Die einlaufenden U-Boote brachten von den versenkten Schiffen alle möglichen Dinge mit. Die Mannschaften arbeiteten täglich zehn Stunden. Zweimal wöchentlich konzertierte eine Kapelle, die sich aus zwölf Mann der Besatzung gebildet hatte. Ein Maurerklavier, oder, wie der schnoddrige Berliner Koch, der Stübbecke, sagte, eine Quetschkommode, gab den zwei Gigerln der Besatzung, Lehmann I und Hansen, Gelegenheit, ihre neuesten Schieber zu tanzen. Der Schrittenbacher Max, ein Feinmechaniker ersten Ranges aus Feldafing in Bayern, hatte einen Gesangverein gegründet und in Stimmung gebracht. Dieser Max plattelte, wenn Stübbecke ihm den Heitauer Doppelschlag auf der Ziehharmonika vorspielte.
Mader stand nackt in seiner Badekoje und ließ die kalte Dusche über seinen Kopf brausen. In der Nebenkoje plätscherte Ulitz. »Möchte gerne einmal wissen, wie die liebe Sonne aussieht. Wir werden noch eine Haut über die Pupille bekommen, – wie die Molche.« Mader mußte über den ewigen Brummhumor des kleinen Ulitz lachen. Er wurde aber gleich wieder nachdenklich. Draußen ging das blutige Ringen weiter. Die Menschen zerfleischten sich, und ein Ende war nicht abzusehen. Wie schwierig war es doch gewesen, hier tief unter der Erde all dies erstehen zu lassen. Die Kunst der Marineingenieure hatte hier ein Wunderwerk vollendet. Wie schwer war das Finden der richtigen Leute gewesen. Jeder Einzelne mußte ein Vollkommener in seinem Fache sein. Die Leute hatten sich für die Zeit des Krieges zu verpflichten. Es wurde keinem gesagt, wohin es ging. Jeder erfuhr nur, daß er nach einer Werkstätte käme, die versteckt im Lande des Feindes läge, und daß es keinen Urlaub gäbe. Jedem Manne wurde zwei Tage Bedenkzeit gelassen. Erklärte er sich dann einverstanden, so wurden ihm zwei Wochen Urlaub bewilligt und strengste Verschwiegenheit aufgetragen. Da nur ganz einwandfreies, ausgesuchtes Menschenmaterial in Frage kam, so war ein Verrat kaum zu erwarten. Den Angehörigen ward eine Adresse im Marineministerium aufgegeben. Dorthin mußte alle Post gesendet werden, und von dieser Stelle ging sie erst wieder auf Umwegen zur Stadt unter dem Meere.
In der ganzen Welt wurde von einer geheimen U-Boot-Basis im Mittelmeer gesprochen. Ganze Geschwader der Gegner suchten die Küsten immer und immer wieder ab. Nichts! Nichts! Niemand in Italien hatte eine Ahnung, daß sich im eigenen Lande eine unterirdische deutsche Werkstätte befinde, die Granaten und Torpedos herstellte. Kein Mensch vermutete, daß ein kleiner Typ feindlicher U-Boote sich unter heimischer Erde im Bau befand und daß eine kleine Schar von Menschen in treuester Pflichterfüllung seit Jahren nicht mehr die Sonne sah und fern von ihren Liebsten weilte, die nicht wußten, wo sich Vater, Sohn, Bruder, Gatte oder Bräutigam aufhielten.
Millionenheere können nicht an einem Tag erledigt werden
In Aachen hielt Kaiser Wilhelm im Sitzungssaale der Stadtverordneten folgende Ansprache:
»Im Westen habe ich das halbverwüstete Frankreich besichtigt. Da gewinnt man erst den richtigen Eindruck von dem Grausigen, von dem unser Vaterland verschont geblieben. Wer etwa kleinmütig werden sollte, der möge einmal einige Tage an die Front gehen und sich die Verwüstungen ansehen. Dann wird er nicht mehr klagen und mit seinem Los zufrieden sein. Die Offensive geht gut vorwärts; 600 000 Engländer sind bereits außer Gefecht gesetzt, 1600 Geschütze erbeutet. Die Franzosen müssen überall einspringen. Hart werden die Gegner mitgenommen; sie haben’s auch nicht besser verdient. Die Sache im Westen wird gemacht; aber wir müssen Geduld üben. Millionenheere können nicht an einem Tag erledigt werden. Wir werden unser Ziel erreichen. Schwere Arbeit ist zu leisten; aber dafür haben wir ja auch tüchtige Schmiede. Den Osten haben wir geöffnet. In der Krim geht es auch vorwärts. Aus der Ukraine sind die ersten Lebensmittelzüge in Berlin eingetroffen. Dadurch wird unsere Lebensmittelversorgung gebessert. In Sebastopol haben wir eine starke, reich beladene Handelsflotte erbeutet; dort werden wir uns den Verkehr auf dem Schwarzen Meer wieder ermöglichen. Also es steht gut .«
Das Wort selbst stammt aus der altkirchlichen Institution Collegium de propaganda fide und wurde als Gerundium in den Sprachgebrauch übernommen. Der Verbreitung des Glaubens diente dieses Collegium und dem Worte der Heiligen Schrift. Heute ist es nicht mehr die Kirche, sondern der Staat, der es für wichtig hält, Prinzipien durch eine organisierte Verbreitung zur Geltung zu bringen. Und nicht Gottes und der Völker, sondern abkommandierter Skribenten Stimme ist es, die den Begriff der Propaganda in Verruf gebracht hat. Moral oder Unmoral der Propaganda hängen von den moralischen oder unmoralischen Absichten des Staates ab.
Ganz klar sah die Reichsleitung von Anfang an ein, daß sie vor der Alternative stand: entweder alles zu gewinnen, um, im Rausche des materiellen Erfolges vergöttert, über die Schuldfrage hinwegzukommen, oder, nach einer Niederlage in ihrem Betruge durchschaut, unterzugehen. Deshalb von Anfang an die Behauptung, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg. An einen Mittelweg kann und konnte diese Regierung nicht denken. Deshalb auch ist ein Verständigungsfrieden nicht möglich. Er würde gewisse Freiheiten bringen, die für das alte System verhängnisvoll wären. Wenn die hermetisch verschlossenen Landesgrenzen wieder geöffnet, der Belagerungszustand mit all seinen Unfreiheiten aufgehoben wären; wenn die Zensur und die Bedrohung mit Schutzhaft wegfielen: die brutal und mit allen Mitteln unterdrückte Wahrheit würde sich elementar einen Weg zum Lichte schaffen. Kein Friede ist möglich, der nicht einen vollständigen Sieg der Moral oder der Unmoral mit sich bringt.
Nun endete der Krieg mit einer zerschmetternden Niederlage
die der rücksichtslose U-Bootkrieg nicht hatte aufhalten können. Manchem Seemann mag es danach verlangt haben, mit seinem Schiff beim letzten Schlag nach dem Gegner in den Fluten unterzugehen. Für eine solche heroische Geste, die am Ausgang des Krieges nichts mehr ändern konnte, war die Mannschaft nicht zu haben. Antimilitaristische Agitation in beträchtlichem Umfange war schon im Jahre 1917 auf den Großkampfschiffen betrieben worden. Zwei Mann büßten für den Plan einer Erhebung mit dem Leben, andere mit schweren Zuchthausstrafen. Den Schiffsbesatzungen wurde der öde Dienst etwas erleichtert und das Essen verbessert. Auf den Geist der Truppe verstand man aber nicht richtig einzuwirken. Nach beendetem Dienst ging der Offizier in seine Räume, der Unteroffizier in sein Abteil, in drangvoller Enge saßen die durch vierjährigen Dienst mißmutig gemachten Leute ohne Aufsicht beieinander. Die Agitation war leicht und fand einen günstigen Nährboden. Für eine verlorene Sache zu sterben, in dem Augenblick, wo die Entlassung zur Familie bevorstand, waren die vielen verheirateten Leute nicht gewillt. Als am 28. Oktober die Flotte in See gehen sollte, rissen Heizer die Feuer heraus und verhinderten dadurch die Ausfahrt. Eine größere Anzahl der Meuterer wurde verhaftet. In Kiel fand am 1. November eine große Versammlung von Marinesoldaten statt, in der die Freilassung der Inhaftierten gefordert wurde. Deputationen wurden von den Kommandanten abgewiesen. Eine zweite Versammlung am Sonnabend den 2. November wurde durch Truppenaufgebot verhindert. Jedoch kamen schon Gehorsamsverweigerungen vor. Mannschaften versammelten sich auf dem Exerzierplatz; es wurde lebhaft diskutiert, wobei sich Mitglieder der unabhängigen Sozialdemokratie beteiligten. Verabredet wurde eine neue Versammlung für Sonntag nachmittag 5½ V Uhr auf dem Exerzierplatze. Durch Handzettel wurde dazu eingeladen. Nachmittags 2 Uhr ließ das Stadtkommando Alarm schlagen; Patrouillen forderten alle Soldaten auf, sich sofort zu ihren Truppenteilen zu begeben. Der Befehl wurde nicht befolgt. In der Versammlung wurde zur Befreiung der Gefangenen aufgefordert. Ein großer Demonstrationszug setzte sich in Bewegung. Patrouillen und einzelne Offiziere wurden entwaffnet. Schließlich feuerte eine starke Patrouille auf die Meuterer. Es gab eine Anzahl Tote und Verwundete.
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