Die Konzentration von Reichtum führt zur Konzentration von Macht, insbesondere wenn die Kosten für Wahlen immer mehr in die Höhe schießen, was die politischen Parteien zunehmend in die finanzielle Abhängigkeit von Großunternehmen treibt. Deren so gewonnene politische Macht schlägt sich alsbald in Gesetzen nieder, die die Konzentration von Reichtum unterstützen. Die Finanzpolitik – etwa in Form von Steuergesetzen, Deregulierung, Bestimmungen zur Unternehmensführung und vielen weiteren Maßnahmen – hat die Konzentration von Reichtum und Macht zur Folge und unterstützt die Kräfte, die diese Tendenz fördern. Wir befinden uns in einem Teufelskreis.
Die Reichen hatten schon immer ein übergroßes Maß an Kontrolle über die Politik. Das hat eine lange Tradition und wurde bereits 1776 von Adam Smith beschrieben. In seinem einflussreichen Werk Der Wohlstand der Nationen lesen wir, dass die »Hauptkünstler des Merkantilsystems« die Menschen sind, denen die Gesellschaft gehört – in seiner Zeit waren das die »Kaufleute und Fabrikanten«. Und sie sorgten dafür, dass für ihre Interessen gesorgt wurde, ganz gleich wie »verderblich« die Folgen für das Volk von England und andere waren. Heute geht es nicht um Kaufleute und Fabrikanten, sondern um Finanzinstitute und multinationale Konzerne. »Alles für uns und nichts für andere«, so lautet nach Adam Smith schon seit jeher »die elende Maxime« der »Herren der Welt«. Die von ihnen verfolgte Politik wirkt sich stets zu ihrem Nutzen und zum Schaden für alle anderen aus.
Nun, diese Maxime der Politik gilt ganz allgemein und ist in den USA gut untersucht. Sie hat immer mehr Raum gegriffen, wie auch beim Ausbleiben einer Reaktion der Bevölkerung nicht anders zu erwarten ist.
Wie ein roter Faden zieht sich der Gegensatz zwischen der Forderung nach mehr Freiheit und Demokratie von unten und dem Bemühen der Elite um Macht und Herrschaft durch die amerikanische Geschichte. Er prägte bereits die Staatsgründung.
Die Minderheit der Reichen
James Madison, der maßgebliche Autor der amerikanischen Verfassung, war zwar einer der entschiedensten Verfechter der Demokratie in seiner Zeit, meinte aber, das Staatssystem der USA müsse gewährleisten, dass sich die Macht in den Händen der Wohlhabenden befinde – was er auch tatsächlich durchsetzte. Schließlich, so seine Überzeugung, seien die Reichen verantwortungsvoller, denn ihnen läge das öffentliche Interesse und nicht nur ihr eigener Vorteil am Herzen.
Deshalb verlieh die Verfassung dem Senat die größte Macht. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als die Mitglieder dieser Kammer bis vor etwa einem Jahrhundert nicht direkt gewählt, sondern von den Parlamenten der Bundesstaaten bestimmt wurden – für eine lange Amtszeit. Außerdem wurden sie aus den Reihen der Wohlhabenden des Landes rekrutiert, aus dem Kreis der Männer, die, wie sich Madison ausdrückte, Sympathien für Besitzende und ihre Rechte hegten. Und beides sollte geschützt werden.
Der Senat hatte also die größte Macht, war jedoch am weitesten von der Bevölkerung entfernt. Das Repräsentantenhaus hatte eine größere Nähe zum Volk, verfügte aber über weitaus weniger Einfluss. Die Exekutive – der Präsident – hatte eher eine verwaltende Funktion, wenngleich auch eine gewisse Verantwortung für die Außenpolitik und andere Angelegenheiten. Ganz anders als heute.
Siehe: Geheime Verhandlungen und Debatten des 1787 in Philadelphia versammelten Verfassungskonvents; S. 24.
Eine zentrale Frage war, in welchem Maß unser Land echte Demokratie zulassen sollte. Madison diskutierte dieses Problem sehr eingehend, weniger in den sogenannten Federalist Papers, einer Serie von Artikeln in Tageszeitungen, in denen Madison, John Jay und Alexander Hamilton für ihr Verfassungskonzept warben, als in den höchst interessanten Debatten der verfassungsgebenden Versammlung. Aus den Protokollen geht hervor, dass Madison es als die wichtigste Aufgabe einer Gesellschaft – jeder vernünftigen Gesellschaft – ansah, »die Minderheit der Reichen gegen die Mehrheit zu schützen«. So seine eigenen Worte. Und er hatte auch Argumente dafür.
Er dachte dabei natürlich an England, seiner Ansicht nach die fortschrittlichste und in politischer Hinsicht modernste Gesellschaft seiner Zeit. Aber man nehme einmal an, argumentierte er, in England könne jeder frei wählen. Die Armen, die die Mehrheit bildeten, würden sich zusammenschließen und sich organisieren, um den Reichen ihren Besitz zu nehmen. Sie würden beschließen, was man heute eine »Landreform« nennt, mit anderen Worten, die großen Ländereien, die weitläufigen landwirtschaftlichen Güter auflösen und sie unter den Menschen verteilen, also sich das Land zurückholen, von dem sie erst kurz zuvor durch die Einhegung vertrieben worden seien. Die Armen würden so abstimmen, dass an sie zurückfiele, was einmal die Allmende war.
Das aber, so Madison, wäre offensichtlich ungerecht und somit nicht zu befürworten. Also müsse die Verfassung die Demokratie – die »Tyrannei der Mehrheit«, wie es gelegentlich hieß – verhindern, um zu gewährleisten, dass das Eigentum der Reichen unangetastet bleibe.
Das ist die Grundstruktur des Systems: Es ist darauf ausgelegt, die Gefahr der Demokratie abzuwenden. Natürlich kann man zu Madisons Verteidigung sagen, dass er Präkapitalist war. Er ging davon aus, dass die Reichen der Nation eine Art römischer Adel waren, wie man ihn sich damals vorstellte – aufgeklärte Aristokraten, gütige Menschen, die sich dem Wohl aller widmeten und dafür arbeiteten. Das war eine ziemlich verbreitete Sichtweise, was schon daran ablesbar ist, dass sich Madisons Verfassungssystem tatsächlich durchsetzte.
Und ich muss auch sagen, dass Madison schon in den 1790er-Jahren bitter enttäuscht war über die Abwege, auf die das von ihm selbst geschaffene System geraten war. Börsenhändler und andere Spekulanten hatten die Regie übernommen und es zugunsten eigener Interessen zerstört.
Aristokraten und Demokraten
Es gab jedoch noch eine andere Vorstellung von Demokratie, die Jefferson, ihr führender Theoretiker, anhand der Unterscheidung zwischen »Aristokraten« und »Demokraten« ziemlich eloquent darlegte.
Siehe: Thomas Jefferson in einem Brief an William Short am 8. Januar 1825; S. 25.
Die Grundidee der Aristokratie als Staatsform sei, dass die Macht in Händen einer eigenen Klasse besonders herausragender und privilegierter Personen liegen sollte, die vernünftige Entscheidungen treffen. Die Demokraten hingegen glaubten, die Macht solle beim Volk liegen. Schließlich sei es der sicherste Träger der Macht und des vernünftigen Handelns, und ob uns seine Beschlüsse gefielen oder nicht, sollten wir dieses Modell unterstützen. Jefferson unterstützte also das demokratische Modell und nicht das aristokratische, das Madison propagiert hatte, bevor er sah, wohin sich das System entwickelte. Dieser Riss durchzieht die amerikanische Geschichte bis heute.
Siehe: Aristoteles, Politik, Buch III, Kapitel 8, Buch IV, Kapitel 4; S. 26.
Interessant dabei ist, dass diese Debatte eine lange Tradition hat und bis auf das erste Werk über politische Demokratie im klassischen Griechenland zurückgeht, die Politik von Aristoteles, die erste umfassende Untersuchung verschiedener politischer Systeme. Aristoteles kommt darin zu dem Schluss, dass die Demokratie die beste Regierungsform sei. Doch dann weist er genau auf das Problem hin, das auch Madison bemerkte. Aristoteles betrachtete nicht ein Land, sondern den Stadtstaat Athen, und man darf nicht vergessen, dass sich seine Demokratie auf freie Männer beschränkte. Doch das war auch bei Madison so – seine Überlegungen galten freien Männern, nicht Frauen, und natürlich erst recht nicht Sklaven.
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