Während sie sich setzte, strich Darkness ihr langes goldenes Haar zurück. Sie trug bequeme Alltagskleidung und hatte ihr Großschwert umgeschnallt. Megumin setzte sich neben sie. Eine Augenklappe verdeckte eines der roten Augen der Magierin. »Hey, Leute, seid ihr fertig mit den Vorbereitungen? Bisher haben wir keine Jobs gefunden. Unter den gegebenen Umständen hab ich keinen Grund zur Eile gesehen. Ich dachte, wir könnten warten, bis ihr da seid.« Während ich sprach, sah ich mich in der Gildenhalle um. Trotz der frühen Stunde betranken sich viele Abenteurer nach Herzenslust. Manche Dinge waren wohl einfach zu erwarten. Jeder, der an der Schlacht gegen den General des Dämonenkönigs teilgenommen hatte, hatte eine Belohnung bekommen. Und Abenteurer mit vollen Taschen hatten keinen Grund, sich die Mühe zu machen, gefährliche Wintermonster zu jagen. Dementsprechend konnten wir uns am Schwarzen Brett unsere Quests frei aussuchen. Ich ging hin, um zu sehen, ob es was Gutes gab. »Mal sehen … Ein paar höhere Belohnungen, aber keine Quests, die sich wirklich zu lohnen scheinen …« Schalte ein Rudel Weißwölfe aus, die eine Farm bedrohen. Belohnung: 1 Million Eris. Ein Zerstörerbär ist aus dem Winterschlaf erwacht und lebt in einem Feld. Belohnung fürs Töten: 2 Millionen Eris. Belohnung fürs Verjagen: 500 Tausend Eris. Auf keinen Fall konnten wir ein Rudel Wölfe bewältigen. Sie waren größer als Hunde, schneller, und wenn sie sich alle auf einmal auf uns stürzten, wären wir erledigt. Und der Bär war auch keine Option. Was, wenn er Megumin oder mich angriff? Verdammt, wahrscheinlich wären wir hinüber, wenn er uns nur den Kopf tätschelte. Außerdem wollte ich nichts mit einem Wesen zu tun haben, das Zerstörerbär hieß. »Was ist das? ›Die mobile Festung Destroyer ist in der Gegend. Späher gesucht, um ihre mögliche Route auszukundschaften.‹ Hm? Was ist ein Destroyer?« »Destroyer ist … Destroyer eben«, sagte Darkness. »Du weißt schon, schnell, mobil … eine Festung.« »Sie bewegt sich zack, zack«, fügte Megumin hinzu, »und trampelt alles auf ihrem Weg nieder. Außerdem ist sie seltsam beliebt bei Kindern.« Klar. Ich versteh kein Wort. Ich stellte auf Durchzug und machte mich wieder auf die Suche nach einem Job. Übrig blieb noch … »Hey, wie wär’s damit? Schneegeister jagen? Das klingt nicht sehr bedrohlich.« Jeder Schneegeist, den man einfing, brachte hunderttausend Eris ein. Im Vergleich zu den Wesen, die wir bisher bekämpft hatten, war das keine sehr lukrative Belohnung, aber der Name klang im Gegensatz zu Wölfen und Bären nicht sehr bedrohlich. »Schneegeister sind sehr schwache Monster. Schneefelder sollen voll von ihnen sein, und ich habe gehört, man kann sie leicht mit dem Schwert niederstrecken. Aber …« Bevor Megumin ausreden konnte, riss ich den Zettel vom Brett. Während ich ihn einsteckte, schloss Aqua sich uns an. »Schneegeister jagen? Sie sind für Menschen nicht sehr gefährlich, aber es heißt, wann immer einer stirbt, rückt der Frühling einen halben Tag näher. Wenn ihr auf diese Quest wollt, mach ich mich schnell fertig. Wartet kurz!« Und sie verschwand irgendwohin. Megumin schien keine Einwände gegen die Quest zu haben. Darkness dagegen murmelte vor sich hin: »Schneegeister …?« Ich hatte erwartet, dass unsere Hardcore-Masochistin protestieren würde. Die Paladin wollte sich immer mit mächtigen Monstern messen. Doch aus irgendeinem Grund schien sie fast glücklich zu sein. Während wir warteten, machte ich mir Sorgen um Darkness’ Stimmung. Sobald Aqua zurück war, brachen wir allerdings trotzdem auf. 2 Auf einem Feld außerhalb der Stadt. Ich war ziemlich sicher, dass es in der Stadt noch nirgendwo geschneit hatte, doch hier – und nur hier – war alles weiß überzuckert. Hier und da schwebten weiche weiße Wattebällchen von der Größe meiner Faust in der Luft – das mussten die Schneegeister sein. Auf jeden Fall sahen sie nicht gefährlich aus. Warum also waren sie hunderttausend das Stück wert? Es gab diese Legende, dass der Frühling ein paar Stunden früher kam, wann immer eine dieser Kreaturen starb. Vielleicht hatten sich ein paar Leute, die den Frühlingsanfang nicht erwarten konnten, zusammengetan, um diese großzügige Belohnung auszusetzen. Niemand hatte schließlich gesagt, dass das Monster mächtig sein musste, nur weil die Quest eine üppige Belohnung versprach. Angenommen, man hatte ein mittelstarkes Monster, das Felder aufwühlte, aber keine Gefahr für Menschen darstellte, und ein schwaches, das angriffslustig war und aktiv Leute angriff. Natürlich würde das Kopfgeld für das schwache, aber aggressive höher sein. Ja, die Summe, die auf die Geister ausgeschrieben war, machte mir Sorgen, aber etwas anderes beschäftigte mich noch mehr. »Was soll eigentlich dieses dämliche Outfit?« Es war tiefster Winter, und Aqua war mit einem Schmetterlingsnetz und ein paar kleinen Flaschen ausgerüstet wie ein dummes Kind, das Käfer fangen wollte. Aqua warf mir einen Blick zu, mit dem man nur vollkommene Idioten bedenken würde. Diese kleine …! »Wir fangen ein paar Schneegeister und sperren sie in diese Flaschen. Dann stellen wir die Flaschen in die Kiste mit unseren Getränken. So haben wir eisgekühlte Neroid, wann immer wir wollen. Mit anderen Worten: Ich habe gerade den Kühlschrank erfunden! Was denkst du? Ziemlich clever, oder?« Ich ahnte schon, dass das nach hinten losgehen würde. Aber es war ihre Idee, und sie konnte machen, was sie wollte. Außerdem … »Hey … Wo ist deine Rüstung?« »In der Werkstatt.« Als sei Aqua allein nicht schlimm genug, war Darkness, unsere Ein-Frau-Verteidigung, immer noch in ihrer Alltagskleidung und trug nur ihr Schwert an der Hüfte. »Ja, der General des Dämonenkönigs hat deiner Rüstung ganz schön zugesetzt, was? Aber bist du sicher, dass dir so nichts passiert? Na ja, ich schätze, die Schneegeister neigen ohnehin nicht dazu, anzugreifen.« »Das ist kein Problem. Ein bisschen kühl vielleicht, aber ich sehe es einfach als Test meiner Widerstandsfähigkeit.« Nur in ihrem engen schwarzen Rock und dem schwarzen Shirt stand Darkness bibbernd da und wirkte, als müsste ihr ziemlich kalt sein. Aber vielleicht gehörte die Perverse auch einfach zu den Leuten, denen immer warm war. Möglicherweise brachte das auch ihr Hirn zum Schmelzen. Wir sammelten uns und begannen mit der Jagd. »Megumin, Darkness! Schnappt euch den, der da lang ist! Halt still, verdammt!« Die Schneegeister hatten träge in der Luft geschwebt, solange wir uns von ihnen ferngehalten hatten, doch sobald wir zum Angriff übergingen, schossen sie davon. Es war schwer, einen Treffer zu landen. Aber, na ja, sie waren je hunderttausend wert. So einfach konnte es also nicht sein. Ich erwischte meinen dritten oder vierten Geist, dann atmete ich durch. »Ich hab meinen vierten gefangen! Sieh dir das an, Kazuma! So viele!« Als ich mich auf Aquas aufgeregten Ruf hin umdrehte, stopfte sie gerade einen gefangenen Schneegeist in eine Flasche. Vielleicht hätte ich statt meinem Schwert doch ein Netz mitbringen sollen. Wenn wir auf dem Feld nicht genug Geister erledigen konnten, konnten wir immer noch die in Aquas Gläsern plattmachen. »Kazuma. Darkness und ich jagen die Geister durch die Gegend, aber sie sind zu flink und schwer zu treffen. Kann ich das Feld bitte einfach mit ›Explosion‹ überziehen?«, fragte Megumin atemlos. Nachdem sie und Darkness ihn kreuz und quer über die Ebene gejagt hatten, war es ihr endlich gelungen, einem Geist eins mit ihrem Stab überzuziehen. Ich hatte Sorge gehabt, dass wir den Wölfen oder dem Bären aus den anderen Quests begegnen könnten, aber mein »Gegner erspüren«-Skill war ständig aktiv, und wenn ich etwas spürte, konnten wir sofort weglaufen. »Gut. Dann mach, Megumin. Säubern wir dieses Feld.« Megumin sah mich aufgeregt an und leitete ihren Zauberspruch ein. »Explosion!« Megumins ultimativer Zauber, den sie nur einmal pro Tag einsetzen konnte, hüllte das Feld ein. Die Druckwelle der tosenden Detonation erschütterte die kalte, trockene Luft, und in dem Krater, der sich in der Mitte des Felds auftat, konnten wir die blanke Erde sehen. Megumin, die all ihre Magie aufgebraucht hatte, brach zusammen. Dennoch schaffte sie es, uns stolz ihre Abenteurerkarte zu zeigen. »Acht! Ich hab acht erledigt und aufgelevelt!« Hey, nicht schlecht. Es wäre allerdings beeindruckender gewesen, wenn sie nicht mit dem Gesicht im Schnee gelegen hätte. Das machte drei für mich und neun für Megumin. Insgesamt hatten wir bisher also zwölf ausgeschaltet. Zusammen mit denen, die Aqua gefangen hatte, hatten wir sechzehn – mit anderen Worten, 1,6 Millionen Eris. Das bedeutete vierhunderttausend pro Kopf. Und es hatte nicht mal eine Stunde gedauert. Das war also die berüchtigte Winterjagd? Warum befasste sich niemand sonst mit diesen schwachen und doch so profitablen Monstern? Die Antwort auf meine Frage folgte auf dem Fuße … »Ah, da ist er ja!« Nach einem kurzen Blick ging Darkness mit gezücktem Schwert in Position. Sie grinste zufrieden. Es brach so schnell über uns herein, dass mein »Gegner erspähen«-Skill mich nicht rechtzeitig warnen konnte, um zu fliehen. Megumin, die noch vor einer Sekunde vor Stolz gestrahlt hatte, lag jetzt ganz still auf dem Boden und stellte sich tot. »Kazuma, ich kann dir sagen, warum Abenteurer keine Quests im Winter annehmen.« Aqua wich zurück, ohne den Blick von dem Ding zu nehmen. Das Wesen, das unser aller Aufmerksamkeit gefesselt hatte, glitt einen Schritt vor. »Du hast in Japan gelebt. Da müsstest du zumindest mal seinen Namen im Wetterbericht zu dieser Jahreszeit gehört haben.« Sein gesamter Körper war in eine weiße Rüstung gekleidet, und es verströmte einen unbändigen Drang, uns zu vernichten. Ja, ich war Japaner. Ich wusste auf den ersten Blick, was das war, selbst wenn Aqua nichts gesagt hätte. Sobald ich diese schreckliche Figur gesehen hatte, brauchte ich keine Erklärung mehr von ihr. Trotzdem wartete ich ab. »Der Herr der Schneegeister, von dem die Legenden des Winters erzählen …« Er trug einen weißen Samuraihelm und einen äußerst fein gearbeiteten Waffenrock. Eisnebel stieg von der Klinge in den Händen des weiß maskierten Schwertkämpfers auf. Mit ernstem Gesicht murmelte Aqua: »Der Wintergeneral * ist hier.«
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