Gesunde Schulen fordern und fördern Entwicklungsprozesse
…der Lehrpersonen bzw. der Schulleiterinnen und -leiter, damit Gesundheitskompetenzen zum Kern ihrer professionellen Selbst- und Sozialkompetenz werden kann,
…des Unterrichts, damit auch das Kerngeschäft der Schule zur salutogenen Ressource wird,
…der Organisation, damit für alle Akteure Schule ein gesundheitsförderlicher Arbeitsplatz und Lebensraum wird
…der Schulleitung, damit salutogene Führung zwischen Management und Leadership zum gesundheitsfördernden Kraftfeld jeder Schule wird.
Diese von Lehrpersonen und Schulleitungen aktiv zu gestaltenden Entwicklungsfelder sind miteinander verwoben und bedürfen einer integralen Perspektive. Damit dies gesundheitsförderlich, qualitätsbewusst und handhabbar gelingt, schlagen wir vor, diese Erkenntnisse und Ansprüche aufeinander zu beziehen:
1.Alle Dimensionen des SOC sichern als Bedingungen seelischer Gesundheit salutogene Ressourcen und Qualitäten: Verstehen – Handhaben – Sinn stiften.
2.Alle Dimensionen von Schulentwicklung sichern individuelle, teambezogene und systemische Bedingungen gesunder Schulen: Personalentwicklung, Unterrichtsentwicklung, Organisationsentwicklung und Schulleitungsentwicklung.
3.Mottoziele und Leitsätze (Storch, 2014) helfen Lehrpersonen und Schulleitungen, dass deren Gestaltungs- und Veränderungsvorhaben Wirklichkeit werden.
Diesen Anspruch wollen wir im Folgenden für alle Entwicklungsfelder skizzieren.
Abb. 2:Mottoziele zur Förderung der Gesundheit von Lehrpersonen und Schulleitungen im Kontext von Schulentwicklung.
1.1 Personalentwicklung: für sich und andere sorgen
Lehrpersonen und Schulleiterinnen und -leiter erfüllen komplexe berufliche Aufgaben und bewegen sich in einem nicht zu unterschätzenden Spannungsfeld zwischen Fördern und Fordern, Führen und Begleiten, Engagement und Distanzierungsfähigkeit. Wer erfolgreich lehrt und leitet, hat ein größeres Potenzial, um Zufriedenheit zu erleben und für einzelne Facetten des eigenen Berufs zu brennen. Die Stärkung des eigenen Selbst und die Unterstützung von anderen Personen bilden gesundheitsfördernde Voraussetzungen und dienen der Pflege von Gesundheitsressourcen maßgeblich. Deshalb stellen wir im Bereich der Personalentwicklung das Motto »Für sich und andere sorgen« ins Zentrum:
Abb. 3:Personalentwicklung in gesunden Schulen
Schule ist eine Bildungsstätte, die wesentliche gesellschaftliche Aufgaben erfüllt – sie sorgt für die Bildung und Erziehung der heranwachsenden Generation. Damit diese Aufgabe gut und sinnstiftend erfüllt werden kann, braucht es engagierte Lehrpersonen und Schulleiterinnen und -leiter, die in einer gesunden und entwicklungsorientierten Arbeitsumgebung optimale Lerngelegenheiten für die Schülerinnen und Schüler schaffen. »Gesund« bedeutet in diesem Kontext, dass es den Lehrpersonen gelingen kann, die Balance zwischen Anforderungen und Ressourcen dynamisch zu gestalten und lernen mit den zahlreichen Belastungen des Lehrberufs umzugehen. »Gesundheit (…) ist die Basis für unsere Belastbarkeit und wird dauernd von mehr oder weniger starken bzw. unausgewogenen Anforderungen strapaziert. Sie ist kein erreichbarer Idealzustand, sondern ein Balanceprozess, der durch Gesundheitshandeln laufend korrigiert werden muss! Lehrkräfte haben (…) die Verantwortung, nie mehr Aufgaben anzunehmen, als sie aufgrund ihrer aktuellen Ressourcenlage bedienen können. Umgekehrt sollten sie aber auch nicht wesentlich weniger Ziele verfolgen, als sie erreichen können, um ihre Belastbarkeit und faktische Selbstwirksamkeit zu erfahren. Sie sollten außerdem ihre Ressourcen pflegen, so wie jeder Berufstätige seine materiellen und menschlichen Ressourcen pflegen muss, um gute Arbeit zu leisten« (Sieland, 2008, S. 412). Zu einer solchen Ressourcenpflege gehören im schulischen Kontext erstens die einzelne Person (Selbst/Ich), ihr Gegenüber und somit eine andere Person (Du) sowie das Kollegium (Wir). Personale Ressourcenpflege meint unserer Ansicht nach explizit nicht nur individuelle Selbstfürsorge, sondern integriert auch die Fürsorge für andere Personen.
Zur individuellen Selbstfürsorgezählen wir etablierte Präventions- und Interventionsmaßnahmen, wie eine achtsame Selbstwahrnehmung, die Fähigkeit, sich ausreichend Gutes zu tun (genügend Schlaf, viel Bewegung, bunte Ernährung, reichlich Zeit für Tätigkeiten, die man gerne tut) und zahlreiche Gelegenheiten, um das eigene Sein und Tun sinnhaft zu erleben (Kaluza, 2011; Krause & Mayer, 2012; Kéré Wellensiek, 2012a). Hierzu gilt es kritisch anzumerken, dass sich eine gesunde Selbstfürsorge von gesellschaftlich stark eingeforderten Selbstverbesserungsbemühungen und einer übertriebenen Selbstoptimierung (Borkenhagen & Brähler, 2012) abzugrenzen hat. Wir gehen davon aus, dass diese Gratwanderung als Resonanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit erfahren werden kann.
Die Fürsorge für andere Personenbasiert auf der Bereitschaft, sich in andere (Du) einfühlen zu können, um deren Motive und Sinnstrukturen zu verstehen. Im Dialog mit anderen wird es möglich, die eigenen Auffassungen und Sinnstrukturen zu artikulieren, sie dadurch bewusster zu machen und im Spiegel der anderen zu prüfen, zu bestätigen oder zu modifizieren.
Auf der Basis einer selbstverantwortlichen Selbstfürsorge und einer entwicklungsorientierten Fürsorge für andere Personen können die gemeinsamen Aufgaben und Tätigkeiten aktiv gestaltetwerden (Wir). Indem Unterrichts- und Schulentwicklung gemeinsam verantwortet und gestaltet werden, zeigt sich auch, wie wertvoll es ist, Unterstützung anzubieten wie auch zu erhalten (Buber, 2006; für den Arbeitskontext Brägger & Posse, 2007; für die Austauschprozesse über das Lernen Ruf & Badr, 2002).
1.2 Unterrichtsentwicklung: gut, gerne und gesund unterrichten
Das Unterrichten ist eine komplexe und anspruchsvolle Tätigkeit, die je nach Schulstufe, Fach und Thema variiert und maßgeblich durch die beteiligten Personen gestaltet und die jeweils aktuelle Situation bestimmt wird (Meyer, 2010). Lehrerinnen und Lehrer planen ihren Unterricht, wählen sinnvolle Zielsetzungen und relevante Inhalte aus, entwickeln lernförderliche Aufgaben und begleiten die Schülerinnen und Schüler beim Lernen. Damit dies funktioniert, sind unzählige Entscheidungen zu treffen und Handlungsoptionen zu prüfen. Erfolgreiches Unterrichten muss somit ständig erprobt, gestaltet und reflektiert werden – Unterrichten ist ein kunstvolles Versuchshandeln, das wir unter dem Motto »Gut, gerne und gesund unterrichten« erläutern möchten:
Lehrpersonen, die gut unterrichten,verstehen, wie die Lern- und Leistungsprozesse ihrer Schülerinnen und Schüler verlaufen (Steiner, 2004; Sacher, 2009, Hattie, 2014) und sind deshalb in der Lage, deren Lernen zu fördern und angesichts der daraus resultierenden Erfolge mannigfache eigene Kompetenzerfahrungen zu sammeln.
Zudem verstehen sie es, gerne bzw. mit gesundem Engagement zu arbeiten,mit den komplexen Anforderungen und Gegebenheiten ihres Berufs ressourcenorientiert umzugehen, passende Haltungen für unterschiedliche und auch schwierige Situationen zu finden sowie ihre Widerstandskraft gekonnt ins Spiel zu bringen und zu stärken. Solchermaßen engagiertes wie gesundes Wirken und Werken schafft die Ausgangslage für ein als sinnhaft erfahrenes Arbeiten, das von Anerkennung und Wertschätzung getragen wird (ausführliche Erläuterungen zum salutogenen Unterricht siehe Kapitel 7 Salutogener Unterricht – Gut, gesundheitsförderlich und gerne unterrichten).
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