Zaunkreuz
An einem Zaun entdecke ich bei meiner ersten Rast ein Kreuzzeichen, welches schlicht durch zwei Zweige errichtet wurde. Ich nehme das einfach als positives Zeichen für meine Pilgerreise auf und freue mich über die unerwarteten geistlichen Grüße.
Gut gelaunt erreiche ich die kleine Gemeinde Äpfingen. Die Feuerwehr bereitet gerade die Straßensperre für die Himmelfahrtsprozession vor. Ich eile zur Kirche, um noch in Ruhe eine Kerze vor dem Marienaltar anzünden zu können und vielleicht einen Pilgerstempel zu erhalten. Beide Wünsche können erfüllt werden. In der nächsten Gemeinde, Laupertshausen, ist der Gottesdienst in vollem Gange.
Aber vor der Kirche begegne ich einem Pilger-Ehepaar, Elina und Hartmut. Sie kommen aus Nürnberg und sind dort vor ca. 3 Wochen auf den Jakobsweg gestartet. Nachdem sie seit dem Frühjahr im verdienten Ruhestand sind, genießen sie die vorhandene Zeit ausgiebig. Wir bleiben auf meiner heutigen Tagesetappe zusammen, und ich genieße die sehr angenehme Gesellschaft und gute Gespräche. Meine erste Pilgerbekanntschaft.
Meine Reisebegleiter berichten mir von ihren bisherigen Erlebnissen. Ich kann nur staunen und hoffen, dass ich ausschließlich die guten Dinge erleben werde und sich die Negativerlebnisse auf ein Minimum reduzieren werden.
Biberach
Zufrieden kommen wir in die Stadt Biberach und beschließen, im ersten Café, welches wir sehen, noch eine gemeinsame Erholungspause einzulegen. Wir tauschen unsere Adressen und hoffen, dass wir mal wieder voneinander hören. Am „Ulmer Tor“ machen wir noch ein Erinnerungsfoto. Solche Menschen dürften mir öfters über den Weg laufen. Eigentlich wollte ich einen Gummischuh der Wanderstöcke meinen Pilgerfreunden überlassen. Schande über mein Haupt, das hab ich vermasselt … stelle ich viel später mit Schrecken fest. Und dabei haben die mich noch freundlich zum Kaffee eingeladen. Mal sehen, ob ich das irgendwann wieder gutmachen kann.
Mittags gehe ich noch gut gelaunt zum Bahnhof und lade mein Gepäck ins Auto. Ich bin zufrieden, merke aber auch, dass die heutige Tagesetappe ganz schön in meinen Beinen steckt. Die Kondition ist vorhanden, aber die Körperbelastung durch das Gepäck muss ich besser trainieren. Abends mache ich deshalb Gymnastik, um meine Muskulatur aufzulockern.
Heute war ein rundherum schöner Tag. Dass die Sonne mir eine ordentliche Gesichtsfarbe beschert hat, brauche ich gar nicht extra zu erwähnen. Froh bin ich jedoch, dass ich meine große Pilgerreise in kleinen Etappen beginne. Die Erfahrungswerte, welche ich dabei sammeln kann, sind unermesslich. Auch meine Ausrüstung wird diesen Erfahrungswerten angepasst.
6. Pilgertag, Freitag, 18.05.2012
Biberach–Winterstettenstadt: 21 km, Gesamt: 91 km
Der Wecker klingelt bereits um 5.55 Uhr. Ich stehe auf und freue mich auf den heutigen Pilgertag. Nach dem gemeinsamen Kaffee fahre ich mit meiner Karin zum Bahnhof. Während ich auf den Zug warte, bemerke ich, dass mein Kilometerzähler im Auto liegt. Sch…, aber da kann ich jetzt auch nichts ändern.
In Biberach nehme ich im Café von gestern ein zweites Frühstück zu mir. Um 09.00 Uhr öffnet das angrenzende Sportgeschäft, und ich kaufe mir einen neuen Kilometerzähler. Es kann ja nicht schaden, noch einen zweiten als Ersatz zu haben.
Die Stadtkirche ist eine Besichtigung wert. Auch sie wird seit der Reformation von beiden Konfessionen – katholisch und evangelisch – genutzt. Das fällt mir jetzt schon zum wiederholten Mal auf. Dass eine Kirche von beiden Konfessionen gemeinsam genutzt wird, davon höre ich auf dem Jakobsweg zum ersten Mal. Neue Wege zeigen auch neue Horizonte auf. Man lernt nie aus.
Einige Meter neben der Kirche befindet sich das Pfarrbüro. Dort bekomme ich nach einer kurzen Wartezeit meinen Pilgerstempel in mein Credencial. Warum es den nur im Pfarrbüro zu den Bürozeiten gibt, bleibt mir ein Rätsel. Meistens liegt der immer hinten in der Kirche an einer kleinen Kette. So wäre er immer für die Pilger zugänglich.
Es wird jetzt langsam Zeit, mich auf den Weg zu machen. Über den Marktplatz, an der Stadthalle vorbei, bin ich schon bald außerhalb der Stadt in einem wunderschönen Wiesental. Kilometerlang geht es den Bach entlang, vorbei an der Wolfenbachmühle bis nach Reute. Vogelgezwitscher und der Duft von Wiesen und Wald. Einfach nur schön, und ich kann jeden Meter genießen, obwohl ich von gestern etwas Muskelkater mit mir herumschleppe.
Nachdem ich die moderne Kirche in Reute bewundert habe, führt mich mein Weg hinauf in den schattigen Wald. Das ist bei den heutigen Temperaturen sehr angenehm. Vor Groth mache ich eine kleine Rast. Ich habe zwischenzeitlich richtig Hunger bekommen. Mein Rucksackvesper wird bis auf den letzten Krümel aufgegessen.
Über Groth geht es zur Kirche St. Jacobus in Muttensweiler. Das Gemälde am Hochaltar zeigt das Martyrium meines Pilgerpatrons. Ich stelle fest, dass sich mein Blick auf meinen Pilgerpatron in den Kirchen bereits sehr geschärft hat. Es ist eine sehr schöne Kirche, doch der Höhepunkt des heutigen Tages steht mir noch bevor.
Rucksack
Der nächste Etappenort ist Steinhausen. Hier wird mich die schönste Dorfkirche der Welt empfangen. Ihre Größe kann ich schon von Weitem erkennen. Gewaltig ragt sie über den Ort und ist schon allein an ihrer äußeren Pracht bewundernswert.
Voll freudiger Erwartung erreiche ich die Ortschaft und gehe durch die Hauptstraße langsam auf das gewaltige Bauwerk zu. Beim Betreten des Gebäudes erwartet mich ein Prunkraum höchster barocker Baukunst. Vor dem Hochaltar ist ein wunderschöner Marienaltar aufgebaut. Die Fresken sind ganz dezent mit Farben unterlegt. Ich bin von diesem Bauwerk fasziniert. Der Begriff „schönste Dorfkirche der Welt“ ist sicher nicht übertrieben.
Wieder im Freien genieße ich die Sonne und gehe in das gegenüberliegende Café. Dort kann ich im edlen Terrassengarten mit Blick auf die Kirche einen Cappuccino und Erdbeerkuchen mit Sahne genießen. Ich dehne diese Pause jedoch nicht zu lange aus und ziehe in Richtung Unteressendorf weiter. Karin und Celine kommen mit dem Auto vorbei und nehmen mich mit.
Steinhausen
Wir wollen zusammen an den Bodensee fahren, dort das Wochenende genießen und morgen meinen Geburtstag feiern.
Nachdem ich Steinhausen verlassen habe, geht nochmals ein letzter Blick zurück auf dieses gewaltige und doch in seiner Art zierliche Bauwerk. Über Wiesenwege geht es auf sehr einsamen Wegen in Richtung Winterstettenstadt zügig voran. Ein Fuchs geht vor mir auf dem Weg und beobachtet mich misstrauisch, bevor er sich wieder in den Feldern versteckt.
Ich habe den gekennzeichneten Weg etwas abgekürzt. Passieren darf mir hier jedoch nichts, denn hier würde mich sicherlich niemand suchen, geschweige denn finden. Ich habe im Moment auch keine Ahnung, wo ich mich genau befinde und wie weit es noch bis zur nächsten Ortschaft ist. Es geht durch wildere Natur als gewünscht. Ich bereue schon mein Handeln, vom gekennzeichneten Weg abzuweichen.
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