Planungsaspekte 
Grundsätzlich ist zu entscheiden, welche musikalische Gattung und Veranstaltungsform im jeweiligen Rahmen überhaupt sinnvoll ist. Ein symphonisches Konzert oder eine Operettengala wird in jeder Hinsicht mehr Ressourcen binden als ein Konzert mit zwei oder drei Musikerinnen und Musikern. Oft bietet es sich deshalb auch für große Orchester oder Opernhäuser an, kleinere und praktikable Projekte zu planen. Gerade für Menschen mit Demenz kann ein intimes, aber regelmäßiges Angebot viel beglückender sein als das einmal im Jahr stattfindende große Konzert-Event. Es gibt viele kreative Möglichkeiten, Konzertprogramme für Menschen zu gestalten, die der Situation eines Orchesters angepasst sind:
Fragen zur Planung 
• Kann man Generalproben und Durchläufe, die ohnehin stattfinden, für das Publikum öffnen, ohne großen zusätzlichen Aufwand an Honorar-, Miet- oder Sachkosten?
• Lässt sich ein Ausschnitt aus einem Abendkonzert am anderen Morgen wiederholen, sodass sich bei einem freien Orchester keine zusätzlichen Übernachtungskosten ergeben?
• Gibt es Konzerte, die nicht ausverkauft sind und wo man Bereiche des Zuschauerraumes speziell für eine Gruppe von Menschen mit Demenz reservieren kann?
• Sind einige Orchestermusikerinnen und -musiker bereit, ein kürzeres Kammermusik-Programm in Senioren-Einrichtungen zu spielen?
• Können Rundfunkorchester die technischen Möglichkeiten ihrer Sendeanstalten nutzen, Konzerte in die Wohn- und Pflegeheime live zu streamen, wo man dieses Ereignis vorbereitet und festlich zelebriert?
• Welchen finanziellen Beitrag kann die soziale Einrichtung leisten? Welchen Beitrag kann die kulturelle Institution leisten? Welche Fördermöglichkeiten gibt es?
interdisziplinärer Dialog 
Die Anregung zu Konzerten für Menschen mit Demenz muss dabei nicht nur aus dem Kulturbereich kommen – auch soziale Einrichtungen sollten ihre Wünsche, Ideen und Bedürfnisse formulieren und an die Musikinstitutionen herantragen. Erst im Dialog der Fachkompetenzen entstehen gute und sinnvolle Projekte.
Kulturauftrag und Musikvermittlung
Kulturauftrag 
Öffentlich finanzierte oder geförderte Orchester sind einem Kulturauftrag verpflichtet. »Kultur für alle« hieß der Slogan, mit dem der damalige Frankfurter Kulturstadtrat und spätere Präsident des Goethe-Instituts Hilmar Hoffmann 1979 die Bundesrepublik Deutschland aufzurütteln versuchte (vgl. Stampa 2019). Doch erst ab der Jahrtausendwende begann ein elitäres, lediglich auf eine »hohe Kunst« ausgerichtetes Denken in den Chef-Etagen deutscher Kulturinstitute wirklich aufzubrechen.
Musikvermittlung, Konzertpädagogik, Education 
Ein Schlüsselereignis im musikalischen Bereich war das Projekt »Rhythm Is It?«, das die Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle mit dem Choreographen Royston Maldoom 2003 durchführten und ein Jahr später in einem gleichnamigen Kinofilm national und international präsentierten: 250 Berliner Kinder aus sogenannten »Problemschulen« erarbeiteten mit den Profis eine Aufführung von Strawinskys »Le sacre du printemps«, einem energiegeladenen Schlüsselwerk der Moderne. Dieses erfolgreiche Projekt entwickelte eine ungeheure Sogwirkung, nicht zuletzt aufgrund des Renommees der Berliner Philharmoniker. Gleichzeitig bereiteten aktuelle Studien Sorge um eine Überalterung des klassischen Konzertpublikums 10 , sogar vom »Aussterben« des klassischen Konzerts war die Rede (vgl. Tröndle 2011, S. 362). Infolgedessen erhielten Marketing und Musikvermittlung zunehmend mehr Gewicht in der allgemeinen Konzertplanung – zunächst mit einem ausschließlichen Blick auf die Gewinnung jungen Publikums. Fast alle Kulturorchester und Opernhäuser etablierten spätestens jetzt eigene Abteilungen für Musikvermittlung (auch »Education« oder »Konzertpädagogik« genannt) mit speziell dafür ausgebildeten Kräften oder erweiterten ihre Dramaturgie-Abteilungen um diesen Bereich.
Zielgruppen von Konzertvermittlung 
Inzwischen hat sich ein differenzierterer Blick auf die unterschiedlichen Zielgruppen von Konzerten entwickelt: Die Generation der ab 60-Jährigen wird aufgrund der demografischen Entwicklung als wichtiger Wirtschaftsfaktor und damit auch unverzichtbarer Teil des Konzertpublikums angesehen (vgl. von Leliwa 2019). Auch das Konzept der »Kulturellen Teilhabe« – den Zugang zu den oft hoch subventionierten Kulturinstitutionen auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen oder aus schwierigen Ausgangslagen heraus zu ermöglichen – gehört inzwischen zum Selbstverständnis der Orchester, Theater und Museen. 2012 etablierte das Projekt »Auf Flügeln der Musik« – initiiert vom Institut für Kultur und Bildung im Alter (IBK) und gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie dem Land Nordrhein-Westfalen – verschiedene Modelle einer solchen kulturellen Teilhabe von Menschen mit Demenz am Konzertleben (vgl. Nebauer 2013).
Ansprechpersonen für Demenzkonzerte 
Die Abteilungen und Mitarbeitenden für Musikvermittlung, Konzertpädagogik und Education sind in den Kulturorchestern und Opernhäusern in der Regel die unmittelbaren Ansprechpartner für Konzertangebote an Menschen mit Demenz, erarbeiten die Konzepte und führen die Veranstaltungen durch.
Der musikalische Nachwuchs: Musikhochschulen und Musikschulen
Selbst etablierte Institutionen des Konzertlebens stehen unter enormem Produktions- und Finanzierungsdruck. Nicht jedem Kulturbetrieb wird es gelingen, regelmäßige Angebote an Menschen mit Demenz zu machen. Im ländlichen Raum kann es geschehen, dass das »nächste Orchester« eben doch zu weit weg ist oder das landesweite Festival nur einmal im Jahr vorbeischaut. Nicht nur aus diesen Gründen lohnt es sich, die zahlreichen Ausbildungsstätten für Musik auch als Konzertveranstalter wahrzunehmen.
musikalischer Nachwuchs 
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