1 ...6 7 8 10 11 12 ...35 Fromm spricht von einem weiteren Aspekt der Autorität: »Die Autorität muß nicht unbedingt eine Person oder eine Institution sein, die sagt: ›Du mußt das tun‹ oder ›Das darfst du nicht tun‹. Man könnte diese Form als äußere Autorität bezeichnen, aber sie kann auch als innere Autorität: als Pflicht, Gewissen oder Über-Ich auftreten.« 45Im Grunde – so Fromm – läßt sich das ganze moderne Denken vom Protestantismus bis hin zu Kant als die Ersetzung der äußeren Autorität durch die internalisierte denken 46:
»Durch die politischen Siege des aufsteigenden Bürgertums verlor die äußere Autorität an Ansehen, und das eigene Gewissen nahm den Platz ein, den diese innegehabt hatte, worin viele einen Sieg der Freiheit sehen. Sich (zum mindesten in religiösen Dingen) Anordnungen von außen zu unterwerfen, schien nun eines freien Mannes unwürdig. Dagegen sah man im Sieg über seine natürlichen Neigungen und in der ›Selbstbeherrschung‹, das heißt in der Beherrschung des einen Teils des Menschen – seiner Natur – durch einen anderen Teil seines Wesens – seine Vernunft, seinen Willen oder sein Gewissen – das Wesen der Freiheit. Die Analyse zeigt, daß das Gewissen ein ebenso strenger Zwingherr ist wie äußere Autoritäten. Außerdem zeigt sie, daß die Gewissensinhalte im letzten keine Forderungen des individuellen Selbst sind, sondern gesellschaftliche Forderungen, die die Würde ethischer Normen angenommen haben. Die Herrschaft des Gewissens kann sogar noch strenger sein als die äußeren Autoritäten, weil der Betreffende die Befehle seines Gewissens als ureigenste erfährt. Wie aber kann jemand gegen sich selbst rebellieren?« 47
Fromms rhetorische Frage verdeutlicht die besondere Bedeutung, die dem Begriff »Auflehnung« (und dessen komplementäre Ergänzung »Gehorsam«) im anstehenden Zusammenhang zukommt; nicht von ungefähr bezeichnet er »die Einstellung zur Macht« als das wichtigste Merkmal des autoritären Charakters. 48Wie wir oben darlegten, bewundert der autoritäre Charakter die Macht, welche seine Liebe und seine Bereitschaft zur Unterwerfung entfacht, während Schwäche und Ohnmacht (seien es die eines Menschen oder einer Institution) in ihm Verachtung und die Angriffslust gegen sie erwecken. Es muß jedoch auch hier darauf hingewiesen werden, daß (ähnlich wie die oben beschriebenen Autoritätsbeziehungen) auch der autoritäre Charakter in seiner puren Form selten in der realen Welt vorzufinden ist. Mehr noch: Seine »realen« Erscheinungsformen können trügen; Fromm hebt dies ausdrücklich hervor, indem er auf die Neigung des autoritären Charakters, sich der Autorität zu widersetzen und gegen Einflüsse »von oben« zu wehren, eingeht. Er bemerkt, daß diese Widersetzung zuweilen dermaßen dominant sei, daß sie den äußeren Ausdruck der Unterwerfung bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Dieser Typ des autoritären Charakters widersetzt sich immer gegen irgendeine Autorität, ohne dabei wahrzunehmen, wann er sogar seinen eigenen Interessen zuwider handelt. Andere haben ein gespaltenes Verhältnis zur Autorität; sie können sich gegen eine bestimmte Autorität auflehnen (besonders gegen eine, die sich wider Erwarten als schwach entpuppt hat), um sich einer anderen Autorität zu unterwerfen, welche ihre »masochistischen Sehnsüchte« besser zu erfüllen vermag. Es gibt auch den autoritären Charakter, der seine Auflehnungsneigungen vollkommen verdrängt, so daß diese nur a posteriori in Form von Haßgefühlen gegenüber der Autorität auszumachen sind, besonders dann, wenn deren Macht schwindet und sie zu stürzen droht.
Wenigstens bei der ersten Kategorie – so Fromm – handelt es sich vermeintlich um Menschen mit einem stark ausgeprägten Unabhängigkeitsbedürfnis, die mutig gegen jene Machthaber und Autoritäten ankämpfen, welche der Erfüllung dieses Bedürfnisses im Wege zu sein scheinen. Dieser Schein trügt jedoch, denn der Kampf des autoritären Charakters gegen die Autorität ist seinem Wesen nach im »Trotz« verankert 49; es handelt sich um den Versuch, das Gefühl der Ohnmacht zu überwinden, ohne daß dabei das (bewußte oder unbewußte) Bedürfnis, sich der Autorität zu unterwerfen, tatsächlich bewältigt würde: »Ein autoritärer Mensch ist niemals ein ›Revolutionär‹, lieber würde ich ihn einen ›Rebellen‹ nennen. Viele Menschen und viele politische Bewegungen sind dem oberflächlichen Beobachter ein Rätsel, weil sie anscheinend unerklärlicherweise vom ›Radikalismus‹ zu einem äußerst autoritären Gehabe hinüberwechseln. Psychologisch handelt es sich bei solchen Menschen um typische ›Rebellen‹«. Fromm geht gar in seiner Behauptung einen Schritt weiter:
»Die Einstellung des autoritären Charakters zum Leben, seine gesamte Weltanschauung wird von seinen emotionalen Strebungen bestimmt. Der autoritäre Charakter hat eine Vorliebe für Lebensbedingungen, welche die menschliche Freiheit einschränken, er liebt es, sich dem Schicksal zu unterwerfen. Was er unter ›Schicksal‹ versteht, hängt von seiner gesellschaftlichen Stellung ab. […] Man kann Schicksal philosophisch als ›Naturgesetz‹ oder als ›Los des Menschen‹, religiös als ›Willen des Herrn‹ oder moralisch als ›Pflicht‹ rationalisieren – für den autoritären Charakter ist es stets eine höhere Macht außerhalb des einzelnen Menschen, der sich jeder nur unterwerfen kann. Der autoritäre Charakter verehrt die Vergangenheit. Was einmal war, wird in alle Ewigkeit so bleiben. Sich etwas noch nie Dagewesenes zu wünschen oder darauf hinzuarbeiten, ist Verbrechen oder Wahnsinn. […] Der Mut des autoritären Charakters ist im wesentlichen ein Mut, das zu ertragen, was das Schicksal oder ein persönlicher Repräsentant oder ›Führer‹ für ihn bestimmt hat. […] Nicht das Schicksal zu ändern, sondern sich ihm zu unterwerfen, macht den Heroismus des autoritären Charakters aus.« 50
Es sei wiederum betont: Völlige Unterwerfung, vorübergehende Rebellion gegen die Autorität, ohne sie tatsächlich gänzlich stürzen zu wollen, oder Auflehnung gegen eine Autorität aus Sehnsucht nach einer anderen, gar stärkeren, sind graduell unterschiedliche Erscheinungsformen desselben autoritären Patterns: die Abhängigkeit von der Autorität ist in allen Formen als konstante Determinante erkennbar; in dieser Abhängigkeit ist die emotionale Matrix des autoritären Charakters verkörpert, durch sie wird seinVerhalten und seine Handlungsweise, auch wenn dies zunächst nicht klar ersichtlich zu sein scheint, bestimmt. Mehr noch: Diese Abhängigkeit »neigt« dazu, sich selbst zu erhalten, denn gerade weil sie die »psychologische Sicherheit« des Bekannten und des Gewissen sowie die Abwehr gegenüber der Bedrohung durch das Unbekannte und das ungewisse Neue verkörpert, bedarf es für gewöhnlich mächtiger Anstrengungen, um sich von ihr loszulösen. Die Angst des autoritären Charakters vor der Loslösung von der Autorität ist daher mit seiner Angst vor der Verantwortung, welche es bei der Gestaltung der neuen Lage ohne Schirmherrschaft der Autorität zu übernehmen gilt, aufs engste verbunden. Die Verehrung der Vergangenheit, von der Fromm spricht, ist in diesem Sinne nichts anderes als die Angst vor der Zukunft.
Auf der Grundlage dieses Begriffssystems können wir nun zur Darlegung der Hauptthese dieser Untersuchung übergehen. Wir behaupten, daß die historiographische Rezeption der Französischen Revolution im vormärzlichen Deutschland von dem in breiten Schichten des deutschen Bürgertums und der ihm angehörenden Intelligenz vorwaltenden autoritären Pattern entscheidend geprägt, wenn nicht gar gänzlich bestimmt wurde. Da man den Ablauf der Revolution (zumal in ihren Anfangsphasen) sowohl politisch als auch kollektiv-psychisch als eine Auflehnung gegen die Autorität begreifen kann, meinen wir in diesem Aspekt einen besonders abschreckenden Faktor einer Rezeption der Revolution als Modell einer möglichen Nachahmung in Deutschland erkennen zu dürfen. Unter diesem Gesichtspunkt erhält denn auch die Hinrichtung des französischen Königs eine ganz besondere Bedeutung; sie symbolisiert die gewaltsame Auflehnung gegen die Autorität im allerarchaischsten Sinne: der »Königsmord«, wie ihn viele jener Epoche zu nennen pflegen, wird mit der psychischen Folie des »Urvatermords« 51rezipiert, wenn man will: Der Landes vater wird von den Landes kindern ermordet.
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