Also, nu gibt’s erst Mal zur Abwechslung son bißchen Revolution
zum Schluß wird der arme Hund wieder in die Gefängnisse wandern und an die Mauer gestellt werden, genau wie in der Kommune einundsiebzig. Denn das haben die andern immer noch besser gekonnt. Aber wat jeht des mich an?! Ich bin Arzt. Ich verbinde de Weißen wie de Roten. Ich kenne keine Parteien, nur Patienten!!
Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser
Waldemar erwachte sehr spät. Er hatte viel und heftig geträumt. Der Kellner stand da. Er war von großer Jugend und sah wie ein Konfirmand aus. So feierlich in dem schwarzen Anzug, dem Vorhemdchen und dem wässerigen Scheitel. Seine Augen glitzerten, seine Hände fuhren in die Luft, seine Stimme war von Aufregung erfüllt. »Es ist Revolution! Der Kaiser hat abjedankt. Der Kronprinz ooch. Überall hängen schon die roten Fahnen heraus. Und ich habe gleich Ausjang. Es ist Revolution.«
Revolution! Von dem Wort ging eine Bezauberung aus. Waldemar stürzte den gräßlichen, bitteren Kaffee hinunter, zerkaute ein wenig muldrig schmeckendes graues Brot und war voll Eile. Und der junge Mensch lief die Siegesallee hinunter, lief dem Knacken der Maschinengewehre nach, frei von Nervosität und Furcht. Er wollte die kommenden Dinge sehen. Das Volk war auf den Platz gezogen, wo Bismarck, Moltke und der eiserne Hindenburg von der Geschichte des letzten halben Jahrhunderts erzählten. Kam die Menge hierher, diese Geschichte auszulöschen? Das Schießen wurde heftiger. Ab und zu wichen mit lautem Kreischen Frauengruppen zurück. Aber die Lücken, die sie ließen, schlossen sich rasch wieder. Unter dem Knattern von Maschinengewehren, die den Platz überstrichen, drängten sich die Menschen dem Reichstagsgebäude zu. Waldemar kam nahe genug heran, um einzelne Sätze zu hören, die ein Redner stoßweise in die Menge warf.
»Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser, hat der Kaiser gesagt, der als siegreicher Held hier nach dem furchtbaren Krieg durch das Brandenburger Tor einziehen wollte. Und Matrosen sind es gewesen, die von Hamburg aus die Befreiung, die Revolution über Deutschland trugen.« Ein neues Knattern und Krachen von Schüssen ließ die Stimme des Redners zerflattern.
Deutschland muss untergehen!
Die Matrosen lassen sich nicht lumpen. Jahrelange Unterdrükkungen, rücksichtslosester Menschenmord, ein Nebel von Gemeinheit und Lüge, der jedes menschliche Wort im Munde erstickte, werden in einem Anlauf erledigt, und die Masse, seit langer Zeit durch die Entbehrungen aufs äußerste erschüttert, klatscht Beifall und macht Revolution. Das Ding ist zu groß, als daß man es sogleich glauben könnte. Brüder, ist endlich die Stimme der Instinkte erwacht, habt ihr euch endlich auf euern gesunden Haß gegen die Kerle besonnen, die Deutschland repräsentieren, gegen die »Immer feste druff«, die Reuter und Forster, die Kindermörder Belgiens, die U-Bootskommandanten, die ihre Brigantenzüge in gefälligen Ullstein-Bändchen verherrlichen? Ist es eine Revolution der Wahrheit, ein Aufstand des Geistes gegen den zum Himmel stinkenden Lügenberg der vierjährigen Kriegspresse, gegen die Hindenburgs, Ludendorffs, gegen die Aufrufe »An mein Volk«, die Denkmalsnagelungen, gegen die Sieger insgesamt, die Handhaber der Macht, die Unterdrücker von Beruf, die niemals auch nur einen Augenblick Zeit fanden, Geistiges zu werten, Menschliches, und sei es von Ferne, zu verstehen? Ist es ein Aufstand des guten Geschmacks gegen die schimmernde Wehr, die uns mit offizieller Kunst und offiziellerer Religion versah? Es scheint, daß die große Abrechnung gekommen ist. Das ganze Land steht auf. In Bayern wurde der Trottel und Jesuiter, der nach mittelalterlichem System sein Volk in Dunkel und Unwissen halten wollte, vom Thron gejagt. In ganz Deutschland fallen die Dynastien wie Jahrhunderte alte Gebäude, die nur eines Anstoßes bedürfen, um in sich zusammenzukrachen. Und die Matrosen immer vorne weg. Schienen aufgerissen, Bahnhöfe gestürmt, Maschinengewehre gerichtet. Die Matrosen sind die wahren Hüter der Revolution, sie sind die Einzigen, die die vollkommene Nebensächlichkeit des menschlichen Lebens in dieser Angelegenheit erfaßt haben, sie lassen sich von der Macht ihrer Instinkte werfen, sie brüllen Wut. 1916 hat man sie zu maßlosen Zuchthausstrafen verurteilt, als sie sich gegen den Massenmord wehren wollten: sie haben gelernt, Blut spielt keine Rolle. In Köln genügen fünfzig Mann, um die Stadt in Aufruhr zu bringen. – Hannover, die Erzzitadelle der Lutherpfaffen und Dunkelmänner ist schon von ihnen besetzt. Aber Berlin harrt noch der Eroberung. Berlin, wo man den Weltkrieg losrasen ließ, das Hauptnest der unmenschlichsten Banditen und Bluthunde, der Zentralpunkt des Völkerschlachthauses, von wo aus Millionen um Millionen in den Tod gejagt wurden, das »Spreeathen«, in dem die Menschen wie Eulen und die Eulen wie Menschen lebten. – Berlin ist noch nicht frei. Von allen Seiten werden Vorstöße versucht. Kein Zug darf herein, rings um die Hauptstadt sind die Schienen verbarrikadiert; man kann es nicht glauben, daß ein Volk, das immer auf Befehl stramm gestanden hat, gegen seine Herren und Meister zu den Waffen greift. Man denkt noch im letzten Moment, wo im Lande schon über das fernere Schicksal der Nation entschieden ist, sich hier, wo der Unteroffizier seine tollsten Orgien gefeiert hat, einen Altar rein kaiserlicher Anschauung zu bewahren. Noch am Rande des Grabes, bedroht von dem Wutgeschrei der ganzen Welt, haben die Linsingen das Vertrauen, die Welt nochmals von Berlin aus zu unterdrücken. Ludendorff mußte gehen, aber jeder Leutnant macht sich eine Ehre daraus, ein Vertreter dieser Eisenfresser-Weltanschauung, ein Priester der Religion der »Realpolitik« zu sein, auf die man schwört, als ein heiliges Vermächtnis Bismarckischer Generationen. Aber es zeigt sich die Wahrheit, daß gegen eine Idee und wäre es eine falsche, alle Schußwaffen machtlos sind. So sind die Generäle am Ende gezwungen zu kapitulieren, rote Fahnen über der Menge, die Revolution siegt. Nur selten fallen Schüsse, der Reichstag wimmelt von Abenteurern und Stellungsjägern, die mit der Geste lange verkannter Fähigkeiten eine neue Regierung stützen möchten, um möglichst viel für sich dabei zu gewinnen. Der Elan des Volkes erscheint elementar, sodaß alle diejenigen, die den Deutschen nichts zutrauten, am wenigsten ein revolutionäres Gefühl, an ihre Brust schlagen und plötzlich an die Erscheinungen der deutschen Geschichte glauben möchten, die in geistigem Sinne etwas bedeutet haben. Das Bild der Stadt ist für uns Phantasten nicht weniger bunt als Paris zur Zeit seiner klassischen Revolution, und die Autos, die Maschinengewehre, die Bahnhöfe machen das Ganze furchtbarer, unheimlicher, wüster. Die Autos mit Bewaffneten werden zum Charakteristikum: vor dem Schloß stauen sich Menschen und Wagen zu unübersehbarem Knäuel, aus dem die Gracchen und Catilinas, die sich an Laternenpfosten hochziehen, blecherne Stimmen schmettern. Schon sieht man die befreiten Sträflinge und die Kriegsgefangenen, die sich mit deutschen Soldaten photographieren lassen – dann ein Schuß oder das beginnende Gehämmer eines Maschinengewehrs und die Menge ist verschwunden. Es ist keine Hyperbel, wenn man sagt, sie fliehen schneller als der Wind. Das staut, ballt und klebt wieder zusammen, sobald sich der Nachklang der Schüsse verliert.
Schamloser, empörender Verrat!
»Die Folgen für die Marine sind unabsehbar, wenn sie keinen höchsten Kriegsherrn mehr hat.«
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