Wir alle wissen jetzt, wie praktisch-richtig das poetisch Geschaute jener nächtlichen Stunden gewesen ist. Das glänzendste Zeugnis aber stellt unserem Knesebeck Napoleon selber aus. Dieser hatte den Knesebeckschen Plan gekannt, aber ignoriert. Im Frühjahr 1813 fand folgende Unterhaltung zwischen ihm und dem bis dahin am preußischen Hofe beglaubigten Grafen von St. Marsan statt. Napoleon: »Erinnern Sie sich noch eines Berichtes, den Sie mir im Jahre 1812 von einem gewissen Herrn von Knesebeck geschickt haben?« St. Marsan: »Ja, Ew. Majestät.« Napoleon: »Glauben Sie, daß er im gegenwärtigen Kriege mitfechten wird?« St. Marsan: »Allerdings glaub ich das.« Napoleon: »Der Mensch hat richtig vorausgesehen, und man darf ihn nicht aus dem Auge verlieren.«
Das war im Frühjahr 1813. Andere Zeiten kamen, der sechsundvierzigjährige Oberst von dem Knesebeck war ein Siebziger geworden, und statt der Karte von Rußland und vorausberechneter Schlachten und Märsche lagen jetzt die Memoiren derer auf dem Tisch, die damals mit ihm und gegen ihn die Schlachten jener Zeit geschlagen hatten. Nach einer Epoche reichen und tatkräftigen Lebens war auch für ihn die Zeit philosophischer Betrachtung gekommen. Die Lieutenantstage von Halberstadt wurden ihm wieder teuer, das Bild des alten Gleim trat wieder freundlich vor ihn hin, und der Mann, der zeitlebens wie ein Poet gedacht und gefühlt hatte, fing als Greis an, auch jenem letzten zuzustreben, das den Dichter macht – der Form . Ähnlich wie Wilhelm von Humboldt in Tegel, saß der alte Knesebeck auf seinem väterlichen Karwe und beschloß ein bedeutendes und ereignisreiches Leben mit dem Konzipieren und Niederschreiben von Sinn- und Lehrgedichten, von Episteln und Epigrammen.
Sprecht mir doch nur immer nicht:
»Für die Nachwelt mußt du schreiben«;
Nein, das laß ich weislich bleiben,
Denn es lohnt der Mühe nicht!
Was die alte Klatsche spricht,
Die ihr tituliert Geschichte ,
Bleibt, besehn beim rechten Lichte,
Doch nur Fabel und Gedicht,
Höchstens ein Parteigericht.
Das klingt hart, aber wenn irgendwer kompetent war, so war er es. Es nimmt der Wahrheit seines Ausspruches nichts, daß eine leise Bitterkeit seine Sentenzen gelegentlich färbte:
Wie du gelebt so geh zu Grabe,
Still, prunklos, wenig nur gekannt.
Was du für Welt, für Vaterland,
Für andere hier getan, sei stumme Gabe –
Des Gebers Name werde nie genannt.
So schrieb er am Abend seines Lebens.
Bis tief in die Nacht hinein saß er an seinem Pult. Die Schwarze Frau kam und ging, aber das Knistern ihrer Seide störte ihn nicht; er, der dem großen Gespenst des Jahrhunderts mit siegreichem Gedanken entgegengetreten war, war schußfest gegen die Geister.
Ein Jahr vor seinem Tode ward er Feldmarschall. Drei Jahre früher war ihm ein erster Enkel geboren worden, zu dessen Taufe der König versprochen hatte, nach Karwe zu kommen. Er kam nicht , aber statt seiner traf ein Entschuldigungsbrief ein, dessen Namenszug mit Hülfe eines angehängten Schnörkels in ein Wickelkind auslief. Vor diesem Wickelkind, das natürlich den kleinen Knesebeck repräsentieren sollte, stand der König selbst (ein wohlgelungenes Portrait von königlicher Hand) und machte dem Täufling seine Verbeugung. Darunter die Worte: »Vivat et crescat gens Knesebeckiana in aeternum.«
Wir verließen das Empfangszimmer und traten wieder in den Park. An einer der schönsten Stellen desselben hatte uns die Gärtnersfrau ein Nachmittagsmahl serviert: saure Milch mit einer überaus einladenden, chamoisfarbenen Sahnenschicht. Um uns her standen einundzwanzig Edeltannen und neigten sich gravitätisch in dem Winde, der ging. Diese einundzwanzig Tannen pflanzte der alte Feldmarschall im Sommer 1821, als die Nachricht nach Karwe kam, daß Napoleon am 5. Mai auf St. Helena gestorben sei. Auch dies Datum schuf noch eine letzte Berührung zwischen den alten Gegnern; der 5. Mai war der Geburtstag Knesebecks, wie er der Todestag Napoleons war.
Unter den Papieren des Feldmarschalls aber fanden sich bei seinem im Januar 1848 erfolgten Hinscheiden nachstehende Zeilen, die der Ausdruck seines Lebens und vielleicht ein treffendes Motto märkischen Adels sind:
Mit dem Schwerte sei dem Feind gewehrt,
Mit dem Pflug der Erde Frucht gemehrt;
Frei im Walde grüne seine Lust,
Schlichte Ehre wohn in treuer Brust.
Das Geschwätz der Städte soll er fliehn,
Ohne Not von seinem Herd nicht ziehn,
So gedeiht sein wachsendes Geschlecht,
Das ist Adels Sitt' und altes Recht.
II
Eine Revue vom alten Fritz
Es war im Frühjahr 1783, so erzählt der Feldmarschall von dem Knesebeck in seinen Memoiren, und die Truppen, die zur magdeburgischen Inspektion unter General von Saldern gehörten, hatten unweit der Dörfer Pietzpuhl und Körbelitz, auf der sogenannten Pietzpuhler Heide, anderthalb Meilen von Magdeburg, ein Lager bezogen. Es war gegen Mittag, und der König konnte jeden Augenblick eintreffen, da er sehr früh am Morgen von Sanssouci aufzubrechen pflegte. Bekanntlich fuhr er mit Bauerpferde-Relais. Die Reise ging trotz des greulichen Sandes fortwährend in einer Carrière; was fiel, fiel und wurde nur mäßig vergütigt. Sein Quartier nahm er in einem kleinen Häuschen am Nordwestende des Dorfes Körbelitz.
Sobald er ankam, dies wiederholte sich alljährlich, stieg er zu Pferde und ritt gleich zur Abnahme der Spezialrevue zu den Truppen. Die Regimenter, nach der Anciennetät gelagert, standen dann jedes in folgender Ordnung aufmarschiert. Vor dem ersten Zuge des ersten Bataillons zuerst der Kommandeur des Regiments, zu Fuß mit Esponton (nur die Generale waren zu Pferde), hinter dem Kommandeur die Junker des Regiments, die dem Könige noch nicht vorgestellt waren, hinter den Junkern die Rekruten des Jahres nach der Größe in drei Gliedern aufmarschiert. So erwarteten wir ihn jetzt .
Der schönste Frühlingstag glänzte zu unsern Häupten, die weite Heide war mit Zuschauern zu Wagen und zu Pferde überdeckt, und der Kräuterduft des Thymian würzte die Luft. Da sah man eine dicke Staubwolke in der Ferne, die sich uns nahte, und stiller und stiller ward es – je näher sie kam. Es war Friedrichs Wagen; bei Körbelitz angelangt, hielt er. Der König stieg zu Pferde.
Es war ein ungeheuer großer Schimmel, ein Engländer, den er dies Jahr noch ritt. Im nächsten Jahre, oder vielleicht auch erst 1785, kam er auf einem kleinen Litauer-Schimmel, Langschwanz. Sowie er zu Pferde war, setzte er es gleich in Galopp, so daß bei dem weit ausgreifenden großen Tiere das ganze Gefolge hinter ihm Carrière ritt.
So kam der siebzigjährige königliche Greis. Ungefähr dreißig Schritt vor der Linie parierte er zum Schritt, nahm das Augenglas, sah die Linie von weitem hinunter, ob alles gut gerichtet war, und nun hielt er dicht vor uns Junkern, ein kleiner alter Mann mit ungeheuren großen Augen und durchdringendem Blicke.
Er sah uns an, wandte sich zu Saldern, der unweit von ihm zu Pferde war, und sagte: »Saldern, was sollen die vielen Boucles da? eine Boucle ist genug!« – (Es waren ihm nämlich unsere vier mit Talg und Puder eingespritzten steifen Haarlocken aufgefallen, die wir an jeder Seite des Vorderkopfes trugen. Eine große Haarlocke zur Seite war damals gerade Mode, und jeder von uns dachte daher still bei sich: Das ist unser Mann! Von diesem Augenblick an verschwanden denn auch diese vier Perücken-Plagelocken, und eine trat an deren Stelle.)
Den Krückstock auf den rechten Fuß im Steigbügel gestemmt, fragte er nun die Fahnenjunker, und es kam zu folgendem Gespräch, mit jedem der Reihe nach.
»Wie heißt Er?« – »Hilitan, Ew. Majestät.« – »Wie heißt Er?«, und ohne die Antwort abzuwarten, mit immer steigendem ungnädigen Ton ihm folgende Namen gebend: »Kilian, Pelikan, Er ist nicht von Adel?«, hob er schon den Stock, um ihn auszustoßen, als dieser ihm zurief: »Ew. Majestät haben mich von den Cadets hergeschickt; ich bin ein Westpreuße.« – »So!« – Und sei es nun, daß er sich kein Dementi geben wollte, da er ihm dort gutgetan hatte, genug, der Stock ward wieder auf die Steigbügel gesetzt. Hilitan aber ward von uns jungen Leuten von jetzt an nie mehr anders als Pelikan oder Kilian gerufen und behielt diese Namen, womit ihn Friedrich getauft hatte. – Er nahm übrigens später ein schlechtes Ende und verscholl.
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