Ich widme dieses Buch Charlotte und Heinz. Ihr fehlt mir für immer.
Impressum
Alle Angaben In diesem Buch wurden vom Autor nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihm und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft.
Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten.
Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.
© 2018
Werd & Weber Verlag AG, Gwattstrasse 144, 3645 Thun/Gwatt
Autorin: Simone Kosog, 86934 Reichling, Deutschland
Illustrationen: Ludek Martschini, 6006 Luzern, www.martschini.ch
Fotos: Luc Braquet (S. 188), Alessandro Lucioni/IMAXTREE.COM(S. 190 links), PIXELFORMULA/SIPA (S. 190 rechts), Mark Von Holden (S. 191 links), Courtesy of Press Office (S. 191 rechts), Fabien Baron (S. 199), Pierpaolo Ferrari (S. 206/207), Sylwina (S. 208), Nadja Damaso (S. 209), Tamy Glauser (restliche Bilder)
Gestaltung/Satz: Monica Schulthess Zettel, Werd & Weber Verlag AG
Bildbearbeitung: Adrian Aellig, Werd & Weber Verlag AG
Lektorat: Alain Diezig, Werd & Weber Verlag AG
Korrektorat: Lisa Inauen, Werd & Weber Verlag AG
E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
E-Book ISBN 978-3-03922-047-2
www.weberverlag.ch www.werdverlag.ch
INHALT
Intro
«Du bist eben anders!»
«Das, was ich bin, kannte ich nicht!»
New York, Heaven and Hell
«She is ready, give her all the castings!»
Auf dem höchsten Level der Fashionindustrie
Tamynique
Why not?
Bilder
Danksagung
Autorenbiographie
INTRO
Es war März 2015, ich gab mir noch diese eine letzte Pariser Fashion Week. Wenn es dann nicht klappen würde, wäre es das gewesen mit dem Modeln, dann würde ich eben etwas anderes machen. Ich war schon dabei, Pläne zu schmieden.
Es lief nichts! Kein Anruf, kein Casting bis kurz vor den Shows, als sich plötzlich meine Agentur meldete. «Wo bist du gerade? Du musst sofort kommen!» – Okay!
In der Agentur wurde ich ins Besprechungszimmer gebeten, einen kleinen Raum mit rundem Tisch, so ziemlich der einzige Platz, an dem man ungestört und ohne Zuhörer sprechen kann. Normalerweise werden hier Treffen mit Kunden abgehalten oder es finden die Teamsitzungen der Booker statt. Als Model betritt man den Raum eher selten. Beim letzten Mal, als ich hier gewesen war, hatten sie mir gesagt, dass mein bisheriger Booker soeben fristlos entlassen worden war. So viel war schief gelaufen in diesem Jahr. Ich fragte mich, was jetzt kommen würde, als die Bookerin schon mit der Nachricht rausplatzte: «Louis Vuitton will dich sehen!»
Louis Vuitton, das war High Class, die Krönung der Branche! Nie im Leben hätte ich gedacht, dass sie dort auch nur das geringste Interesse an mir haben könnten. In der Agentur waren alle aus dem Häuschen, sie coachten mich: «Geh früh ins Bett, sei du selbst, zieh dich an wie immer, Skinny Jeans, du weisst schon, glaub an dich.» All diese Sätze.
Am nächsten Tag betrat ich das Headquarter von Louis Vuitton in der Rue du Pont Neuf, ein sechs oder sieben Stockwerke hohes, von aussen nicht sehr prunkvolles Haus, an dem man leicht vorbeigehen könnte. Sobald man allerdings die Tür öffnet, ist man mitten drin im Louis-Vuitton-Luxus.
Ich fuhr mit dem Aufzug in den zweiten Stock, stellte mich vor und musste erst einmal warten. Ein paar andere Kandidatinnen sassen auch schon da. Alle anderen um mich herum waren beschäftigt. Die Models, die schon gebucht waren, probierten Kleider an, Mitarbeiter liefen gestresst hin und her, weil die Show in einer Woche beginnen würde und noch nichts fertig war. Irgendwann kam eine Frau auf mich zu und erklärte, was zu tun sei: «Hinter diesem Vorhang ist ein langer Raum mit einem Tisch am Ende, an dem ein paar Leute sitzen. Du läufst vor, wieder zurück und noch einmal vor.» Sie wiederholte das bestimmt 15 Mal – Yes, I got the message… Aber gut: Die Mädchen kamen von überall her und einer 16-jährigen Russin, die schlecht Englisch spricht, musste man das vielleicht so oft sagen. Mich machte es eher nervös. Ich wartete, die Frau schaute durch den Vorhang. «Noch nicht…» Sie schaute immer wieder. Dann plötzlich: «Now, now, now!» Ich war dran, ging hinein, machte meinen Job, die Designer wechselten ein paar freundliche Worte mit mir, aber das heisst nichts: Bis heute gelingt es mir nicht, einzuschätzen, ob sie wirklich Interesse an mir haben und ob ein Casting erfolgreich war. Anfangs dachte ich, das geht nur mir so, aber inzwischen weiss ich, dass die anderen Models nach Castings genauso schwimmen.
Und dann war ich auch schon wieder draussen.
Zurück in der Agentur wollten sie alles ganz genau wissen: «Wer war dabei?» Ich hatte keine Ahnung. «Wie sahen sie aus? Beschreib mal.» – «So ein kleiner Mann zum Beispiel mit auffallend blauen Augen.» Sie lachten – das war der Designer Nicolas Ghesquière. Ich erfuhr, dass ausserdem der Art Director, die Stylistin und die Schmuckdesignerin mit am Tisch gesessen hatten. Wir sprachen noch eine Weile weiter, bis sie mir schliesslich sagten: «Du bist gebucht!» Und nicht nur das: Louis Vuitton wollte mich exklusiv. Ich würde bei den Shows ausschliesslich für sie arbeiten!
Ich stand nur noch da und mir liefen die Tränen herunter. Ich war so kurz davor gewesen, aufzuhören – und jetzt Louis Vuitton!
Tatsächlich buchten sie mich dann nicht nur für diese, sondern für die nächsten sechs Shows und plötzlich kamen auch wieder andere Aufträge. Zum ersten Mal wurde ich für die Vogue gebucht und sogar für die italienische, in der Branche das wichtigste Blatt überhaupt. Es lief!
«DU BIST EBEN ANDERS!»
Manchmal sagte Charlotte diesen Satz zu mir. Ich wusste nie genau, was sie damit meinte.
Meistens fiel der Satz an einem der Tage, an denen ich aufgelöst nach Hause kam, entweder, weil ich den Viertklässlern, die mich gejagt hatten, gerade so entkommen war, oder weil sie mich dieses Mal tatsächlich verprügelt hatten. Beides kam regelmässig vor.
Mal waren es die Mädchen, mal die Jungs. Klar war, dass sie sich aus all den Erstklässlern genau mich herausgepickt hatten, kein Versehen. Ich kannte das schon aus dem Kindergarten. Bereits am allerersten Tag war es losgegangen. Ich hatte für dieses besondere Ereignis ein rosa Röckchen ausgewählt, das ich in einem Geschäft gesehen hatte und unbedingt haben wollte. Abgesehen von einem Tutu, ebenfalls in Rosa und ebenfalls heiss begehrt, war das der einzige Rock, den ich je freiwillig angezogen habe. Ich fand ihn wunderschön – die anderen Kinder fanden das ganz offensichtlich nicht. Sie nutzten die erstbeste Gelegenheit, mich draussen, als kein Erwachsener zusah, hin- und herzuschubsen und in den Matsch zu werfen. Als ich nach Hause kam, weinte ich. Das rosa Röckchen war dreckig und zerrissen, ich zog es nie wieder an.
Auch jetzt, während der Schulzeit, kamen sie immer zu mehreren, mal warfen sie mich in einen Dorfbrunnen, mal klauten sie mein Fahrrad und warfen es in eine Mülltonne, mal traten, schubsten oder schlugen sie mich.
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