Pola - Drei Romane

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Die «Drei Romane» von Pola Polanski stellen jeweils künstlerisch begabte Frauen
in den Mittelpunkt, die ihre Kreativität als Schriftstellerinnen und Malerinnen –
oft um die passenden Worte, Farben oder künstlerischen Mittel ringend – ausdrücken.
Ihnen ist ihre seelische Fragilität gemein, sie haben Phasen psychischer
Erkrankung und Therapien durchlebt, müssen teils Medikamente nehmen, um
ihre Stimmungsschwankungen auszugleichen. Dennoch wehrt Mia in «Das Wolfsbaby»
sich gegen den Stempel einer Diagnose. Das Auf und Ab ihres Seelenlebens
versteht sie als wesentlichen Teil ihres Selbst und auch als Quelle ihrer
Inspiration.
Während Toni in «Mein Alter Ego» und Angelika in «Die schwarzen Engel» Fehlgeburten
und eine Abtreibung verarbeiten müssen, woran ihre Beziehungen zu
einem Mann scheiterten, gebiert Mia in «Das Wolfsbaby» ein Kind mit dem Werwolf-
Syndrom, was ihren Partner in den Alkoholismus treibt und ihre Liebe auf
eine Zerreißprobe stellt.
Annika begegnet auf einer Nil-Kreuzfahrt ihrem Alter Ego Toni, die sich auf
einem Feldzug der Rache befindet, und fühlt sich genauso von ihr angezogen
und umgekehrt wie Angelika in «Die schwarzen Engel» von Simone, bei der sie
als Untermieterin einzieht, bevor sie in einen Wahn stürzt. Diese Ambivalenz in
der gefühlsmäßigen und sexuellen Orientierung zwischen einem weiblichen und
einem männlichen Pol gilt für beide Frauen-Paare.
Alle drei Romane sind durchzogen von intensiven plastischen Träumen, Mia
besucht in ihren geistigen Visionen außerdem einen fantastischen Planeten.
Reisetagebücher in «Mein Alter Ego» und «Das Wolfsbaby», die in die Kultur des
Alten Ägypten und die griechische Mythologie führen, Musik und Literatur, auf
die Bezug genommen wird, verdichten die unverschnörkelt formulierten Texte
mit den knappen Dialogen zu einem vielfältigen Ganzen.

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„Die Verstorbenen kamen vor das Totengericht des Osiris. Osiris war der Gott der Unterwelt. Die Toten machten sich auf den Weg in die Unterwelt, Duat genannt. Der Eingang zur Unterwelt lag im Westen, deshalb liegen auch alle Gräber im Westen vom Nil. Dort kam der Tote an ein riesiges Tor, wo Himmel, Erde und Unterwelt aufeinandertrafen. Außerdem war da ein riesengroßes Gewässer. Es rauschte um die Pforten des Tores. Weitere Pforten folgten. Dort wanden sich riesige Schlangen und spitze Dolche warteten. Außerdem lauerten böse Dämonen dort. Der Verstorbene musste die Zaubersprüche kennen. Am Schluss kam das Totengericht. Erst wenn er dort bestand, konnte er ins ewige Leben eingehen.“ Toni hatte angespannt dem Reiseführer gelauscht. Als er seinen Vortrag beendet hatte, sagte sie zu mir: „Vielleicht sollte ich mir eine Pistole kaufen. Das wäre auch ein schneller Tod.“

„Toni, lass diese Gedanken, das ist doch Quatsch!“

Es ging weiter zum Totentempel der Hatschepsut. Als wir dort angelangten, musste Toni schon wieder aufs Klo. Ich ging ihr hinterher, um sie zu bewachen. Schließlich war sie selbstmordgefährdet. Als sie nach dem Warten in der Schlange dran war, um in einer der Kabinen zu verschwinden, ging sie gar nicht hinein, sondern stellte sich vor den Spiegel und richtete ihr Haar. Die ist aber eitel, dachte ich. Die ganze Reisegruppe hatte wieder fünfzehn Minuten auf sie warten müssen, denn die Schlangen auf den Klos bei den Sehenswürdigkeiten waren lang.

Wenn man in weiter Entfernung vor dem in Kalkstein erbauten Tempel stand, wirkte er winzig in den ihn umgebenden Felsen. Er fügte sich wie ein Kunstwerk in die Berge ein, denn der Tempel und die Felsen hatten die gleiche Farbe. Der Reiseleiter erklärte, dass Hatschepsut nur deswegen Pharaonin bleiben konnte, weil sie sich als Göttin ausgab. Ich sagte zu Toni:

„Überleg dir, da wird 1479 Jahre vor Christus eine Frau Pharaonin. Bis wir eine deutsche Bundeskanzlerin hatten, dauerte dies 2005 Jahre nach Christus. Hatschepsut muss ein Phänomen gewesen sein. Dass die alten Ägypter eine Frau als Königin akzeptiert haben! Unfassbar!“ „Ja, aber sie hat sich ja zuerst als Mann und dann als Göttin ausgegeben.“

Wir gingen die ganzen Treppen hoch. Es war ein erhebendes Gefühl, als ob man schweben würde. Paul fotografierte mich zusammen mit einem Ägypter in seiner Tracht vor einer der gut erhaltenen Statuen der Hatschepsut, die in Richtung Tempel Karnak blickte - die Statue und ich mit gekreuzten Armen.

Später klärte der Reiseführer über den Terroranschlag auf.

„Am 17. November 1997 fand das Massaker von Luxor statt. Es waren Islamisten, die mit automatischen Waffen und Messern 62 Personen töteten. Vor allem die Körper der Frauen wurden verstümmelt. Später wurden die Leichen der Attentäter gefunden. Sie hatten wahrscheinlich gemeinschaftlich Selbstmord begangen.“

Toni murmelte in sich hinein, sodass nur ich es hören konnte: „Ja, Selbstmord, das ist der einzige Ausweg.“ Diesmal tat ich so, als ob ich nichts gehört hätte, denn ich wollte kein Öl ins Feuer gießen.

Der Reiseleiter fügte hinzu:

„Es war das Ziel, den erfolgreichen Tourismus von Ägypten zu treffen. Am nächsten Tag war die Hälfte aller Touristen abgereist. Das war aber nicht die Religion des Islam, die das Attentat verübt hat. Jede Weltreligion ist friedlich. Allein die Menschen machen die Religion.“ In den Mundwinkeln des Reiseführers hatte sich Speichel gesammelt. Er trank einen Schluck aus seiner kleinen Wasserflasche.

Ich sagte zu Toni:

„Erstaunlich, erst vier Jahre später war der Anschlag auf das World Trade Center.“

Die Fahrt ging weiter zum Habu-Tempel. Am Eingang des Tempels lagen auf hinuntergehenden Treppen zwei schwarze Hunde in der Sonne. Sie rührten sich kaum, als wir an ihnen vorbeiliefen. Der Reiseführer sagte: „Manchmal finden sich die Hunde zu Rudeln zusammen, um Fressen zu erbetteln. Die Ägypter mögen die frei laufenden Hunde nicht.“

Der Habu-Tempel war riesengroß und gut erhalten. Als wir direkt vor dem Eingang standen, sagte der Reiseleiter, dass es heute den Kalender mit 365 Tagen gebe. Er fragte in die Runde: „Und wer hat den Kalender erfunden? Die alten Ägypter!“ Darauf machte er ein Handzeichen und wir gingen in den Tempel hinein, vorbei an der Göttin Sachmet, einer Statue mit einem Löwenkopf. Der Tempel wurde nach hinten zu immer dunkler und enger im Gegensatz zu den Gräbern im Tal der Könige, die nach hinten hin immer höher und weiter werden. Als wir beim Allerheiligsten angelangt waren, sagte Toni, sie müsse schon wieder aufs Klo. „Mein Richard hat immer gesagt, wenn ich alte Steine sehe, müsste ich aufs Klo.“ Ich fragte mich, ob das eine faule Ausrede war. Sie verdrückte mal wieder eine Träne und schaute Paul an, der ein paar Meter weiter weg von uns mit dem Reiseführer über eine Hieroglyphe fachsimpelte.

Draußen vor dem Tempel stand ein kleiner Kiosk, wo man Postkarten kaufen konnte. Toni suchte in den ganzen von der Sonne verblichenen blaustichigen Karten nach neueren, besser erhaltenen Karten, wurde aber nicht fündig. Wir gingen weiter in Richtung Bus, und wieder umringten uns Händler. Einer von ihnen hatte eine kleine Statue mit einem Katzenkopf aus milchig weißgrüner Jade in der Hand. Ich kaufte sie ihm für fünf Euro ab, ohne zu handeln. Wir wurden daraufhin ihn und die anderen Händler nicht mehr los. Als wir schon im Bus saßen, riefen sie durch die geöffnete Tür herein, irgendwelche Gegenstände hochhaltend: „Ein Euro, zwei Euro! Fünf Euro für drei!“ Reiner sagte zu mir: „Du bist schuld, die kriegen wir nicht mehr los!“ Dabei lachte er aber.

Auf dem Rückweg zum Kreuzfahrtschiff machten wir nicht den Umweg über eine Nilbrücke, sondern wir konnten eine kleine Fahrt in einem bunten Boot über den Nil genießen. Eine steile Treppe führte zum Boot. Oben standen ägyptische Kinder, die die Touristen an der Hand zum Boot geleiteten. Dafür wollten sie Geld. Ich fragte mich, warum die Kinder nicht in der Schule waren.

Meine Worte verorten sich so lange, bis sie in den Abflussrohren der Kanalisation verrotten .

Nach der Mördertour hatte ich versucht zu schlafen, aber der Einzige, der schlief, war Paul. Sein gesegneter Schlaf! Also ging ich hoch an Deck. Ich suchte nach Toni. Sie lag in einem Liegestuhl und schlief. Ich bemerkte, dass ihr Dekolleté schon ganz rot war und sich kleine eitrige Bläschen gebildet hatten. Ich stellte mich so vor sie hin, dass sie in meinem Schatten lag, und rief:

„Toni, du musst aus der Sonne!“

Sie wachte auf.

„Komm, lass uns einen Kaffee trinken gehen.“

„Der Kaffe hier schmeckt schrecklich.“

„Trotzdem, steh auf, du bist schon rot wie ein Krebs.“

Sie stand auf und wir setzten uns in den Schatten. Der Ober kam nach der Bestellung mit den Kaffees.

Toni rührte in ihrer Tasse und sagte:

„Ich verstehe das nicht, dass Gisela so ekelhaft zu mir ist.“

„Ich habe dich und Reiner gestern um Mitternacht an Deck gesehen.

Das sah sehr vertraut aus. Was habt ihr gesprochen?“

Toni wurde rot im Gesicht. Dort hatte sie noch keinen Sonnenbrand. „Ich wollte euch nicht stören. Ihr standet ja am Heck. Ich habe am Bug noch eine Zigarette geraucht. Dann ging ich wieder hinunter in die Kabine. Dort kam mir Gisela entgegen. Sie muss euch gesehen haben. Die sind seit dreißig Jahren ein Paar. Da kannst du jetzt nicht reingrätschen. Was glaubst du, wie du reagiert hättest, wenn eine Frau versucht hätte, dir deinen Richard wegzunehmen.“

Tonis Augen weiteten sich.

„Gisela war noch an Deck?“

„Du darfst dich mit Reiner nicht mehr treffen. Außer, du willst die Bösartigkeiten von Gisela aushalten. Glaubst du, dieses Verhalten von ihr kommt von ungefähr? Das hat einen Grund!“

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