Am 15. Januar, abends, hatte ich Wachdienst als Befehlsempfänger bei der Garde-Kavallerie-Division im Eden-Hotel. Als ich in der Wachstube auf meinem Lager lag, hörte ich plötzlich ein Geräusch, als wenn sich Menschen ansammeln. Meine Kameraden und ich stürzen vor die Tür, wo wir dann hörten, daß man soeben Karl Liebknecht fortgebracht hätte.
Das Auto fuhr weg. Es fuhr nicht den Weg nach Moabit. Es fuhr am neuen See entlang in der Richtung nach der Charlottenburger Chaussee. Der geplante Mord vollzog sich in der Weise, daß das Automobil an der Stelle, von der ein völlig unbeleuchteter Fußweg abging, hielt, daß Liebknecht in diesen Fußweg hineingeführt und nach etwa zwanzig Schritt aus allernächster Nähe erschossen wurde. Den ersten Schuß gab der Kapitänleutnant von Pflugk-Hartung ab.
Ich hörte ferner noch von den Mannschaften, daß auch Frau Rosa Luxemburg in dem Hotel sein sollte. Deshalb hörte ich bei den wachhabenden Kameraden herum, wo sich denn Frau Rosa Luxemburg befände. Zu dieser Zeit kam ein Offizier herein, welcher zwei Mann der Wache aufforderte, mitzugehen. Ich vermutete sofort, daß diese beiden Leute zur Abführung der Frau Luxemburg verwandt werden sollten, deren Abführung durch den Hinterausgang erfolgen sollte, wie mir vorher die Kameraden sagten. Ich ging nun gleich mit hinaus. Rosa Luxemburg kam die Haupttreppe des Hotels herab und schritt durch den Hauptausgang.
Vor der Tür stand ein Auto und um das Auto herum etwa 15 bis 20 Soldaten.
Dicht hinter ihr ging der Oberleutnant Vogel, der den Transport führen sollte.
ZiviIisten waren nicht zu sehen, da ja sämtliche Zugangsstraßen für den Verkehr gesperrt waren.
Vor der Drehtür standen Runge und Träger. Als sie durch die Drehtür schritt, drehte Runge das Gewehr um und schlug ihr auf den Kopf. Sie sank um. Runge schlug ein zweites Mal auf den Kopf. Von einem dritten Schlag sah er ab, weil er sie für tot hielt. Ob sich im Hotel Zivilpersonen befunden haben, kann ich nicht sagen. Der vor der Ausgangstür des Hotels stehende Posten hob in dem Augenblick, als er Frau Luxemburg herauskommen sah, sein Gewehr und schlug mit dem Gewehrkolben auf sie ein. Frau Luxemburg stürzte nach hinten über, der Posten holte trotzdem zu einem zweiten Schlage aus, den er auch ausführte. Der Posten hatte sich immer noch nicht beruhigt und wollte auch noch ein drittes Mal zuschlagen, kam aber nicht mehr dazu, da man den fast leblosen Körper bereits in das Auto legte. Aus der Menge der Soldaten fiel ein Ruf: »Ihr seid wohl verrückt.« Hierauf erfolgte der Abfahrtsbefehl. Die 15 bis 20 Mann, die das Auto umstanden, setzten sich hauptsächlich aus Offizieren, Aspiranten usw. zusammen. In dem Augenblick, als das Auto sich in Bewegung setzte, sprang ein Soldat, wahrscheinlich ein Chargierter, von hinten auf das Auto und schlug mit einem Gegenstand, anscheinend einem Revolver, auf den leblosen Körper der Frau Luxemburg ein. Wie das Auto 100 Meter entfernt war, fiel ein Schuß. Das Auto verschwand in der Richtung Halensee.
Der Oberleutnant Vogel hat unterwegs der Leblosen alsdann die Pistole gegen die Schläfe gehalten, ihr noch einmal eine Kugel in den Kopf gejagt. Man fuhr mit der Toten zwischen Landwehrkanal und Zoologischem Garten entlang. Auf der Straße war kein Mensch. Rosa Luxemburg hatte, als sie leblos in das Automobil gezerrt wurde, einen Schuh verloren. Dieser Schuh wurde von Soldaten im Edenhotel als Trophäe herumgezeigt.
Ich war 16 Jahre alt und Obersekundaner der Königlich Preußischen Hauptkadettenanstalt
Aufrufe hingen an den Straßenecken. Freiwillige wurden gesucht. Formationen sollten zusammengestellt werden für den Grenzschutz im Osten.
Ich wurde genommen, ich wurde eingekleidet, ich war Soldat.
Wir standen einsatzbereit in langer, grauer Kolonne. Ein Auto kam, ein Herr erhob sich aus den Polstern und musterte uns. Der Herr war groß, vierschrötig, mit eckigen, etwas hochgezogenen Schultern und einer ulkigen kleinen Brille unter dem Schlapphut. Unsere Offiziere grüßten mit betonter Nonchalance und wandten sich mit verzogenen Mundwinkeln um. Einer sagte, das sei der neue Oberbefehlshaber, Noske.
Das Haus, das wir absuchen sollten, war eine Mietskaserne im Norden der Stadt, mit vier Höfen und Hunderten von Bewohnern, hoch, grau, mit Wänden, von denen der Putz abgefallen war, und mit unzähligen, nicht eben blanken Fensterscheiben. Die Straße war noch in der Dunkelheit von beiden Seiten abgeriegelt worden durch je zwei Gruppen, dann war noch ein Bereitschaftszug da, von dem wir jeden Augenblick Verstärkung anfordern konnten.
Der Unteroffizier sagte im Torweg: »Immer zusammenbleiben, niemals einer allein in einen Raum. Alle Schränke und Betten nachsehen. Wände abklopfen. Zwei Mann bleiben immer im Treppenflur. Verschlossene Türen aufbrechen, wenn die Leute nicht freiwillig aufschließen. Die Leute ausfragen, wer im Hause noch im Besitz von Waffen ist. Keine Provokationen! Im Falle der Gefahr: einen Schuß zum Fenster hinaus.«
Wir verteilten uns. Die Gruppe Kleinschroth sollte in den hintersten Hof. Wir stolperten über das buckelige Pflaster und merkten es kaum, wenn wir aus dem Torbogen in einen Hof kamen, denn die finsteren, steilen Schächte ließen das Licht des Morgenhimmels nicht bis zur Erde gelangen. Das Haus war noch ganz still, und wir verhielten an einer kleinen, schmalen Tür. Kleinschroth klopfte an ein Fenster, das Fenster klirrte, eine Frau schaute heraus und fuhr zurück, als sie unsere Stahlhelme sah. »Aufmachen!« sagte Kleinschroth. Und im selben Augenblick war das Haus lebendig.
Es war in den ersten Sekunden lebendig, wie etwa ein Bienenstock, in den eine Hand hineinfuhr. Da war ein bedrohliches Summen, das klein begann, dann plötzlich sich zu schrillem, gefährlichem, bis zur Hysterie gesteigertem Vibrieren schraubte, zu einer bösartigen Bereitschaft in höchstem Diskant. Da trat der Unteroffizier mit dem Stiefel die Tür ein. Das war, als stöhnte das Haus. Fenster klirrten, Türen schlugen hallend zu, auf einmal begann ein Grammophon zu jaulen und hoch oben schrie eine Frau. Sie schrie gellend, daß es in den Höfen hallte, daß es die finstersten Ecken und Winkel wie mit spitzen Nadeln füllte, und die Luft begann zu zittern, diese feuchte, dumpfe Luft voll muffiger, gemischter Gerüche. Das drang uns in die Brustkästen, spritzte unerträgliche Spannung in die Adern, so daß sich das Blut mit kurzen und harten Stößen gegen die Haut drängte. Wir stießen die Helme in die Stirn und rannten in den dunklen Schlund, der sich vor uns geöffnet. »Die Noskes kommen! Die Noskes kommen!« so schrie nun die Frau und ein Fenster schepperte und ein Geschirr krachte herab, barst und schleuderte dunkle Tropfen und Wellen üblen Gestanks.
Wir waren im Hause. Der Treppenflur war so dunkel, daß ich über einen Eimer stolperte. Hoffmann riß eine Tür auf, sprang in das Zimmer, und ich hörte ihn sagen: »Mach keine Dummheiten, Mensch, gib die Knarre her!« Da drinnen saß ein Mann, eben aus dem Bette gefahren, und hatte ein Gewehr in der Hand. Das drehte er einen Augenblick unschlüssig und sah uns an. Er saß auf dem Rande eines wackeligen Bettgestells, das Stroh unter buntgewürfeltem Überzug ragte zerzaust, Strohhalme hingen ihm noch im Haar. Die Stube war klein, ein winziges Fenster, mit halbblinden Scheiben, ließ kaum einiges Licht herein, ein Herd war noch in der Stube, an dem feuchte Wäsche hing, und in der Ecke stand eine noch junge Frau, in einem langen, zerknitterten, an den Säumen schmutzigen Hemd; sie stand wie gepreßt an der Wand und sagte nichts. Über dem Bett aber hing ein gerahmtes Bild, wie es die Reservisten nach Hause nahmen, in Buntdruck ein Soldat, der Kopf eine aufgeklebte Photographie. Der Mann gab zögernd das Gewehr herüber, dann sprang er plötzlich auf, ergriff das Bild und schmiß es uns vor die Füße, daß der Rahmen sprang und das Glas splitterte. Dann hob er beinahe bedächtig den nackten Fuß, als wolle er noch einmal das Bild mit der Ferse zermalmen, hielt aber inne und sagte nur: »Nun aber hinaus!« Wir gingen.
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