Der Positivismusstreitwird den beiden damals wie heute herausragenden Theoretikern Theodor W. Adorno und Karl Popper zugeschrieben, schreibt sich de facto aber bereits seit über hundert Jahren durch die sozialwissenschaftliche Debatte fort. In dieser Auseinandersetzung, die zwischen Karl Popper, Vertreter des Kritischen Rationalismus, und Theodor W. Adorno, Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, in den 1960er-Jahren ausgetragen wurde, ging es um die Zielsetzungen und das Methodenverständnis der Sozialwissenschaften. Für Popper hatte die Theorie zwar einen wichtigen Stellenwert, aber er war der Meinung, dass mit den Methoden der Naturwissenschaften gesellschaftliche Probleme untersucht werden können, um Problemlösungen zu finden. Adorno plädierte für die Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse („Totalität der Gesellschaft“), denn jede Beobachtung der Gesellschaft sei von der Forscherperspektive beeinflusst. Auch Popper war klar, dass werturteilsfreie Wissenschaft nicht möglich ist, da Forscher nicht unvoreingenommen sind, aber durch das Falsifikationsprinzip könnten – so Popper – bestehende Ergebnisse immer wieder in Frage gestellt und es könnte somit die Wirklichkeit/Realität besser verstanden werden.
Bei der Werturteilsproblematik, einer Diskussion, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland intensiv geführt wurde, ging es darum, inwieweit persönliche Wertvorstellungen und politische Einstellungen die wissenschaftliche Arbeit beeinflussen. Max Weber versuchte zwischen Tatsachen und Werturteilen zu unterscheiden, also zwischen Erfahrungswissen und Werturteil. Eine Tatsachenbehauptung „vermag niemanden zu lehren, was er soll , sondern nur, was er kann und – unter Umständen – was er will “ (Weber, 1968, S. 6) und ist in diesem Sinne objektiv und wertfrei. Werturteile sind Aussagen, sind Soll-Sätze, die objektiv nicht begründbar sind, wie bspw.: Eine Sozialwissenschaftlerin sollte sich nicht an Spekulationen beteiligen.
In den Sozialwissenschaften werden zwei Positionen vertreten. Die eine, die mit Max Weber und auch Vertretern des Kritischen Rationalismus wie Karl Popper zu verbinden ist, tritt für das Postulat der Wertfreiheit ein. Die Vertreter der Kritischen Theorie, wie Theodor W. Adorno oder Jürgen Habermas, lehnen das Wertfreiheitspostulat ab, denn eine Kritik an der Gesellschaft sei ohne die Vermischung von Wert- und Sachaussagen grundsätzlich nicht möglich (vgl. Opp, 2014). Das Wertfreiheitspostulat [34] von Opp lautet, dass ein Wissenschaftler deutlich machen soll, „welche Äußerungen Wertungen und welche seiner Äußerungen objektsprachliche, d. h. Sachaussagen sind“ (Opp, 2014, S. 242). In der Frage der Werturteilsproblematik ist wesentlich – so wie auch Opp (2014) argumentiert –, dass Sachaussagen und Werturteile voneinander zu trennen sind und dass es natürlich nicht möglich ist, dass Wissenschaft völlig frei von Werten ist.
3.5.2Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen in der PKW
Steininger und Hummel (2015, S. 38) systematisieren die Fragen der Wissenschaftstheorie in der Kommunikationswissenschaft und formulieren diesbezüglich folgende Einzelfragen, die leicht adaptiert so lauten:
•Welche Ziele gibt es?
•Wie wird Erkenntnis gewonnen?
•Welche Methoden können angewandt werden?
•Welche Merkmale und Voraussetzungen liegen vor?
•Wie wird Erkenntnis überprüft?
•Wie wird Erkenntnis systematisiert?
Daraus ableitend folgern die beiden Autoren, dass es notwendig sei, sich mit der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung (Wissenschaftssoziologie) der Kommunikationswissenschaft zu befassen, und sie verweisen darauf, dass es eben „keine allumfassende wissenschaftstheoretische Theorie [gibt], die wir in Stellung bringen, es ist vielmehr ein Überblick über die Probleme des Erkennens und der Wissenschaft, der uns als Hintergrundfolie dient“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 39–40).
Dennoch ist einer der wissenschaftstheoretischen Zugänge, der sich in der Kommunikationswissenschaft vor allem etabliert hat, der Kritische Rationalismus. „Theorien dürfen im Kritischen Rationalismus durchaus spekulativ sein, aber sie müssen sich an der empirischen Wirklichkeit messen lassen und dürfen nicht einfach ohne methodisch systematische Empirie diskutiert werden, sollen sie einen wissenschaftlichen Wert haben und über ihren spekulativen Charakter hinausweisen (vgl. Popper, 1995, S. 120)“ (Scholl, 2016, S. 92). Der Kritische Rationalismus ist der Rationalität verpflichtet und die vorläufige Bewährung oder Falsifikation von theoriegeleiteten Annahmen ist durch die Methode bedingt. Karl Popper gilt als Begründer des Kritischen Rationalismus, der von dem Modell des Falsifikationismus ausgeht. Dieses Modell besagt, dass es nicht um eine „kontinuierliche Anhäufung von Tatsachen und Gesetzen [geht], sondern durch die [35] Ersetzung schlechter Hypothesen durch bessere nähern wir uns nach Poppers ‚ Logik der Forschung ‘ der Wahrheit“ (Fischer, 1995, S. 232) an.
Poppers Logik der Forschung (1973) zählt zu den wichtigsten wissenschaftstheoretischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts. Der Kritische Rationalismus lässt sich als eine Philosophie beschreiben, „die das menschliche Mitwissen betont, die Fehlbarkeit in der menschlichen Erkenntnis. […] Er [Popper] sah es als das Ziel der Wissenschaft an, zu immer besseren Theorien zu gelangen, die der Wahrheit immer näher kommen, die immer zutreffendere Darstellungen der objektiven Realität geben.“ (Gadenne, 2013, S. 125) Das Kernstück des Kritischen Rationalismus ist die Konzeption der Kritik. Ausgangspunkt jeglicher Forschung ist die problemorientierte Erkenntnissuche.
Wissenschaft ist die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. Theorien sind dabei „das Netz, das wir auswerfen, um ‚die Welt‘ einzufangen“ (Popper, 1973, S. 31). Um Theorien empirisch überprüfen zu können, müssen diese in Hypothesen bzw. Gesetzesaussagen formuliert werden. Allaussagen können nach Popper nie verifiziert werden. Und Poser präzisiert: „Nicht nach Wahrheitsbeweisen ist in den Erfahrungswissenschaften zu suchen, denn diese sind dort grundsätzlich unmöglich; vielmehr müssen sogenannte Naturgesetze ausschließlich als Hypothesen betrachtet werden, die so lange beibehalten werden, als sie nicht falsifiziert sind.“ (Poser, 2001, S. 120)
Um das Gegenteil zu beweisen, ist ein einziges Beispiel ausreichend. Das dabei in der Literatur zitierte Lieblingsbeispiel ist das Schwanenbeispiel. Wenn die Hypothese lautet: „Alle Schwäne sind weiß“, dann bedeutet dies, dass es logisch ist, dass es keine nicht-weißen Schwäne gibt. Jedoch gibt es in Australien schwarze Schwäne, sodass die Hypothese, dass alle Schwäne weiß sind, falsifiziert ist. Falsifizierbarkeit kann damit als „Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft und Spekulation“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 71) benannt werden. Auch sind Entwicklungen nur dann möglich, wenn es nie absolute Gewissheit gibt – diese Annahme gehört zur Lehre des Fallibilismus. Nach Popper ist Erkenntnisfortschritt immer erst aus Versuch und Irrtum möglich. Wissen ist immer Vermutungswissen. Dabei geht Popper nicht von einem naiven Falsifikationismus aus, denn die falsifizierenden Befunde müssen methodisch gesichert sein, so etwa durch wiederholte Experimente oder durch die Kontrolle von möglichen Fehlerquellen (vgl. Gadenne, 2013, S. 135). Das Ziel eines jeden Wissenschaftlers sollte es laut Poppers Logik der Forschung sein, dass unablässig nach der Wahrheit gesucht wird (vgl. Popper, 1973). [36]
3.5.3Die kommunikationswissenschaftliche Fachgeschichte
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Kommunikationswissenschaft in den USA „unter den Titeln: Communications , Communication Science , Study of Communication , seltener Communicology“ (Rühl, 2008, S. 13). Rühl zitiert in seinen Ausführungen dann Lasswell, der im Rahmen einer Festrede 1958 festhielt: „No change in the academic world has been more characteristic of the age than the discovery of communication as a field of research, teaching, and professional employment.“ (Lasswell, 1958, S. 245, zit. nach Rühl, 2008, S. 13) Dies zeigt bereits, welche Bedeutung dem Fach Kommunikationswissenschaft zugekommen ist.
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