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In Deutschland hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im November 2020 den Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden („Hinweisgeberschutzgesetz“ – HinSchG-E)fertig gestellt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts versandt.[6] Mit dem HinSchG-E soll der bislang lückenhafte und unzureichende Schutz von Hinweisgebern ausgebaut und zugleich die Vorgaben der EU-Hinweisgeberrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. Neben der Einführung des HinSchG-E als Kernstück erfordert die Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie Anpassungen im Bundesbeamtengesetz sowie Beamtenrechtsrahmengesetz, um die obligatorische Einbeziehung der Beamten in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes sicherzustellen. Das HinSchG-E gliedert sich in Regelungen zum Anwendungsbereich(§§ 1 und 2 HinSchG-E), zum Verhältnis zu sonstigem geltenden Recht(§§ 4–6 HinSchG-E), zu internen und externen Meldesystemen(§§ 7–30 HinSchG-E), zur Offenlegung(§ 31 HinSchG-E), zu Schutzmaßnahmen(§§ 32–38 HinSchG-E) sowie zu Sanktionen(§ 39 HinSchG-E).
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Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle die in § 4 Abs. 1 HinSchG-E enthaltene Aufzählung bereits bestehender Meldesystemefür Verstöße, die unionsrechtlich vorgegeben wurden und entweder unmittelbar gelten oder bereits für bestimmte Sektoren in nationales Recht umgesetzt wurden. Diese bereits eingerichteten Meldesysteme sollen durch das neue horizontale Instrument nicht abgeschafftwerden, sondern mit ihrer jeweiligen Sonderzuständigkeit weiterhin bestehen bleiben. Neben diesen Systemen soll auch keine zusätzliche neue Zuständigkeit für bereits erfasste Sachverhalte eingerichtet werden. Soweit bereits ein Meldesystem greift, auf das § 4 Abs. 1 HinSchG-E verweist, geht dieses vorund das HinSchG soll nicht angewendet werden.[7] Ungeachtet dessen wurde der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG-Ezur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und zur Schaffung von praktikablen Regelungen die in der EU-Hinweisgeberrichtlinie angelegten Rechtsbereiche in begrenztem Umfang auf nationales, korrespondierendes Recht ausgeweitet. Dabei wurden insbesondere das Strafrecht und das Recht der Ordnungswidrigkeiteneinbezogen.[8]
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Die EU-Hinweisgeberrichtlinie verfolgt nicht nur das Ziel, die Hinweisgeber sondern auch die von den Hinweisen betroffenen Personen zu schützen. Dabei hat ein Hinweisgeber Anspruch auf Schutz im Rahmen der EU-Hinweisgeberrichtlinie, wenn er „hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass die von ihm gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung der Wahrheit entsprachen und in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen“.[9] Schutzbedürftigsollen also nur gutgläubige Hinweisgebersein.[10] Dementsprechend sind Personen, die wissentlich falsche oder irreführende Informationen melden, nicht vom Schutzbereich der Richtlinie erfasst. Der Missbrauch von Hinweisgebersystemen kann vielmehr straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.[11] Dies ist natürlich keine Besonderheit der EU-Hinweisgeberrichtlinie, sondern ist auch schon bislang geltendes nationales Recht. Die Meldung oder Offenlegung wissentlich falscher Informationen durch hinweisgebende Personen wird durch das HinSchG-E nicht durch eine Neuregelung von Sanktionen (vgl. § 39 HinSchG-E) zusätzlich mit einer Geldbuße belegt. Zwar ist eine Sanktionierung wichtig, um Denunziantentum und das leichtfertige Weitertragen ungeprüfter Informationen zu verhindern. Allerdings genügen die Rechtsinstrumente des geltenden Rechts. Hierzu zählen neben den allgemeinen Schadensersatzvorschriften auch eine mögliche Strafbarkeit (Vortäuschen einer Straftat nach § 145d StGB, falsche Verdächtigung nach § 164 StGB sowie Verleumdung nach § 187 StGB).[12] Nach § 37 HinSchG-E ist die hinweisgebende Person zum Ersatz des Schadensverpflichtet, der aus einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigenMeldung oder Offenlegung unrichtiger Informationenentstanden ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Frage angesprochen, ob und inwieweit es in der Praxis überhaupt zu einem Missbrauch von Hinweisgebersystemenkommt.
[1]
KOM (2018) 218 endgültig.
[2]
KOM (2018) 214 endgültig.
[3]
Vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 44 der EU-Hinweisgeberrichtlinie.
[4]
Vgl. Art. 20 Abs. 1 lit a) EU-Hinweisgeberrichtlinie.
[5]
Vgl. ausführlich zur Beweislastumkehr etwa Johnson CCZ 2019, 66.
[6]
Referentenentwurf, Bearbeitungsstand 26.11.2020.
[7]
Begründung Referentenentwurf (Stand: 26.11.2020), S. 30.
[8]
Vgl. hierzu Begründung Referentenentwurf (Stand: 26.11.2020), S. 30.
[9]
Art. 6 Abs. 1 lit. a) der EU-Hinweisgeberrichtlinie.
[10]
Siehe hierzu auch Erwägungsgrund Nr. 32 der EU-Hinweisgeberrichtlinie.
[11]
Vgl. Art. 23 Abs. 2 der EU-Hinweisgeberrichtlinie.
[12]
Begründung Referentenentwurf (Stand: 26.11.2020), S. 31. Siehe Rn. 3.
1. Kapitel Einführung› IV. Missbrauch von Hinweisgebersystemen – Eine empirische Untersuchung
IV. Missbrauch von Hinweisgebersystemen – Eine empirische Untersuchung
1. Kapitel Einführung› IV. Missbrauch von Hinweisgebersystemen – Eine empirische Untersuchung› 1. Einleitung
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Mit der Verabschiedung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden[1] ( „EU-Hinweisgeberrichtlinie“) ist die Einführung von Hinweisgebersystemen auf europäischer Ebene neu geregelt worden. In diesem Zusammenhang ist erneut und auch zu Recht auf die mannigfachen Vorteile derartiger Systeme hingewiesen worden.
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Diskutiert man das Thema in der betrieblichen Praxis, so stößt man dennoch häufig auf eine Reaktion, die sich umschreiben lässt mit „der Verstand sagt ja , der Bauch sagt nein “. Dieses Bauchgefühl resultiert aus einem einzigen Sachverhalt: das System, so die Befürchtung, kann missbraucht werden. Hinweise könnten wissentlich falsch abgegeben und Personen zu Unrecht beschuldigt werden. Und in der Tat kommt es leider vor, dass, aus welchen Gründen auch immer, bewusst falsche Meldungen abgegeben werden (was übrigens selbst einen schwerwiegenden Compliance-Verstoß darstellt). Aber die grundlegende Frage bleibt, ob es sich hierbei um beklagenswerte Einzelfälle handelt oder ob der Missbrauch von Hinweisgebersystemen nicht doch in einem größeren Umfang stattfindet. Diese Fragestellung gewinnt zusätzliche Relevanz, sobald die Möglichkeit einer anonymen Meldung oder einer Meldung durch externe Dritte besteht.
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Umso erstaunlicher ist es, dass es hierzu bisher kaum belastbare neutrale Untersuchungen gibt. Allein die Anbieter von Internet-basierten Meldesystemen haben bei ihren jeweiligen Kunden Ergebnisse erhoben,[2] jedoch mit unterschiedlichem Rahmen und unterschiedlichem Untersuchungsdesign. Doch nur durch gesicherte empirische Erkenntnissekann das vorhandene Misstrauengegenüber Hinweisgebersystemen beseitigtwerden. Daher wurde im Rahmen einer Masterarbeit an der TU Dresden diese Fragestellung aufgegriffen. Die durchgeführte Umfrage wurde von 43 Unternehmenbeantwortet, deren Größenverteilung nach Anzahl der Mitarbeiter aus Abb. 1 unter Rn. 34ersichtlich ist. Aus den Antworten lassen sich Kernthesen ableiten, die im nächsten Abschnitt vorgestellt und begründet werden. Es folgt ein weiterer Abschnitt mit den Untersuchungsergebnissen im Detail.
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