«Papa, ich weiss, was dir die Firma bedeutet, ich bin damit aufgewachsen und habe mich in den letzten Jahren als Mitglied der Geschäftsleitung intensiv damit beschäftigt. Aber ich sehe DBD in der Zukunft nicht als Einzelkämpferin gegen die grossen Player, auch wenn wir erfolgreich sind. Die Zeiten werden sich verändern, ‹Handel ist Wandel›, das sagst du selber. Ausländische Discounter werden sich in der Schweiz einnisten, heute noch selbständige Firmen ‹unfriendly› übernommen. Wir brauchen einen Partner. Einen starken Partner, auf den wir uns verlassen können und der uns Selbständigkeit garantiert. Alles andere interessiert mich nicht.»
«Jetzt machst du aber auf Wunschkonzert. Wer wird sich denn um Himmelswillen auf deine Vorgaben einlassen?»
«Wir sind wir. DBD ist DBD. Du hast ein erfolgreiches und einzigartiges Geschäftsmodell aufgebaut, das an Sturheit grenzt. Papa, für einen grossen Partner sind wir ein Juwel, vielleicht der noch fehlende Mosaikstein in seinem Firmenbild. Es gibt genügend Beispiele, dass grosse Unternehmen ihre erfolgreichen Töchter autonom weiterarbeiten lassen, sie am Markt jedoch zusätzlich durch Synergien stärken, ohne ständig auf sie einzuschwatzen. So etwas stelle ich mir vor. Etwas anderes kommt für mich nicht in Frage.»
«Was sagt die Geschäftsleitung zu deinen Plänen?»
«Papa! Jetzt enttäuscht du mich aber. Ich bin doch kein Plappermaul, nicht einmal Charles oder Antoinette wissen von dieser Idee, ich bitte dich…»
«Denkst du an ein Schweizer Unternehmen, willst du DBD gar verkaufen?»
«Der Reihe nach, Papa. Wir haben Erfolg, sind Trendsetterin in vielen Bereichen, dank unseren straffen Sortimenten und unserer Kostenstruktur. Nein, ein Schweizer Unternehmen kommt für mich nicht in Frage, ich mag mich nicht mit Migros & Co. herumschlagen. Aber du stellst Fragen, die ich noch nicht beantworten kann, bis jetzt war das ja kein Thema.»
Der Erfolg von DBD blieb auch im Ausland nicht unbeachtet, was regelmässig dazu führte, dass grössere Unternehmen ihre Fühler nach Thun ausstreckten, wo Rudolphe inzwischen – konsequent wie er schon immer war – die Führung seiner Tochter übergeben hatte.
2007, drei Jahre nach dem Ableben von Henriette und Rudolphe von Greifenbach, kam es nach einstimmiger Zustimmung des Verwaltungsrats zur 51-prozentigen Übernahme von DBD durch die amerikanische Consumer’s Best, die weltweit einen hervorragenden Namen im Detailhandel hatte, weil ihre Tochtergesellschaften in 46 Ländern alle autonom und unter ihrem ursprünglichen Namen am Markt agierten. Das galt auch für die Schweiz, wo DBD ihr erfolgreiches Geschäftsmodell ohne Wenn und Aber weiterführen konnte, als wäre, salopp ausgedrückt, nichts passiert. Einzig Roger P. Newman von Consumer’s Best stiess zusätzlich in den Verwaltungsrat, der somit neu sieben Personen umfasste. DBD Suisse SA wurde weiterhin von Karl Wegmüller präsidiert, Véronique von Greifenbach leitete das Unternehmen als CEO, alle sieben Mitglieder der Geschäftsleitung, vier Frauen, drei Männer, blieben im Amt.
Die Reise nach Mauritius
Die Woche vor der Abreise nach Mauritius erwies sich dank umsichtiger Planung als weniger hektisch wie befürchtet. Auf der Traktandenliste der Geschäftsleitungssitzung vom Montagmorgen waren wie üblich nur jene Punkte aufgeführt, die für alle wichtig waren, alles andere liess sich meist bilateral oder zu dritt besprechen, selbstverständlich mit kurzer Information an die Kolleginnen und Kollegen der Geschäftsleitung. Dies funktionierte nach einem genau festgelegten Raster per Mail, an den sich alle hielten, mit entsprechendem Erfolg. Einzig «wichtig zu wissen» war entscheidend, nicht «nett zu wissen», CCs bei Mails deshalb tabu, Blindkopien ohnehin.
Am Samstag, 27. Juni, liess sich Véronique von Philippe an den Flughafen Kloten fahren und zwar bewusst ohne ihren Laptop mitzunehmen. Auf dem Weg nach Zürich gab es erwartungsgemäss fast nur ein Thema: das Angebot von Jonathan B. Cooks.
«So wie ich meine Frau kenne – und ich kenne sie gut –, hat sie ihre Meinung zur Sache gemacht, die Ferienreise nach Mauritius zur Meinungsbildung ist nur ein Vorwand.»
Véronique musste herzhaft lachen.
«Und hier irrt mein Gatte, mon cher Philippe, ich habe lediglich die Plus- und die Minuspunkte im Kopf, die Meinung ist überhaupt nicht gemacht.» «Wirklich nicht?»
«Nein, wirklich nicht.»
«Hat Jonathan schon etwas zum Finanziellen angedeutet?»
«Chéri, du weisst, dass ich Sachen, die mich interessieren, auch zum Nulltarif mache, Geld steht nicht im Fokus, das weiss Jonathan auch, deshalb vorerst nur das Angebot als Member of The Board.»
«Wegen ‹Bordeaux›, wirst du dich umhören?»
«Ja, klar, ich habe mir die Adresse in Port Louis notiert. Mal sehen …»
Zu reden gaben auch Äusserungen von Véronique, die in letzter Zeit festgestellt hatte, dass ihr Puls aus unerklärlichen Gründen in unregelmässigen Intervallen vorübergehend rasch und heftig anstieg. Der Besuch bei einem Kardiologen, sagte sie nun zu ihrem Mann, habe allerdings «keinen Grund zur Beunruhigung» ergeben, eine genaue Diagnose blieb indes aus.
Wie bei den von Greifenbachs jeweils üblich, traf man zu früh am vereinbarten Ort ein.
«Philippe, fahr du ruhig wieder nach Hause, ich werde in aller Ruhe einchecken und mich dann im Transit umschauen, Dubai ist ja im Bereich Tax-Free inzwischen zum Teil teurer als die Schweiz.»
Philippe fuhr den Maserati von Véronique vor die Abflughalle und besorgte ihr einen Handwagen für die Koffer, worauf sich die Eheleute nach einer langen Umarmung voneinander verabschiedeten. Véronique lief gelangweilt zum mit «Business Class» angeschriebenen Check-In-Schalter von Emirates.
«Möchten Sie die Zeit bis zum Abflug in unserer Emirates Lounge verbringen?», fragte die Mitarbeiterin am Schalter umgehend.
«Nein, danke, ich werde mich in den Geschäften des Transits noch ein bisschen umsehen.»
«Lassen Sie es uns wissen, wenn wir etwas für Sie tun können.»
«Danke, es ist alles arrangiert, der Transfer in Dubai ins Hotel wird vom Burj Al Arab organisiert.»
«Ich werde zur Sicherheit kurz beim Burj Al Arab checken, damit das klappt. Und jetzt wünsche ich einen guten Flug nach Dubai, die Maschine wird pünktlich hier sein und deshalb auch wieder wie vorgesehen abfliegen, um 15.35 Uhr. Geniessen Sie Ihre Zeit in Dubai und dann auf Mauritius.»
Der über sechsstündige Flug nach Dubai kam Véronique gar nicht derart lang vor, vor allem dank der echten Stehbar im hinteren Bereich des Upper Decks, wo sie zweimal für einen Orangensaft vorbeischaute – Alkohol war für sie während einer Flugreise tabu – und wo sie ein längeres Gespräch mit einem etwa 50-jährigen britischen Juristen über die Rolle von Abu Dhabi in Dubai führte.
«Wie gross der Einfluss von Abu Dhabi ist, zeigt sich am heutigen Wahrzeichen von Dubai.»
«Wie ist das zu verstehen?»
«Nun, ursprünglich war vorgesehen, den über 800 Meter hohen Wolkenkratzer Burj Dubai zu nennen, doch jetzt heisst er bekanntlich Burj Khalifa.»
«Und weshalb das?»
«Er ist nach dem Herrscher Abu Dhabis benannt, Scheich Khalifa. Und eben dieser Scheich Khalifa rettete seinerzeit mit einem Kredit von über 25 Milliarden Dollar den benachbarten Staat vor dem finanziellen Kollaps. Scheich Khalifa hat sich den Namen des Turms jedoch nicht mit diesem Geld erkauft – Dubais Herrscher Scheich Mohammad musste den Kredit zurückbezahlen.»
Noch mehr als die Äusserungen des Mannes erstaunte es Véronique von Greifenbach, sonst von Komplimenten verwöhnt, dass der Gutaussehende – ohne Ehering am Finger – absolut keine Anstalten machte, mit ihr zu flirten. Doch ihr konnte das nur recht sein. Sie war mit ihren Gedanken längst anderswo.
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