Dieses Buch enthält eine Auswahl aus den Texten von Johanna Maria Ott. Es sind Gedichte, literarische Statements, Kurzgeschichten, Fabeln, Parabeln. Mal ernst und besinnlich, mal witzig und frech. Dazu kommen zwei Interviews, die Einblick in das Leben und die Welt der Autorin geben.
Niki Graça wurde in Berlin geboren, studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Schauspiel und lebte mehrere Jahre in Portugal. Als Literaturübersetzerin übersetzt sie aus dem Portugiesischen und Jiddischen, ausserdem arbeitet sie als freie Lektorin.
Du stirbst –
ich wache
im Auge der Welt.
Dein Engel ist bei dir
auf dem Weg des Todes
und begleitet dich
zur Himmelspforte.
Ich sehe dich
im Auge der Welt.
// 1994, mit 11 Jahren
Der See war klar, man konnte den Mond sehen, Frauen und Mädchen schwammen im sommerlichen Wasser. Die Männer und die Jungen sahen ihre verschwommenen Bewegungen.
Da kam ein wunderschönes Mädchen aus dem Wasser. Johanna war ihr Name, und sie legte sich neben einen Jungen, und er streichelte sie am Rücken und am Kopf, und sie schmolz.
// 1999
2015 Literaturpreis Ohrenschmaus, Wien
Ein Ignorant hatte einen hohlen Kopf. Der hohle Kopf gefiel ihm, denn er war zu hohl zum Denken. Er dachte jeden Tag an gar nichts, und er tat auch überhaupt nichts. Wenn die Leute versuchten, mit ihm zu sprechen, schaute er meistens in die Luft.
Er kümmerte sich um nichts, und seine Gleichgültigkeit liess die Menschen um ihn herum verzweifeln. Doch langweilig wurde es ihm nie. Und so genoss er seine selbst erschaffene Ruhe.
// 2014
Eines Tages wachte sie auf, und alles war weg. Sie konnte sich an nichts erinnern, und kein Mensch war da. Sie war allein. Nur der Kater lag wie immer im halb offenen Kleiderschrank. Das konnte sie sehen, wenn sie den Kopf nach rechts drehte.
Sonst konnte sie nichts machen, hilflos lag sie im Bett, alleine bewegen konnte sie sich nicht, hatte das noch nie gekonnt. Ohne jemanden, der ihr half, und zwar bei wirklich allem, konnte sie nicht leben. Sie wartete, doch es kam niemand. Sie rief, mehrmals, aber niemand antwortete.
Da öffnete sich plötzlich die Tür, und ein Mann kam herein, den sie noch nie gesehen hatte: Er hatte lange fettige Haare und stank fürchterlich. Schwach konnte sie sich jetzt daran erinnern, dass ihr Assistent doch vor kurzem noch bei ihr gewesen war.
Sie fragte: »Wer bist du? Wo ist mein Assistent?« Der Kerl sah sie mit blutunterlaufenen Augen an und schrie: »Ich bin dein Assistent! Einen anderen gibt es nicht.«
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte mit dünner Stimme: »Kannst du mir bitte das Telefon geben?« Zu ihrer Überraschung holte er das Telefon, er wählte sogar die Nummer ihres Assistenten und hielt ihr dann das Telefon ans Ohr. Sie hörte eine mechanische Stimme, die ständig wiederholte: »Kein Anschluss unter dieser Nummer.« Da begann sie zu weinen. Der Mann lachte nur, leise und unheimlich. Es war wie in einem Albtraum.
Doch es kam noch schlimmer, denn der Kerl kam, um sie zu waschen. Entsetzt schrie sie: »Wasch dich lieber selber! Du stinkst fürchterlich.« Da ging er wortlos aus dem Zimmer, in die Küche, und sie hörte mit Entsetzen, wie er die Schublade mit den Messern öffnete und eines zu wetzen begann.
Sie zitterte am ganzen Körper, wie ein Kaninchen. In diesem Augenblick hörte sie, wie sich die Haustür öffnete und die vertraute Stimme ihres Assistenten ertönte. Geschrei und der Lärm eines Kampfes waren zu hören, dann war es plötzlich still. Sie lag unbeweglich da, in Tränen aufgelöst, und wagte nicht zu atmen.
Gleich darauf kam jemand ins Zimmer. Es war ihr Assistent. Ganz fest nahm er sie in den Arm und sagte sanft: »Jetzt ist es vorbei, ich bin ja da.« Als sie sich beruhigt hatte, fragte sie: »Wer war dieser Mann?«
Er antwortete: »Das war mein anderes Ich.«
»Du meinst deine dunkle Seite, die ich immer wieder zu spüren bekomme?«, fragte sie weiter.
»Ja«, sagte er leise und unheimlich.
// 2015
Das Machmännchen musste immer machen, doch eines Tages war Schluss. Es schrie so lange herum, bis keiner sich mehr in seine Nähe traute. Seine Wut wurde immer grösser, und eines Tages knallte es mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Ich bin hier immer noch der Chef!« Dann rannte es davon und kam nie wieder.
Das Machmännchen machte sich ein wunderschönes Leben in der Türkei. Alles war gut, niemand sagte ihm mehr, was es machen sollte und was nicht. Das Machmännchen hatte nun alles, was es begehrte, und lebte zufrieden und glücklich bis an sein Lebensende − als Lachmännchen.
// 2008
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