Geführte Meditation
Innehalten für Präsenz
Ein natürlicher Zugang zur Präsenz geht durch den Körper. Die folgende kurze Meditation können Sie durchführen, wann immer Sie ein wenig Ruhe und Zeit dafür haben.
Setzen Sie sich ruhig und bequem hin und schließen Sie die Augen. Beginnen Sie mit drei bewussten Atemzügen: Atmen Sie lang und tief ein, füllen Sie die Lungen, und dann atmen Sie langsam aus. Spüren Sie beim Ausatmen, wie sich Spannungen in Körper und Geist lösen.
Laden Sie Ihr Gewahrsein ein, Ihren ganzen Körper zu erfüllen. Können Sie sich Ihre physische Form als ein Feld von Empfindungen vorstellen? Können Sie die Bewegungen und die Qualitäten dieser Empfindungen spüren – sei es ein Kribbeln, ein Beben, Wärme oder Kühle, Härte oder Weichheit, Festhalten oder Fließen? Nehmen Sie sich eine Weile Zeit, um mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit bei diesem Tanz der Empfindungen zu verweilen.
Öffnen Sie jetzt Ihr Gewahrsein auch für den Raum um sich herum. Können Sie sich vorstellen, die Symphonie der Sie umgebenden Klänge aufzunehmen, sie durch sich hindurchströmen zu lassen? Können Sie nicht nur mit den Ohren, sondern mit Ihrem ganzen Gewahrsein auf das sich ständig verändernde Spiel der Geräusche lauschen? Nehmen Sie sich etwas Zeit, um sich mit offener Aufmerksamkeit den Geräuschen um Sie herum zuzuwenden.
Lassen Sie mit weiterhin geschlossenen Augen Ihr Gewahrsein das Spiel der Bilder und Lichter aufnehmen, das sich hinter Ihren Augenlidern abspielt. Vielleicht bemerken Sie ein Flimmern von Licht und Dunkel, oder es zeigen sich Ihnen schattenhafte Umrisse oder Lichtformen. Nehmen Sie sich Zeit, bewusst zu sehen.
Spüren Sie Ihren Atem und spüren Sie den Raum um sich herum. Nehmen Sie die Gerüche auf, die in der Luft liegen. Entdecken Sie, wie es ist, zu riechen, wie das Umfeld duftet, in dem Sie sich gerade befinden.
Lassen Sie jetzt alle Ihre Sinne weit offen sein. Ihr Körper und Ihr Geist sind entspannt und empfänglich. Lassen Sie das Leben frei durch sich hindurchströmen. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie möchten, um Ihre Erfahrung von Augenblick zu Augenblick bewusst hörend und fühlend wahrzunehmen. Bemerken Sie den sich ständig verändernden Fluss der Empfindungen und Klänge, bemerken Sie die Lebendigkeit darin und die zugrunde liegende Präsenz. Genießen Sie diesen wachen, inneren Zustand der Präsenz. Vergegenwärtigen Sie sich zum Abschluss die Möglichkeit, dieses wache, offene Gewahrsein in das mitzunehmen, was Sie als Nächstes tun.
Halten Sie im Verlauf Ihres Tages mehrmals inne und erwecken Sie für einen kurzen Moment Ihre Sinne, indem Sie sich vor allem Ihrer Körperempfindungen bewusst werden und auf die Geräusche lauschen. Mit etwas Übung werden Sie sich in der natürlichen Präsenz immer mehr zu Hause fühlen.
2
Das Heim verlassen – Die Trance des kleinen Selbst
Was im Sein erscheint,
verliert sich im Sein, vergisst vor Trunkenheit
den Weg nach Hause.
Rumi
Wir werden mit einem wundervollen offenen Geist geboren, voller Lebendigkeit, Unbefangenheit und Widerstandsfähigkeit. Doch wir bringen diesen Schatz in eine schwierige Welt.
Ich stelle mir vor, wie wir von dem Augenblick der Geburt an anfangen, eine Art Raumanzug zu entwickeln, um uns in diesem merkwürdigen neuen Umfeld zurechtzufinden. Dieser Raumanzug soll uns vor Gewalt und Habgier schützen und uns helfen, die Zuwendung unserer Betreuungspersonen zu gewinnen, die mehr oder weniger in ihrer eigenen Selbstbezogenheit und Unsicherheit verstrickt sind. Wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, erzeugt unser Raumanzug die besten abwehrenden und proaktiven Strategien, die ihm möglich sind. Dazu gehören Anspannungen im Körper und Emotionen wie Ärger, Angst und Scham, mentale Aktivitäten wie Urteilen, Sich-Festbeißen und Fantasieren und eine große Bandbreite von Verhaltensweisen, um an das zu kommen, was einem fehlt: Sicherheit, Nahrung, Sex, Liebe.
Unser Raumanzug dient wesentlich unserem Überleben, und manche seiner Strategien helfen uns durchaus, produktive, stabile und verantwortungsbewusste Erwachsene zu werden. Doch derselbe Raumanzug, der uns schützt, kann uns auch daran hindern, uns spontan, fröhlich und frei durch unser Leben zu bewegen. Dann wird unser Raumanzug zum Gefängnis. Unser Selbstverständnis wird durch seine Stärken und Schwächen geprägt. Wir identifizieren uns mit unseren Fähigkeiten, Probleme zu lösen oder zu kommunizieren, identifizieren uns mit unseren Urteilen und Zwangsvorstellungen, identifizieren uns mit unserer Angst und unserem Ärger. »Identifiziert« bedeutet, wir meinen, wir sind der Raumanzug! Es scheint uns so, als seien wir tatsächlich jenes Selbst, das ängstlich und wütend ist, das urteilt, von anderen bewundert wird, etwas Besonderes ist oder unvollkommen oder allein.
Wenn wir mit dem Raumanzug verschmelzen, fangen wir an, in einem Zustand zu leben, den ich »Trance« nenne. Unser Selbstverständnis wird dann extrem eng. Wir haben vergessen, wer durch die Maske des Raumanzugs schaut; wir haben unser weites Herz und unser Gewahrsein vergessen. Wir haben die mysteriöse Präsenz vergessen, die immer da ist, jenseits aller flüchtigen Emotionen, Gedanken und Handlungen.
In Trance zu leben, ist, als wäre man in einem Traum gefangen, abgeschnitten von der eigenen unmittelbaren Erfahrung des Augenblicks, getrennt von dieser lebendigen Welt. Wir haben unser Zuhause verlassen – unser Gewahrsein und unsere Lebendigkeit – und uns unwissentlich auf ein verzerrtes Fragment der Wirklichkeit reduziert.
Wir haben alle unsere eigene Art, von zu Hause fortzugehen, und unsere eigenen Strategien, mit dem Schmerz unerfüllter Bedürfnisse umzugehen. Doch das Aufwachen an sich ist ein universeller Prozess. Wir merken – langsam oder schnell –, in welch reduzierter und häufig schmerzhafter Wirklichkeit wir gelebt haben. Wir wollen uns wieder mit unserer Unschuld und grundlegenden Güte verbinden. Wir möchten unser wahres Sein erkennen. Unser tiefes Sehnen drängt uns, einen Weg zu wahrer Zuflucht und Geborgenheit zu finden.
Dieses Erwachen begann für mich etwa acht Jahre vor meinem ersten buddhistischen Retreat. Wie Sie bereits aus dem ersten Kapitel wissen, geschah es nicht einfach alles auf einmal. Doch wenn die Trance sich auch nur für einen kurzen Moment auflöst, können wir das Potenzial für Freiheit und den Weg aus dem Leiden heraus erkennen.
Das Perfektions-Projekt
Solange ich mich erinnern kann, habe ich mich danach gesehnt, die Wahrheit zu erkennen und bewusst und gütig zu sein. Als ich während des College Yoga kennenlernte, war ich überzeugt, eine Abkürzung gefunden zu haben, der Mensch zu werden, der ich sein wollte. Direkt nach meinem Abschluss zog ich in der Nähe von Boston in einen Ashram, eine Gemeinschaft, die dem Weg des Yoga verpflichtet war. Ich war überzeugt, dass dieser Weg mich mit entsprechendem Einsatz zu spiritueller Freiheit führen würde.
Unsere Gemeinschaft folgte strengen Regeln. Wir standen vor Sonnenaufgang auf, nahmen eine kalte Dusche und verbrachten dann mehrere Stunden mit Yoga, Meditation, Singen und Beten. Wir arbeiteten auch hart und viel an dem Betreiben eines Yoga-Zentrums, eines vegetarischen Restaurants und eines Ladens am Harvard Square. Von hingebungsvollem Eifer erfüllt, stand ich oft sogar noch früher auf als meine Mit-Yogis oder setzte mich spätabends noch hin, um meine spirituelle Praxis zu vertiefen.
Mein aufrichtiges spirituelles Streben hatte sich mit einer Überzeugung verknüpft, die in dieser und vielen ähnlichen spirituellen und religiösen Gemeinschaften verbreitet ist: Um glücklich und frei zu sein, müssen wir uns läutern, indem wir unsere Egos von aller Selbstsucht, Aggression und Unsicherheit befreien. Die durch sportliche Yoga-Übungen ausgelösten Hochgefühle und die Verzückung, die ich in Meditationen erlebte, waren mir Zeichen meines Fortschritts. Doch zu anderen Zeiten war ich mir meiner »Unreinheiten« schmerzlich bewusst, was mich motivierte, mich mit noch mehr Eifer in meine spirituellen Praktiken zu vertiefen.
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