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Abb. 14: S-V-E-Verhaltensdreieck
Woran liegt es nun, dass Fragen nach dem Verhaltensdreieck die Validität erhöhen? Ähnlich wie im Assessment-Center (AC) wird damit der hypothetische Anteil in der Kommunikation verringert, und konkretes Verhalten und dessen Wirkung besprochen. Das AC bietet eine fast vollständige Simulation der Wirklichkeit. Dies kann das Interview nicht, da es sich immer auf der Ebene der sprachlichen Wirklichkeit aufhält, und damit eine Metaebene über der Verhaltensebene liegt. Die geringere Validität des Interviews gegenüber dem AC liegt darin begründet, dass es für einen Bewerber leichter ist, Interviewer verbal zu täuschen. Solange Interviewer nicht mithilfe des Verhaltensdreiecks operieren, ist es für den Bewerber sicherlich noch einfacher, den Interviewern etwas vorzuspielen. Das lässt sich natürlich auch mit dem Verhaltensdreieck nicht ausschließen. Aber es ist für den Bewerber schwieriger, weil er konkrete Situationen beschreiben muss. Verhaltensorientierte Fragen im Interview verhindern Fehlinterpretationen durch konkrete Beispiele und beugen Fehlurteilen vor, da weniger persönliche Eindrücke, sondern konkretes Verhalten im Mittelpunkt steht. Dies macht es einem Bewerber schwerer, sich zu verstellen, da es schwierig ist, auf konkrete Fragen spontan schlüssige, aber unwahre Antworten zu geben.
Mit dem Gesagten soll Bewerbern keineswegs unterstellt werden, dass sie generell eine Täuschungsabsicht haben. Die Absicht von Auswahlinstrumenten muss dennoch immer sein, Bewerber möglichst authentisch kennenzulernen. Fragen, die das Verhalten beschreiben, sind valider als situative Fragen. Situative Fragen zielen im Gegensatz zu Verhaltensbeschreibungen nicht auf tatsächlich Erlebtes, sondern auf hypothetische Situationen ab. Man sagt deshalb zu dieser Frageform auch »hypothetisches Fragen«. Dabei können situative Fragen sehr hilfreich sein, in denen vergleichbare Daten zur Vergangenheit fehlen, oder wenn ein Bewerber behauptet, er habe eine solche Situation (z. B. einen Konflikt) noch nie erlebt.
Durch die Generierung von Stresssituationen in einem Auswahlverfahren versucht ein Unternehmen, Hinweise darüber zu erlangen, wie ein Bewerber unter Druck, Anspannung oder auch auf provokative Situationen reagiert. Insbesondere für besondere Arbeitssituationen, welche eine Stressresistenz von Mitarbeitern erfordern, kann dies sinnvoll sein. Das Setting für derartige Fragen im Interview oder Übungen in einem AC sollte aber wohl durchdacht sein. Sollte der Zusammenhang für einen Bewerber innerhalb einer Übung oder auch während des Interviews nicht erkennbar sein, so empfiehlt sich dringend, für die Interviewer oder Beobachter diese Art des Fragens oder Vorgehens im Nachgang beim Feedback zu erklären, so dass dem Bewerber der Zweck klar wird. Ansonsten drohen seitens des Bewerbers Unverständnis und u. U. Ablehnung und Vertrauensverlust. Grundsätzlich ist es auch zweifelhaft, ob der Nutzen dieser Art des Vorgehens die Nachteile überwiegt. Die Erfahrung lehrt, dass es meistens mehr nützt, eine offene und wertschätzende Art gegenüber dem Bewerber aufrechtzuerhalten und die relevanten Qualifikationen zu Durchsetzungsfähigkeit, Stressresistenz etc. in Form von offenen Fragen nach dem Verhaltensdreieck zu evaluieren. Sollte ein Bewerber dennoch ein derartiges Verhalten erfahren (z. B. durch Unterbrechen der Interviewer, provokative Fragen etc.), wird er es sich wohl gut überlegen, ob er im Falle eines Angebotes diesem Unternehmen beitreten will. Bewerber sollten sich allerdings darauf einstellen, dass gemäßigtere Formen des Stressinterviews durchaus in einigen Unternehmen üblich sind. Dazu können beispielsweise absichtliche Pausen der Interviewer nach einer Bewerberantwort zählen. Manche Bewerber fühlen sich daraufhin verunsichert, zweifeln u. U. an ihrer Antwort und versuchen, diese zu ergänzen oder zu korrigieren. Auch ein abrupter Wechsel in eine Fremdsprache, die Bestandteil der Stellenbeschreibung sein kann, sollte Bewerber nicht überraschen und zählt zu den üblichen Hürden im Laufe eines Bewerbungsgespräches.
3.8 Weitere Interviewrunden
Ein Bewerber muss darauf gefasst sein, nach erfolgreichem Erstinterview noch ein bis zwei weitere Interviewrunden zu durchlaufen. Zum einen wird dadurch der Bewerberkreis weiter eingeengt und der potenziell kleinere Bewerberkreis nun auch hochrangigeren Entscheidern vorgestellt. Auch Verhandlungen zu näheren möglichen Vertragskonditionen wie Gehalt, Dienstwagen etc. werden meist erst im zweiten Durchgang zur Sprache kommen. Je weiter ein Bewerber bei diesen Interviewrunden rückt, umso sicherer kann er sein, dass nun zunehmend »weiche« Faktoren wie Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen entscheidend werden, da in diesen Runden der bereits eingegrenzte Bewerberkreis hinsichtlich Kenntnissen und Erfahrungen gleichwertig ist.
Die meisten Bewerber lassen es sich nicht nehmen, ein bis zwei Wochen nach einem erfolgten Bewerbungsgespräch nachzufragen, wie es um Ihre Bewerbung steht. Viele Unternehmen werten dies als Motivation eines Bewerbers. Im öffentlichen Dienst, bei staatlichen Stellen etc. ist hier Vorsicht geboten. Dort kann »Nachhaken« als aufdringlich gewertet werden, da staatliche Entscheidungsprozesse und deren Instanzen oft mehr Durchläufe bis zur Entscheidung benötigen. Es ist deshalb sinnvoll für Bewerber, bereits im Vorstellungsgespräch sensibel zu eruieren, ob es möglich oder gewünscht ist, nach gegebener Zeit nachzufragen. Manche Bewerber stellen diese Frage bereits am Ende des Interviews. Hier werden die meisten Interviewer auf das Nachgespräch der Interviewer verweisen, auf die Gespräche mit weiteren Bewerbern, die noch zu führen sind usw. Es kann aber durchaus sinnvoll sein, bereits gewonnene Eindrücke, die sich auf das Verhalten des Bewerbers und die Wahrnehmung des Interviewers stützen, zu spiegeln. So können sich beispielsweise mögliche Irritationen, die auf Seiten des Interviewers entstanden sind, u. U. schnell durch eine Erklärung des Bewerbers auflösen. Solange sich Interviewer nicht in ihrer Entscheidung drängen lassen, spricht nichts gegen eine spontane Rückmeldung. Diese sollte allerdings nicht über eine Klärung bestimmter Verhaltensweisen oder erfolgter Wahrnehmungen hinausgehen. Zu Bewertungsaussagen sollten sich die Interviewer nicht hinreißen lassen.
Letztlich kommt die Besprechung nach einem Interview und damit die qualifizierte Konsensentscheidung aller Interviewer auch dem Bewerber zugute. Idealerweise sollte das Unternehmen Bewerber nach der Entscheidung informieren und aktiv die fachlichen Bewertungsgründe mitteilen. Schließlich bleiben auch abgelehnte Bewerber potenzielle Bewerber für die Zukunft und nicht zuletzt ggf. auch potenzielle Kunden des Unternehmens. Auch verbreiten sich negative Eindrücke eines Bewerbers im Netzwerk des Bekannten und Freundeskreises sehr schnell, und ein Eindruck hat hier eine multiplikatorische Wirkung für das Unternehmensimage. Es hat sich gezeigt, dass die Entscheidung von Bewerbern, ein Einstellungsangebot anzunehmen, auch wesentlich von den Interviewern als Repräsentanten des Unternehmens abhängt.
Das Assessment-Center (AC) hat seinen Ursprung in der Offiziersauswahl der Weimarer Republik. Nach den deutschen Streitkräften haben sowohl die britische Armee als auch der amerikanische Nachrichtendienst das Konzept weitergeführt. Nachdem die amerikanische Wirtschaft das Verfahren ebenfalls mit Erfolg eingeführt hatte, wurde es Ende der 1970er Jahre auch in Deutschland wieder vermehrt eingesetzt, nun im zivilen Bereich. Das Assessment-Center (to assess = bewerten) ist ein hocheffizientes Verfahren zur Potenzialeinschätzung bei Auswahl und Beurteilung von möglichen Mitarbeitern und Führungskräften. Hier werden die Leistung und das Verhalten einzelner oder mehrerer Teilnehmer gleichzeitig von mehreren Beobachtern zu definierten, unternehmensspezifischen Anforderungen beobachtet und beurteilt. Es wird nicht primär zur Feststellung fachlicher Kenntnisse, sondern persönlicher Fähigkeiten eingesetzt (
Abb. 15).
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