Ja, ich hatte Fanny mitgenommen, wie immer, wenn mich jemand beauftragt, für ihn zu arbeiten. Und was soll ich sagen: Ich habe Fanny in all den Jahren, in denen er mich helfend begleitet, noch nie so zurückhaltend, so liebevoll mit einem fremden Menschen umgehen sehen, wie er es mit der auffallend kleinen, auffallend alten-jungen Dame tat. Fast hätte ich neidisch werden können, so verliebt schien mein Tosa Inu, doppelt so groß und doppelt so schwer wie meine Auftraggeberin, zu sein. Er tänzelte um sie herum und lächelte sie an. Ehrlich! Verdammt, Doktor, du bist abgemeldet. Was hat sie nur an sich, dass mein Köter sich so verhält! Mir unverständlich, aber auch den Grund für sein für mich ungewöhnliches Verhalten würde ich herausfinden.
»So gutaussehend habe ich Sie mir gar nicht vorgestellt. Ernesto, mein schwuler Freund, um dessen Tod Sie sich auch gleich mal kümmern müssen, hatte Sie mir empfohlen. Wie er auf Sie gekommen ist, keine Ahnung! Von Ihnen weiß ich gar nichts. Also wenn Sie für mich arbeiten wollen, dann müssen Sie mir erst mal erzählen, wer Sie sind. Damit das klar ist!«
Die ersten Sätze aus ihrem lockeren Mundwerk, mit dem ich noch viel Freude und noch mehr Ärger haben würde. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Dazu traf mich der Sound ihrer Stimme und stieß mit aller Wucht auf meinen musikalischen Nerv: grässlich, aufdringlich, versoffen, einschüchternd, zart. Alles in einem und mit einem Wort nicht zu beschreiben.
»Ich kann auch gleich wieder gehen, wenn Sie meinen, dass ich nicht der Richtige für Sie bin. Und ich will und muss auch nicht für Sie arbeiten, Ihr toter Freund rief mich an, nicht ich ihn. Damit das klar ist! Und wie ich aussehe, spielt für meinen Job wohl keine Rolle, denke ich, oder?!«
Die Fronten waren fürs Erste geklärt, das Terrain abgesteckt und die Madame Doberman schaute mich aus ihren wasserblauen Augen an, als sei ich Mister Adonis himself. Die Hexe, die perfekt in ihr Hexenhäuschen passte – wohl deshalb hatte sie sich keine mondäne Villa bauen lassen –, machte mich definitiv an! War Hermine Doberman einfach nur peinlich oder glaubte sie tatsächlich, mich beeindrucken zu können? Sie hätte meine Großmutter sein können. Mindestens! Und so sehr ich auf schöne und interessante Frauen – ich denke da nur an Frau Haberschmus aus Zürich oder Hannelore Wille, die Verführerin aus meinem ersten Fall „Feingeist“! – stehe und manchmal in der Vergangenheit auch nicht gerade der treueste Mann war, sie war nun wahrlich nicht mein Beuteschema.
Anna konnte ganz beruhigt sein.
Die Doberman saß mir gegenüber auf einem Schaukelstuhl, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, wie auch Hermine Doberman. Knallgelber Minirock, der bis zu der Hüfte hochgerutscht war, eine königsblaue Seidenbluse, ebenso königsblaue Stöckelschuhe und ein goldener Armreifen, der so schwer sein musste, dass ich mich fragte, wie sie ihren ausgemergelten, schmalen Arm damit heben konnte. Ihre wasserblauen Augen waren eingerahmt von knallkönigsblauen Lidstrichen, die die Ausmaße von Autoreifen hatten. Was Hermine mir nach ihrer missglückten Anmache auftischte, nachdem ich ihr kurz und knapp meine Vita geschildert hatte, das ließ mich dann doch sehr aufmerksam werden. Sollte ich das alles glauben oder doch lieber Fanny der Hermine entreißen und mit meiner Eifersucht auf meinen geliebten Riesenköter das Hexenhäuschen verlassen und ein Märchenbuch schreiben …?
Vieles von dem, was sie mir in gut einer Stunde erzählte, erinnerte mich an den Film „Indiana Jones“ mit Harrison Ford und war doch gänzlich anders.
Hermine Dobermans Story fing im Dritten Reich an. Mit Göring und Himmler … Und mit ihrer Mutter, der Sängerin Martha Frühling, einer Geliebten von Göring.
Hermine war demzufolge das Ergebnis einer exzessiven Nacht mit Hermann, dem Göring, gewesen. So erzählte es mir Hermine in ihrer schnodderigen Art frank und frei: »Sie müssen wissen, meine Mutter und der Göring haben sich über Monate fast zu Tode gevögelt. Meine Mutter war gerade mal auf den Tag genau 17, als Göring sie in einem kleinen Münchener Cabaret singen und tanzen sah. Da hat er sie sich gleich in der Nacht geschnappt, ist mit ihr in sein Büro im Führerbau gefahren, Sie werden es vielleicht nicht wissen, das ist die heutige Hochschule für Musik in der Arcisstraße – und der perverse Arsch hat sie auf seine perverse, von ihm bevorzugte Stellung auf seinem riesigen Schreibtisch entjungfert und gnadenlos durchgeritten. Das war zwischen den beiden von der ersten Sekunde an eine Hassliebe. Meine blutjunge Mutter war vernarrt in den Kokainprotz und fand es spannend, durch einen so berühmten Mann ihre Jungfernschaft verloren zu haben. Gleichzeitig, so erzählte sie mir später, ging ihr seine fiese Art, wie er sie brutal und ohne jegliche Rücksicht auf ihren jungen und schönen Körper von allen möglichen Seiten nahm, ziemlich auf die Nerven. Sie war hin- und hergerissen. Spannend, ja, aber auch erniedrigend, brutal. So war er halt, der Göring. Ständig kam er zu ihr nach München, manchmal flog sie auch zu ihm nach Berlin und dann wieder trafen sie sich in Hitlers Wochenendanwesen Berghof auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Meine Mutter war so geil, wie ich es heute noch bin – das liegt wohl in der Familie –, und der fette Göring, der zum Zeitpunkt meines Entstehens noch schlanker gewesen sein soll und überaus attraktiv, wenn ich meiner Mutter, der alles vögelnden Schlampe, zu der sie sich binnen Wochen nach dem Kennenlernen Görings entwickelte, Glauben schenken durfte. Also für sie. Aber da sie auch was mit dem Himmler hatte, der ebenfalls auf Nachtklubsängerinnen stand, könnte es auch sein, dass ich zwei Väter habe oder der Himmler mein Erzeuger war. Attraktiv soll der auch gewesen sein. Sagte meine Mutter. Das sehe ich anders. Auf den Fotos, die mir meine gar nicht so schlecht singende Mutter zeigte, sah der jedenfalls grässlich aus. Ein verkniffener, spröder, spießiger Typ. Tja, die Geschmäcker sind verschieden. Schauen Sie selbst, Herr Richter.« Und schon kramte sie aus dem überladenen Sekretär ein Bild von Himmler hervor, schob es mir unter die Nase und fragte: »Finden Sie den etwa gutaussehend? Soll ich dessen Kind sein? Doch eher wohl nicht! Ich war doch mal bildhübsch, nicht wahr? Nun ja, das bin ich ja eigentlich auch bis heute geblieben«, überschätzte sie sich im Brustton vollster Überzeugung, fuhr sich – wie sie glaubte – verführerisch mit ihren alten, faltigen, kleinen Händchen mit den pinkfarbenen, überlangen und sorgfältig manikürten Fingernägeln über ihre ebenso kleinen, vermutlich total schrumpeligen Brüste und glaubte, mich damit anmachen zu können. Na bravo, das war der Gipfel meiner Karriere als Privatermittler! Doktor, nimm dich in Acht, die will dich tatsächlich umreißen! Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, so grotesk war die Situation in ihrem Hexenhäuschen.
»Na ja, Herr Richter, nun wissen Sie, dass ich nicht mehr 35 bin und auch, was ich von meiner Mutter gehalten habe. Sie war wirklich, Sie können es mir glauben, eine ausgemachte Schlampe und hat sich im Laufe der Jahre alles ins Bett geholt, was irgendwie Rang und Namen im Dritten Reich hatte. Also gehen Sie mal davon aus, dass ich weiß, dass meine Mutter meine Mutter war, aber wer mein Erzeuger …? Eigentlich auch egal. Auf jeden Fall hat mir meine Mutter eine beachtliche, von ihr zusammengevögelte Kunstsammlung hinterlassen. Ich glaube, dass von den rund 1.000 geklauten und irgendwie zusammengerafften Gemälden, sogenannter Raubkunst, die eigentlich für Hitlers Führermuseum in Linz bestimmt waren, mindestens 50 bis 100 davon bei meiner Mutter gelandet sind. Einmal ein guter Fick – und schon gab es wieder ein Gemälde. So sind wir zu Geld gekommen. Na ja, Raubkunst war nicht dabei. Meine Mutter mochte auch Juden. Das hätte sie nicht zugelassen und hat wohl jedes Bild checken lassen, damit sie später, also nach dem kurzen 1000-jährigen Reich, keine Probleme bekommen würde. Aber die eigentliche Geschichte ging erst vor zwanzig Jahren los. Doch die erzähle ich Ihnen erst, wenn wir uns nähergekommen sind und ich Ihnen voll vertrauen kann.«
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