Gonsar Rinpotsche
Buddhas erste Unterweisung
Die Vier edlen Wahrheiten
Überarbeitet und herausgegeben von Schülern Gonsar Rinpotsche
Das Titelbild stellt einen Lotus dar. Dieses Symbol wurde von tibetischen Mönchen des Klosters Ganden Schartse (Südindien) in Sand gestreut.
Der Lotus symbolisiert den Geist der vollkommenen Erleuchtung, der aus Entsagung entstanden ist. In gleicher Weise, wie sich der Lotus aus dem verschmutzten Wasser abhebt und der Sonne entgegenwächst, ist es die Entsagung, die uns aus dem Sumpf des Samsara (Daseinskreislauf) heraushält und den Zustand der vollkommenen Erleuchtung möglich macht.
Die Technik des Streuens von Sandbildern ist eine der traditionellen Künste des tibetischen Buddhismus. Sie wurde von Buddha in den großen Tantras als besonders geeignet für das Herstellen von Mandalas empfohlen und ist bis heute in den großen Klöstern Tibets erhalten geblieben.
Druckausgabe: Erstausgabe 2004
Alle Rechte vorbehalten
© Edition Rabten, Le Mont-Pèlerin, Switzerland
e-mail: info@editionrabten.com
www.rabten.eu/Publications_de.htm
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Bei der textlichen Überarbeitung haben mitgewirkt:
Helmut Gassner, Albin Oberhammer, Martina Klauda und Ingund Gassner
eBook Herstellung: Edition Rabten www.rabten.eu
ISBN 3-905497-52-2
eBook: ISBN 978-2-88925-076-9
eBook-Auslieferung:
HEROLD Auslieferungs Service GmbH
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Dieses Buch ist aus der Niederschrift der Vorträge entstanden, die der Ehrwürdige Gonsar Rinpotsche am 9., 16., 25. 11 und am 9. 12. 1998 an der Volks- hochschule Basel gegeben hat.
Gonsar Rinpotsche ist einer der herausragenden Meister in der Übertragungslinie des großen Kyab- dsche Tridschang Rinpotsche. Diesen Meistern verdanken wir es, daß die authentischen Unterweisungen des Buddhismus im Westen vollständig erhalten sind. Wir fühlen uns daher dem traditionellen Lehrstil dieser Meister, dem auch Gonsar Rinpotsche folgt, verpflichtet und bemühen uns, so nah wie möglich am gesprochenen Original zu bleiben, damit die eindringliche Klarheit, die Rinpotsches Darlegungen so besonders machen, auch bei der Lektüre spürbar bleibt. Wiederholungen, die die Funktion haben, bestimmte Punkte fest einzuprägen, wurden deshalb nur wenig gekürzt oder bearbeitet. Für eventuelle textliche oder inhaltliche Unzulänglichkeiten zeichnet einzig der Herausgeber verantwortlich.
Wir möchten an dieser Stelle dem Ehrwürdigen Gonsar Rinpotsche für seine weise Führung und Unterstützung danken, ohne die unsere Arbeit gar nicht möglich wäre. Unser Dank gilt auch allen Dharmafreunden für ihre hilfreichen Beiträge.
Wir freuen uns, diese Unterweisungen als Buch veröffentlichen zu können, und sind sicher, daß sie den Lesern von persönlichem Gewinn sein werden.
Mögen die Halter dieser Unterweisungen lange leben, und mögen durch sie Mitgefühl und Weisheit in uns zunehmen.
Die Herausgeber
Le Mont-Pèlerin, im August 2004
Einleitung
Das Wesen von Religion
Im Buddhismus wird gesagt, jede Religion oder jeder geistige Weg habe drei Schwerpunkte: Anschauung, Verhalten und Meditation. Jede Religion lehrt eine bestimmte Anschauung oder Philosophie; jede Religion lehrt ein bestimmtes ethisches Verhalten, und jede Religion lehrt Meditation, das heißt, eine Methode, den Geist zu schulen. Fehlt einer dieser drei Punkte, kann ein geistiges System nicht wirklich als geistiger Weg oder als Religion bezeichnet werden.
Was diese drei Punkte betrifft, gibt es einiges an Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, aber auch Unterschiede. Das ist deshalb so, weil die großen Meister der Vergangenheit, die Begründer der verschiedenen Religionen, aufgrund ihrer Weisheit und ihres Erbarmens den Lebewesen jeweils passende geistige Wege gezeigt haben. Sie haben je nach den Neigungen und Bedürfnissen der Schüler verschiedene Wege beschrieben. Ziel und Zweck der verschiedenen Religionen sind nicht verschieden, sondern gleich. Das Ziel aller geistigen Wege sollte es sein, die Lebewesen von Unwissenheit und Leid zu befreien und sie in einen Zustand dauerhaften und reinen Glücks zu versetzen. Welche Methoden und Wege auch immer zu diesem Ziel führen, sie sind alle gleich wertvoll. Es gilt, sie zu schätzen und ihnen eine respektvolle und offene Haltung entgegenzubringen. Wir sollten es vermeiden, zu sagen oder zu denken: "Mein Weg ist der richtige; alle anderen sind sinnlos und ungültig." Das wäre ein Fehler.
Es verhält sich so wie mit den medizinischen Systemen auf dieser Welt. Es gibt nicht nur ein einziges medizinisches System, sondern viele - angefangen von der Allopathie und der Homöopathie bis hin zur chinesischen, tibetischen und ayurvedischen Medizin. Obwohl es sich dabei um verschiedene medizinische Systeme handelt, ist ihr Ziel immer das gleiche: die Menschen von Krankheit zu heilen und ihnen das Glück des Freiseins von Krankheit zu gewähren. Das ist das Ziel jeder Medizin und nichts anderes. Deshalb sind alle diese gültigen medizinischen Systeme ebenso zu respektieren wie die verschiedenen geistigen Wege. Die geistigen Wege sind als Medizin für die geistigen Krankheiten zu verstehen.
Wenn man nun aber denkt, alle medizinischen Systeme könnten in einen Topf geworfen und miteinander vermischt werden, weil sie alle dasselbe Ziel haben, ist das ein Fehler. Das Produkt wäre eine Mischung mit schlechtem Resultat. Ebenso ist das Ziel der geistigen Systeme zwar dasselbe, ihre Methoden sind jedoch verschieden. Wenn wir alles durcheinanderwerfen, hat das keine guten Konsequenzen. Sofern wir die verschiedenen geistigen Wege genau kennen, besteht natürlich die Möglichkeit, die Wege in einer korrekten Weise zusammenzuführen. Ohne entsprechendes Wissen jedoch alles miteinander zu vermischen kann zu keinem guten Ergebnis führen. Für jeden Anwender von Religion ist es wichtig, zunächst zu erkennen, welcher Weg sich am besten für ihn eignet. Dann gilt es, diesem Weg ernsthaft zu folgen, zugleich aber auch den anderen Systemen Respekt entgegenzubringen und sie zu schätzen. Das wäre eine passende Einstellung.
Die drei Schulungen im Buddhismus
Richtige Anschauung, richtiges Verhalten und richtige Meditation sind die drei essentiellen Punkte des Buddhismus. Wir müssen uns zunächst eine Kenntnis von diesen drei Punkten aneignen und dann versuchen, sie richtig zu benützen. Das macht uns zu ernsthaften Anwendern des Buddhismus. Der erste Punkt ist die Anschauung. Wir Menschen können viel Unwissenheit und viele falsche Ansichten haben, deshalb ist es wichtig, zuerst das Tor zur richtigen Anschauung zu öffnen. Wie wird dieses Tor in unserem Geist geöffnet? Das gelingt nicht mit Hilfe von Wundermitteln, sondern nur, indem wir uns bemühen, zu lernen, zu untersuchen und nachzudenken. Zunächst ist es notwendig zu lernen. Wir müssen einen Lehrer suchen und uns alles weitere beschaffen, was für ein erfolgreiches Lernen notwendig ist. An diese Aufgabe sollten wir mit der richtigen Absicht herangehen; und wir sollten nicht einfach alles, was wir gehört oder gelesen haben, blind glauben. Vielmehr sollten wir über das Gelernte nachdenken, es untersuchen und dadurch eine feste Überzeugung entwickeln.
Auf diese Weise erlangen wir die richtige Anschauung. Richtige Anschauung hat nichts mit seltsamen Ideen oder Phantasie zu tun. Richtige Anschauung bedeutet, ein richtiges Verständnis von Grundlage, Weg und Ziel zu haben. Was ist die grundlegende Situation der eigenen Person, der anderen Wesen und aller Dinge? Wie existieren wir? Was ist die Ursache für unsere Art des Bestehens, was sind ihre Umstände? Die grundlegende Situation der Wesen und der Dinge gilt es fehlerfrei zu erkennen. Als nächstes lernt man verstehen, wie auf der Grundlage unserer Situation der eigene Geist entwickelt werden kann. Diese Entwicklung ist der Weg, den man gehen will. Das Resultat, das wir dadurch erreichen, ist das angestrebte Ziel.
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