit. hoder izugute.[31]
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ErwG 19 führt dementsprechend an, dass nur die in lit. d genannten Tätigkeiten von der Privilegierung erfasst sind; andere Aufgaben, die den für repressives oder präventives Handeln zuständigen Behörden übertragen sind oder werden, unterfallen weiterhin der Geltung der DS-GVO.[32] Zugleich ist auch das Handeln unzuständiger Behörden auf dem Tätigkeitsfeld nach lit. d weiterhin der DS-GVO unterworfen.[33] Dies gilt gleichermaßen für das Tätigwerden nichtöffentlicher Stellen auf dem Gebiet der Strafverfolgung.[34]
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Die Tätigkeit der Justizbehörden und Gerichte unterfällt grundsätzlich der DS-GVO, allerdings rät ErwG 20 ausdrücklich dazu, im Interesse der Unabhängigkeit der Gerichte deren Tätigkeit nicht durch Aufsichtsbehörden, sondern durch in der Justiz angesiedelte Stellen überprüfen zu lassen.[35]
IV. Tätigwerden der EU-Organe und ihrer Einrichtungen
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Art. 2 Abs. 3sieht vor, dass das Handeln der EU-Organe und ihrer Einrichtungen, der Ämter und der Agenturen weiterhin der Anwendung der VO (EG) 45/2001 unterfällt. Diese ist auf Grundlage des früheren Art. 286 Abs. 2 EG erlassen worden. Sie ist nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages so auszulegen, dass Datenverarbeitungsvorgänge bezüglich personenbezogener Daten von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU, die ganz oder teilweise in den Anwendungsbereich des EU-Rechts fallen, der vorgenannten Verordnung unterfallen.[36]
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Um „einen soliden und kohärenten Rechtsrahmen im Bereich des Datenschutzes in der Union zu gewährleisten“, sieht ErwG 17 vor, dass die VO (EG) 45/2001, gestützt auf Art. 98, auf Vorschlag der Kommission an die Aussagen der DS-GVO anzupassen ist. Dies gilt auch für alle übrigen Rechtsakte der Union, die Datenverarbeitungen durch EU-Organe und Einrichtungen zum Gegenstand haben.
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Der Kritik aus dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten, die einheitliche Datenschutzregelungen für die gesamte Union befürworteten, begegnete die Kommission mit der Ankündigung, die erforderlichen Anpassungen des bestehenden Datenschutzrechts binnen zweier Jahre nach Annahme der DS-GVO anzustoßen.[37] Seit Januar 2017 liegt ein entsprechender Gesetzgebungsvorschlag seitens der Kommission vor.[38]
V. Fortgesetzte Anwendbarkeit der E-Commerce-Richtlinie
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Durch Art. 2 Abs. 4wird die Richtlinie 2000/31/EG für weiterhin anwendbar erklärt. ErwG 21 bezieht dies insbesondere auf Art. 12–15 der Richtlinie zur Verantwortlichkeit von Anbietern reiner Vermittlungsdienste. Durch die E-Commerce-Richtlinie wird insoweit klargestellt, dass die Anbieter reiner Vermittlungsdienste bei bestimmten Tätigkeiten, so insbesondere dem Durchleiten von Daten, der Zwischenspeicherung oder des Hostings, von der Haftung freigestellt werden. Ziel der Richtlinie in den betreffenden Vorschriften ist es ausweislich des ErwG 21, „dass der Binnenmarkt einwandfrei funktioniert, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt“. Abs. 4ist rein deklaratorischer Natur.[39]
VI. Exkurs: Anwendbarkeit ePrivacy-Richtlinie, TKG und TMG
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Art. 2 Artikel 2 Sachlicher Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. (2) Diese Verordnung findet keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten a) im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, b) durch die Mitgliedstaaten im Rahmen von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich von Titel V Kapitel 2 EUV fallen, c) durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten, d) durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. (3) 1 Für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union gilt die Verordnung (EG) Nr. 45/2001. 2 Die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und sonstige Rechtsakte der Union, die diese Verarbeitung personenbezogener Daten regeln, werden im Einklang mit Artikel 98 an die Grundsätze und Vorschriften der vorliegenden Verordnung angepasst. (4) Die vorliegende Verordnung lässt die Anwendung der Richtlinie 2000/31/EG und speziell die Vorschriften der Artikel 12 bis 15 dieser Richtlinie zur Verantwortlichkeit der Vermittler unberührt. – ErwG: 13–21 – BDSG n.F.: § 1
trifft keine Aussage zum Verhältnis der DS-GVO zur ePrivacy-RL (RL 2002/58/EG. Hierzu führt Art. 95aus, dass die DS-GVO „natürlichen oder juristischen Personen in Bezug auf die Verarbeitung in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste in öffentlichen Kommunikationsnetzen in der Union keine zusätzlichen Pflichten auf(erlege), soweit sie besonderen in der Richtlinie 2002/58/EG festgelegten Pflichten unterliegen, die dasselbe Ziel verfolgen.“
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