Jeremy Narby Rafael Chanchan Pizuri
Meisterpflanzen vom Amazonas
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Herstellung: Bookwire GmbH Kaiserstraße 56 60329 Frankfurt am Main Deutschland
Verlag: Nachtschatten Verlag AG Kronengasse 11 4500 Solothurn Schweiz
Jeremy Narby, Rafael Chanchari Pizuri
Ayahuasca und Tabak: Meisterpflanzen vom Amazonas
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Titel der Originalausgabe: Deux Plantes enseignantes – Le Tabac & l’Ayahuasca ; erschienen 2021 im Verlag Mama Éditions, Paris
Übersetzung: Chris Heidrich, Solothurn
Fachlektorat: Markus Berger, Felsberg Lektorat: Inez Ulrich, Ortenburg
Korrektorat: Jutta Berger, Felsberg; Caro Lynn von Ow, Dublin
Umschlaggestaltung: Nina Seiler, Zürich
Layout: Nina Seiler, Zürich, Mitarbeit: Silvia Aeschbach, Bern
ISBN: 978-3-03788-473-7
eISBN: 978-3-03788-492-8
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Einleitung
Kapitel 1
Medizin und Bosheit
Kapitel 2
Heilmittel und Gift
Kapitel 3
Reinigung mit zwei Seiten
Kapitel 4
Verwirrender therapeutischer Cocktail
Epilog
Anhang
Vape, Schnupftabak, Rapé und Snus
Dank
Bibliographie
Über die Autoren
Bildnachweis
Index
Jeremy Narby
Meine erste Begegnung mit Tabak fand 1985 statt, als ich in einer Gemeinschaft der Asháninka im peruanischen Amazonasgebiet lebte. Diese Menschen glaubten, dass Pflanzen wie Tabak und Ayahuasca denjenigen, die sie konsumierten, Wissen vermitteln können; und in ihren Augen war Tabak die Nummer eins unter den Meisterpflanzen. Wenn die Asháninka ein Problem oder eine Krankheit hatten, wandten sie sich an den seripiari, was in ihrer Sprache »Tabakschamane« bedeutet.
Ich für meinen Teil hatte keine besondere Affinität zu Zigaretten oder Zigarren, auch glaubte ich nicht, dass man durch das Rauchen von Zigaretten viel lernen könne. Ich wuchs mit einem Vater auf, der als ehemaliger Kettenraucher zum eifrigen Antiraucher wurde, und mit einer Mutter, die nur im Freien rauchte, als würde sie sich verstecken, sodass ich das Rauchen von Tabak als eine ungesunde Zeitverschwendung ansah. Als junger Anthropologe war ich daran interessiert, die Ansichten der indigenen Amazonasvölker zu verstehen. Und um ehrlich zu sein, ich kam frisch von der Universität.
Im Laufe der Monate in dieser indigenen Gemeinschaft wurde ein Mann namens Carlos Perez Shuma zu meinem wichtigsten Gesprächspartner. Er war 45 Jahre alt und – wie es der Zufall wollte – Tabakschamane. Wir unterhielten uns stundenlang auf Spanisch, und er erzählte Geschichten aus seinem Leben, von denen viele mit Tabak zu tun hatten: wie sein Onkel ihm den Tabakgebrauch beigebracht hatte, als er noch klein war; wie der Tabak ihn vor Gefahren und Feinden aller Art schützte und wie er die maninkari anlockte, unsichtbare Geister, die alle Lebewesen belebten. Eines Tages wurde ich Zeuge, wie Carlos Perez Tabakrauch über einen kranken Säugling blies, den jemand zu einer Heilbehandlung mitgebracht hatte. Ich fragte ihn, wie Tabak in solchen Fällen helfen könne.
Er antwortete: »Ich sage immer, Tabak hat die Eigenschaft, dass er mir die Realität der Dinge zeigt. Ich kann die Dinge sehen, wie sie sind. Und er vertreibt alle Schmerzen.«
Einige der Geschichten, die Carlos Perez über Tabak erzählte, widersprachen meinem Verständnis von Realität – aber ich dachte mir, dass es in meiner Arbeit als Anthropologe darum ginge, keine Skepsis zu äußern, sondern die Sichtweise der jeweiligen Person in ihren eigenen Worten wiederzugeben und Fragen zu stellen, wenn ich etwas nicht verstand. Bei einer Gelegenheit begann er mir vom Ableben seines Schwiegervaters zu erzählen, der ein bekannter Tabakschamane gewesen war: »Er pflegte seinen Tabak zu trinken, als sei er Wasser; er nahm ihn in die Hand und trank ihn so, als sei es nichts. Und dann konnte er machen, was er wollte, ja, er verwandelte sich sogar vor den Augen aller in einen Jaguar.«
»Wirklich?«, fragte ich.
»Deshalb haben sie ihn umgebracht, weil er sich oft in einen Jaguar verwandelte und Rinder angriff«, fuhr er fort.
»Er griff Rinder an?«, fragte ich, unsicher, ob ich richtig verstanden hatte.
»Er griff Rinder an«, wiederholte er.
»Wessen Rinder?«
»Die der Kolonisten.«
»Warum griff er ihre Rinder an?«
»Weil er mit ihnen bumsen wollte. Also töteten sie den Jaguar, nahmen ihm das Herz heraus und kochten es mit Asche, Harz und scharfem Paprika; und als seine Seele aus ihm herausgetreten war, bekam er einen Schock, deshalb starb er. Er starb nicht, weil er krank war, sondern er starb um seiner Seele willen.«
»Die Kolonisten haben ihn also umgebracht?«
»Nein, den Kolonisten gehörten die Rinder, aber sie heuerten einige Asháninka an, um den Jaguar zu töten. Denn wenn dort ein echter Jaguar Rinder angreift, kann man ihn erschießen und töten. Trägt er aber die Seele eines Tabakschamanen in sich, kann man ihn aus nächster Nähe erschießen, und er kann trotzdem noch springen; sogar, wenn man von dort drüben auf ihn schießt, kann man ihn nicht töten, weil er ein Mensch ist (porque es gente).«
»Und wie haben sie es geschafft, die Seele deines Schwiegervaters zu töten?«
»Sie haben ihn verraten. Er selbst erzählte uns, als es passierte, sei er dreimal entflohen, und meinte: ›Ich weiss nicht, wie ich sterben werde, denn viele Leute wollen mich töten, aber sie werden es nicht schaffen.‹ Vielleicht kam der Zeitpunkt, in dem er nicht länger ausweichen konnte, vielleicht benutzten sie etwas Geheimes, er gab seinen Körper auf, und sie saugten seine Seele aus. So ist er gestorben. Denn er starb rund und gesund.«
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