„Das hoffen wir alle“, jammerte der Barde. „Meine Hosen müssen unbedingt gewaschen werden.“
„Nicht dafür, MacOsborn“, stöhnte Siralen. „Wir verdursten hier, wenn die Scorpios uns kein Wasser bringen.“
Irwin sah sie hilflos an. „Aber ich kann doch nicht in diesen vollgesch….“
„Verschont uns!“
Die Hoffnungslosigkeit, die mit der ersten Meldung über die unbekannten Wesen, die den Stützpunkt am Strand angegriffen hatten, aufgekommen war, verdichtete sich mit jedem Moment, da sie hier waren. Als würde eine Weberin emsig die Fäden eines zu locker gewobenen Teppichs straffen. Zuerst der Verlust der vielen Männer im Hauptlager, dann die Meuterei der Landstreitkräfte unter dem Brigadier, der Tod des Brigadiers als Folge des Aufstandes, die zahllosen Toten und die Niederlage im Wüstenkessel. Darceans Schicksal durch Irwins Versagen. Und nun waren sie Gefangene im Lager der undiplomatischsten Wesen, die Siralen je zu Gesicht bekommen hatte, wenn man von den Fischmenschen mal absah. Die Scorpios erschienen ihr wir die Verkörperung des Knöchernen, des Wort- und Verständnislosen. Damit hatte eine Diplomatin hier nichts zu sagen. Und Siralen war sehr bewusst, dass ihr die Diplomatie immer mehr zu eigen wurde, während ihr der Kampfgeist, den sie irgendwann vielleicht gehabt hatte, zusehends verloren ging. Was also konnte sie hier tun, abgesehen davon, auf den Tod zu warten? Aber wenn sie schon sterben musste, wollte sie es auf keinen Fall, ohne noch ein letztes Mal Tauron gesehen zu haben. Ihn noch ein letztes Mal berühren, spüren, seine Stimme hören, in seine Augen sehen … Sie musste zurück auf die Meerjungfrau! Allein dafür lohnte es sich, stark zu bleiben und ums Überleben zu kämpfen.
„Sie halten sich für mächtiger als alles, was wir sind oder bei uns in Amalea haben, mal abgesehen von den MacDragul. Die können mit ihnen mithalten, wie wir gesehen haben“, schnitt sich Charas Stimme in ihre Gedanken. „Sie halten uns für einen schwachen Abklatsch der Thanatanen. Sie halten die Thanatanen wiederum für mächtig genug, um sich mit ihrem Volk näher zu befassen.“
„Ja, Chara“, seufzte Siralen. „Sie legen Wert auf Stärke. Und sie halten sich selbst für etwas Besseres.“
„Sie erwägen nur die Gefahr, die von jemandem wie uns für jemanden wie sie ausgeht. Sie halten sich deshalb noch nicht für etwas Besseres.“ Chara grinste. „Die Elfen halten sich für etwas Besseres.“
Irgendwie war Siralen nicht zum Lachen zumute.
„Tat ich nie.“
„Nicht?“ Die Assassinin setzte sich ihr gegenüber. In einem gut berechneten Abstand, wohlgemerkt.
„Dein Volk jedenfalls nimmt sich gerne raus. Da hilft ihm die Tatsache, dass seine Rasse im Verhältnis zu den Menschen vernichtend klein ist. Aber du, als einzelne Elfe, bist nur eine von Vielen.“
„Und damit bin ich zufrieden. Ich war nie daran interessiert, eine Sonderstellung einzunehmen.“
„Wieso wurdest du dann zur Kommandantin einer Elfeneinheit, schließlich zur Kommandantin einer ganzen Streitmacht und jetzt zur Kommandantin der Landstreitkräfte?“
„Was ist mit dir Chara, Flottenoberkommandantin?“
„Ich habe nie um das Flottenoberkommando gebeten.“
„Habe ich denn um das Kommando über die Landstreitkräfte gebeten?“
„Nein, aber du hast dich lange vorher dafür ins Zeug gelegt, eine Befehlshaberin der Streitkräfte Albions zu werden. Du versuchst, irgendjemandem etwas zu beweisen.“
„So wie du.“
Chara schloss einen nichtigen Moment die Augen. „Ich wäre lieber unsichtbar geblieben.“
„Worüber reden wir hier, Chara?“
„Wovor hast du Angst, Siralen? Wieso legst du so viel Wert darauf, was ein Brigadier oder ein bestimmter Elf von dir hält? Wieso fürchtest du jeden, der eine Position einnimmt, die es ihm erlaubt, über dich zu urteilen?“
Siralen presste die Lippen aufeinander. Sie konnte Chara nicht erzählen, was es mit ihrem Vater auf sich hatte. Wüsste sie davon … sie würde es trotzdem nicht verstehen. Chara hatte keine Eltern. Sie war nicht der Spross eines Vorfahren, der in den Augen aller Nachkommen versagt hatte. Sie würde nicht verstehen, wieso jemand Angst davor hatte, zu versagen, sein Volk zu verraten. Oder einfach nur davor, schwach zu sein.
„Hast du denn einen Rat für mich, Chara?“, fragte sie, statt eine Antwort zu geben.
„Nein.“
„Du hast einen Rat, nicht wahr?“
Chara zuckte mit den Schultern. „Wenn du keine Angst davor hast zu scheitern, wirst du leisten, anstatt zu zögern. Du wirst aufrecht gehen und kämpfen. Dann wird man dich respektieren.“
„Wie einfach das klingt.“ Die Ironie in ihrer Stimme war selbst für Siralen vernehmbar.
„Vielleicht wäre es an der Zeit aufzugeben, sich ein anderes Ziel zu setzen …“, murmelte Siralen und blickte auf die Wüste jenseits des Zelteingangs. „… die Idee von der kompetenten Kommandantin der Landstreitkräfte fallen zu lassen. Vielleicht wäre es besser, etwas anderes zu tun.“
„Ja, vielleicht“, erwiderte Chara. „Vielleicht redest du lieber, als zu kämpfen.“
Wenn sie Chara nicht besser gekannt hätte, hätte sie die Aussage als Beleidigung aufgefasst. Chara hatte aber nicht beabsichtigt, sie zu beleidigen. Sie sagte nur, was sie dachte – unverblümt und direkt, wie immer.
„Aber die wirklich essentielle Frage ist“, lenkte Siralen das Gespräch in die richtige Richtung, „wieso wissen diese Wesen etwas über die Thanatanen? Hier, auf diesem südlichsten aller Kontinente?“
Chara tastete nach ihrer Drogenpfeife und wurde fündig. Als sie den Beutel mit den Drogen suchte, stöhnte sie entnervt auf. „Vergessen“, knirschte sie. „Und ja, von Al’Jebal haben wir nur den Hinweis über die verbrannten Menschen und Schangra bekommen …“
Irwin gab es unterdessen auf, auf Hilfe zu warten. Er schälte sich angewidert aus seinen Beinkleidern und seiner Tunika und band sich Letztere umständlich um die Hüften. Er war ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, hatte sich kein einziges Mal in die Unterhaltung eingebracht.
„Also, was haben wir, womit wir die Scorpios überzeugen können?“
Chara ließ den Kopf in den Nacken rollen. „Absolut gar nichts.“
Der Morgen danach begann so ernüchternd wie der vergangene Tag. Abgesehen davon, dass man ihnen Wasser gebracht und seltsame Pilze zu essen gegeben hatte, von denen Chara in dieselbe missliche Lage geraten war, in der sich Irwin tags zuvor befunden hatte. Das Zeug war nicht gerade giftig, wie sie selbst ja ganz gut beurteilen konnte, aber doch eine ungewohnte Mahlzeit für einen Menschen aus Amalea. Siralen ging es sogar noch schlechter. Überraschenderweise schickte man ihr einen Scorpio, der sich als der Heilung kundig herausstellte und ihr eine nicht zu identifizierende Flüssigkeit einflößte. Es sah ganz danach aus, als wollten die Wüstenkrieger nicht, dass man sie der Nachlässigkeit bezichtigte. Ihre Gefangenen hinzurichten oder im Kampf zu besiegen war das Eine, sie durch einen Unfall zu verlieren etwas ganz Anderes. Das Ergebnis war auf jeden Fall eine Elfe, die sich bester Gesundheit erfreute und eine Assassinin, die keinerlei Anlass sah, sich die Beinkleider nach vollbrachtem Geschäft wieder hochzuziehen, wo doch feststand, dass der nächste Latrinengang nicht allzu lange auf sich warten lassen würde. Zu Irwins grenzenloser Enttäuschung trug sie ein knielanges Hemd.
Chara wollte einfach keine Idee kommen, wie sie sich aus ihrer misslichen Lage befreien konnten. Besonders zermürbend war ihre Erinnerung an eines der letzteren Gespräche mit Al’Jebal.
„Wir brauchen diese Skorpionmenschen als Verbündete.“ Ein recht unmissverständlicher Auftrag, wie sie fand. Leider saß sie in diesem staubtrockenen, öden Lager fest – als Gefangene wohlgemerkt, nicht als willkommener Gast. Und das Ganze auch noch ohne Drogen, die sie leider im Lager vergessen hatte, ohne einen Vampir, der sie bei Laune hielt, ohne die Aussicht auf einen netten, kleinen Kampf, der hier glatter Selbstmord gewesen wäre. Ja, sogar ohne ihre Leibwachen. Und ohne Lindawen …
Читать дальше